Interview

Dieter Becken: „Ich werde wahrscheinlich an meinem Schreibtisch sterben“

Dieter Becken baute viele besondere Gebäude in Hamburg, darunter den Berliner Bogen, das Deichtor-Center und das Polizeipräsidium. In entspannter Atmosphäre erzählt der Immobilienunternehmer, wie er es vom Maurer zum Millionär schaffte.

Von Markus Lorenz Dienstag, 04.10.2022, 06:00 Uhr
Der Bauunternehmer Dieter Becken hat den größten Teil seines Vermögens im sozialen Wohnungsbau angelegt.

Der Bauunternehmer Dieter Becken hat den größten Teil seines Vermögens im sozialen Wohnungsbau angelegt.

Herr Becken, wann haben Sie zuletzt eine Maurerkelle in der Hand gehabt?

Vor einigen Wochen, bei der letzten Grundsteinlegung. Ich mauere den Grundstein immer selbst. Fachgerecht, in Waage und vollfugig.

Sie sind ausgebildeter Maurer. War es wichtig, das Häuserbauen von der Pike auf gelernt zu haben?

Rückblickend war meine Maurerlehre eine der wichtigsten Stationen meiner Ausbildung. Und stärkt mein heutiges Verständnis für den Ablauf und die Komplexität am Bau.

Was war so wertvoll?

Wie erwähnt habe ich gelernt, was es bedeutet, mit den eigenen Händen ein Haus zu bauen. Eine Baustelle einzurichten, Versorgungsleitungen zu legen, ein Fundament herzustellen und so weiter. Diese handwerklichen Vorgänge kennt ein Architekt häufig nur theoretisch. Und, ganz wichtig: Man lernt auf dem Bau Teamarbeit. Einen Drei-Zentner-Balken trägt niemand allein, schon gar nicht durch ein Gebäude.

Ein Leben lang Maurer wollten Sie aber nicht sein?

Ich habe keine Angst vor harter Arbeit, aber ich habe mich gefragt: Willst Du das wirklich dein Leben lang tun? Dafür waren meine Interessen zu vielseitig. Ich wollte nicht nur Häuser bauen, ich wollte diese auch entwickeln und entwerfen.

Wie haben Sie es geschafft, dass es nicht beim Maurer blieb?

Ich habe nur die Volksschule besucht und musste neben meiner Ausbildung in Elmshorn zunächst das Fach-Abitur nachholen. Dafür bin ich jeden Abend von meinem Wohnort Tornesch aus mit der Bahn nach Hamburg in die Abendschule gefahren, auch sonnabends. Nur Sonntag war frei. Nach dem Fach-Abi habe ich dann Architektur und Ingenieurwissenschaften studiert.

Woher kamen dieser ausgeprägte Ehrgeiz und Wille?

Ich bin als Kind mit meiner Familie aus der DDR geflüchtet und habe im Westen rund anderthalb Jahre in einem Flüchtlingslager gelebt. Das war eine harte Zeit, in der ich mich durchsetzen musste. Ich denke, daraus ist ganz subtil der Antrieb entstanden, dass es mir später besser gehen sollte, auch materiell.

Hätten Sie damals gedacht, dass Sie einmal einer der erfolgreichsten Immobilienunternehmer in Deutschland werden?

Nein. Mit 17 oder 18 war mein Traum, selbstständiger Architekt zu werden, mit vielleicht zwei oder drei Mitarbeitern. 1978 habe ich mich tatsächlich mit einem Architekturbüro selbstständig gemacht.

Welche Tugenden braucht es für Erfolg?

Fleiß, Disziplin, Ehrgeiz und das Allerwichtigste: Niemals aufgeben.

Waren Sie mal kurz davor?

Selbstverständlich war auch ich immer wieder mal an diesem Punkt, so wie wahrscheinlich viele Unternehmer.

Und: Warum haben Sie nicht aufgegeben?

Ich nenne es meine Eigenmotivation - bei großen Rückschlägen habe ich mir immer gesagt: Dann arbeitest du eben noch mehr, gehst auch sonntags ins Büro und findest Lösungen. Ich habe die Firma immer wieder neu erfunden. In den 1970er Jahren habe ich zum Beispiel mehrfach Entwürfe für ein Einkaufszentrum in Mümmelmannsberg eingereicht, und jedes Mal hat der Zuständige im Bezirk zu mir gesagt: Das ist nicht gut genug. Ich habe es trotzdem immer wieder versucht - und beim 16. Entwurf den Zuschlag bekommen. Vielleicht auch ein bisschen aus Mitleid (lacht). Das Zentrum steht heute noch.

Gab es einen Moment, in dem Sie dachten: Jetzt habe ich es endgültig geschafft?

Es gab zwei. Zum einen die Fertigstellung eines meiner bis dahin größten Büroneubauten am Heidenkampsweg im Jahr 1990. Danach kannte man in der Branche Dieter Becken und wusste, dass man mit mir rechnen muss. Und - noch wichtiger - im Jahr 2006, als ich über Nacht mein gesamtes Immobilienvermögen an Morgan Stanley verkauft habe. Denn das ebnete den Weg für meine bis heute bestehende Unternehmensstruktur in einer Holding und ermöglichte mir meinen angestrebten Wachstumskurs.

Was tut ein Bauunternehmer genau?

Ich bin formell kein Bauunternehmer. Die Becken-Gruppe, an deren Spitze ich noch immer stehe, ist ein inhabergeführtes Immobilien- und Investmentunternehmen. Mittlerweile sind wir in den führenden deutschen Metropolregionen tätig. Zu unserem Kerngeschäft gehört das Development, also die Projektentwicklung von Wohn- und Büroimmobilien, das Asset Management und eben auch das Investment Management. Das bedeutet, dass wir auch Immobilienfonds-Produkte für institutionelle Anleger im Portfolio haben. Natürlich leite ich das Unternehmen schon lange nicht mehr allein, sondern werde seit 2006 von einem Managementteam flankiert.

Konnte der Macher Dieter Becken damals gut abgeben?

Naja, ich musste mir einen Ruck geben. In manchen Besprechungen danach habe ich gedacht: Das würdest du jetzt anders machen. Aber im Grunde ist es mir leichtgefallen. Denn es war logisch, weil nur in der Holding-Struktur eine Weiterentwicklung möglich war.

Dennoch blieb Becken ein Familienunternehmen. Was bedeutet das?

Für mich bedeutet das, die Verantwortung und damit das Unternehmen irgendwann an die nächste Generation weiterzugeben. Das vorzubereiten ist eine komplexe Herausforderung. Ich habe das große Glück, dass meine Tochter Nadine die Firma weiterführen wird.

Sie hätten sich längst zurückziehen und Ihr Vermögen genießen können…?

Niemals. Ich werde wahrscheinlich an meinem Schreibtisch sterben. Das können Sie gern so schreiben.

Die Baubranche hat kein gutes Image. Zu Recht?

Das Image der Akteure in der Immobilienbranche ist nicht immer das beste. Man liest von: Immobilienhaien, Baulöwen, Korruption und vielem mehr. Ist Ihnen schon mal aufgefallen - selbst in jedem Krimi ist der Bösewicht der Immobilienunternehmer (lacht)? Ich sage Ihnen was: Das ist meiner Meinung nach völliger Schwachsinn. In der Immobilienbranche arbeiten ehrliche Kaufleute, und sicher gibt es unter ihnen auch schwarze Schafe wie in anderen Branchen auch.

Welche gesellschaftliche Verantwortung sehen Sie für sich als Immobilienunternehmer?

Eine große. Am Beispiel der Gewerbeimmobilien: Wir müssen Gebäude erstellen, die auch in 50 oder 100 Jahren noch funktionieren, die das Stadtbild nachhaltig ergänzen und mit prägen. Und in denen sich Menschen wohlfühlen und gut arbeiten können.

Und im Wohnungsbau?

Auch da tragen wir eine erhebliche Verantwortung. Was viele nicht wissen: Einen größeren Teil meines Vermögens habe ich im sozialen Wohnungsbau angelegt. Und ich würde gern noch sehr viel mehr sozialen Wohnungsbau machen. Aber, es fehlen einfach die Grundstücke, und die Stadt selbst stellt zu wenige Flächen an private Investoren wie mich zur Verfügung, um sozialen Wohnungsbau zu errichten.

Wie wichtig ist Ihnen anspruchsvolle Architektur?

Extrem wichtig. Ich bin gelernter Architekt, wenn auch ein mittelmäßiger (lacht). Aber ich habe gelernt, Architektur zu beurteilen. Ich bin schon stolz darauf, wenn ich Menschen sagen höre: „Das Gebäude da, das ist schön, das hat Becken gebaut.“ So wie beim Deichtor-Center oder beim Berliner Bogen, für den ich den MIPIM Award erhalten habe. Auch andere meiner Gebäude sind preisgekrönt.

Ist dem Erfolgsunternehmer Dieter Becken mal was richtig misslungen?

Dazu eine Geschichte (lächelt): Als Fondshaus mussten wir für die Bafin einen Track Record und eine Auflistung von Erfolgen und Misserfolgen erstellen. Also bin ich durchs Büro getigert und sagte: „Leute, wir brauchen mal ein Haus, bei dem was schiefgegangen ist.“ Wir haben nichts gefunden. Ich weiß, das klingt fast schon arrogant. Aber genau so war es.

Was ist der wichtigste aktuelle Trend in der Branche?

ESG. Das steht für Environmental Social Governance (zu Deutsch: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, Anm. d. Red.) und kommt aus der Taxonomie-Verordnung der EU. Denn die Baubranche ist für gut 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich, das müssen wir ändern. Wir müssen Gebäude erstellen und alte Gebäude so sanieren, dass sie zukünftig CO2-neutral oder -positiv sind. Das ist kein Trend mehr, das ist ein Megatrend.

Wir leben in einer Abfolge schwerer Krisen. Macht Ihnen das Angst?

In 44 Jahren Unternehmertum habe ich bereits diverse Krisen erlebt. Beispielsweise die Immobilienblase Ende der 1990er Jahre oder die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007. Krisen sind mir also bekannt und davor habe ich keine Angst. Ich weiß genau, welche Prozesse ich in Gang setzen muss, um diese Zeit zu überstehen und danach wieder einzusteigen. Von meiner Belegschaft werde ich niemanden entlassen müssen. Angst macht mir jedoch der Krieg in der Ukraine. Und ein unberechenbares Russland.

Bitte ergänzen Sie...

Wenn mich jemand Baulöwe nennt, dann … freue ich mich, weil Baulöwe - beziehungsweise der Löwe an sich - für mich ein Symbol von Stärke, Zuverlässigkeit und Fleiß ist.

Die besten Ideen kommen mir ... beim Einschlafen.

Was ich immer noch mal machen will, ist … eine archäologische Ausgrabung begleiten.

Das schönste Gebäude der Welt ist für mich … das Finnlandhaus (Firmensitz der Becken-Holding an der Hamburger Esplanade, Anm. d. Red.).

Hamburg ist meine Wahlheimat, weil … ich hier die Chance bekommen habe, mich selbstständig zu machen.

Ärgern kann ich mich am meisten, … wenn Baugenehmigungen nicht rechtzeitig erteilt werden.

Mein Lieblingsort in Hamburg ist … der Feenteich.

Zur Person

Dieter Becken ist in Langsdorf nahe Tribsees (Mecklenburg) geboren. Als Kind floh er 1960 mit seinen Eltern aus der DDR in den Westen, lebte als Jugendlicher in Tornesch (Kreis Pinneberg) und holte neben der Maurerlehre in der Abendschule sein Fachabitur nach. Nach dem Studium der Architektur und Ingenieurwissenschaften machte er sich 1978 selbstständig, errichtete Gewerbe- und Wohngebäude in Hamburg. Darunter spektakuläre Bauten mit namhaften Architekten wie Hadi Teherani. 2006 verkaufte er seinen gesamten Immobilienbestand. Heute ist das Familienunternehmen (250 Mitarbeiter) mit einem milliardenschweren Portfolio bundesweit als Projektentwickler und Investmenthaus aktiv. Von 2014 bis 2018 saß der Fußballfan im Aufsichtsrat des HSV. Für sein Lebenswerk erhielt der Hobbyjäger kürzlich den Hamburger Gründerpreis. Dieter Becken hat eine Tochter und drei Enkelkinder. Er lebt mit seiner Frau auf der Uhlenhorst.

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