Interview

Jogi Bitter: „Für mich ist das alles die Kirsche auf der Sahne“

Nebenan werden ein paar Teamkollegen fit massiert für das Abschlusstraining, als sich Johannes Bitter, Torwart beim HSV Handball, schnell noch Zeit nimmt für das Gespräch mit Manfred Ertel.

Von Manfred Ertel Sonntag, 27.11.2022, 08:00 Uhr
Weltmeister und Champions League Sieger: Johannes Bitter gehört zu den erfolgreichsten deutschen Handballern. Foto: Michael Schwartz

Weltmeister und Champions League Sieger: Johannes Bitter gehört zu den erfolgreichsten deutschen Handballern. Foto: Michael Schwartz

TAGEBLATT: „Je oller, je doller“ - fühlen Sie sich damit eigentlich ganz treffend beschrieben?

Johannes Bitter: Ich halte es da lieber mit dem alten Wein... (lacht). Natürlich fühle ich mich immer noch ganz gut und glaube, dass ich der Mannschaft immer noch helfen kann. Ich bin froh, dass es so ist.

Haben Sie sich zu Beginn Ihrer Karriere vorstellen können, so lange auf allerhöchstem Leistungsniveau spielen zu können?

Da denkt man anfangs nicht drüber nach. Als ich mit dem Handball anfing, bin ich da einfach so rein gestartet und habe geschaut, was wohl passiert. Wenn ich jetzt zurückblicke, kommt natürlich ein bisschen Stolz auf. Aber trotz mehr als 600 Bundesligaspielen möchte ich noch gar nicht in Erinnerungen schwelgen. Ich werde das dann tun, wenn es irgendwann mal wirklich vorbei ist.

Was ist das Geheimnis Ihrer langen Karriere, oder gibt es ein Handball-Gen in Ihrer Familie?

Handball-Gen? (lacht) Klar, wir waren durch unsere Familie sehr handballgeprägt. Meine Schwester spielte ja auch in der 1. Liga, mein Bruder war in der 2. Aber ich hatte schon einige Verletzungen, aber dann auch immer große Unterstützung und habe so einen guten Weg gefunden, da auch wieder rauszukommen und stabil zu sein. Natürlich ist auch gut, dass ich hier in Hamburg ein Umfeld habe, das mich immer wieder gerade biegt und mich auf die nächsten Belastungen vorbereitet, so dass wir sehr viel präventiv arbeiten können. Das hilft mir sehr. Ich habe eine Belastung, die ich gut steuern kann, mit einem verständnisvollen Trainer.

Wie lange braucht Ihr Körper inzwischen nach einem Spiel, um wieder halbwegs alltagstauglich zu sein?

Das klingt jetzt vielleicht unspektakulär, aber tatsächlich ist das gar nicht so lange. Die Belastung im Tor ist natürlich anders als bei einem Feldspieler, sie ist nicht so intensiv in der körperlichen Ausprägung und der Ausdauer. Aber die Schnelligkeit ist auch im Tor extrem. Und es gibt manchmal extrem große körperliche Ausdehnungen bei Paraden, die merkt man dann am nächsten Tag. Aber ansonsten ist das Torhüterspiel doch sehr mental geprägt. Und da hat man als Älterer vielleicht einen Vorteil, weil man sich nicht mehr so viel einen Kopf macht.

Wie ist das, mit Spielern in einer Mannschaft zu spielen, die fast schon Ihre Söhne sein können?

Ich glaube schon, dass viele von den Jungen genau wissen, wo ich herkomme, was ich schon gemacht habe in meinem Leben und dass ich eine gewisse Autorität habe. Aber ich möchte hier nicht in einer Vaterfigur wahrgenommen werden. Ich möchte einfach meine verlängerte Jugend hier genießen und bin froh, dabei zu sein und sportlich helfen zu können. Dabei nehme ich meine Aufgabe als mahnende Hand schon wahr, aber nicht so megakrass, um als eine Art Übervater gesehen zu werden.

Wie fanden Ihre Eltern es, dass Sie nach der Schule keinen ordentlichen Beruf ergriffen haben, sondern Handball spielen wollten?

Die haben vielleicht eher geschnallt, wohin mein Weg geht, als ich. Ich habe seit der 10. oder 11. Klasse auf Profi-Niveau Handball trainiert, meine Eltern haben das immer gefördert, mich anfangs auch überall hingefahren. Für die war das alles ein logischer Schritt. Für mich hat sich das gar nicht so angefühlt. Ich habe einfach immer weiter, immer mehr trainiert und angenommen, was sich mir bot. Für mich war das eher Spaß, bis das erste Mal jemand kam und sagte, dafür gibt’s auch noch Geld. Das war dann der Schritt in den Profibereich.

Sind Sie manchmal neidisch auf das viele Geld im Profi-Fußball?

Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich mache mir darüber keine Gedanken. Ich versuche aber, eher in die andere Richtung zu denken, denn ich sehe unglaublich viele Sportler, die unheimlich viel mehr investieren als wir und nicht von ihrem Sport leben können. Von daher habe ich eine hohe Wertschätzung gegenüber dem, was ich hier habe. Die Auswüchse im Fußball sind sicher kritisch zu hinterfragen, haben aber auch wieder ihre Berechtigung, denn es gibt ja Sponsoren und Zuschauer, die das bezahlen.

Warum sind Sie vor einem Jahr aus Stuttgart nach Hamburg zurückgekommen, obwohl sportlich ja ein Abstieg in die Zweitklassigkeit drohte?

Auf dem Papier habe ich bei einem Zweitligisten unterschrieben, der noch nicht sicher in der 1. Liga war, das stimmt. Aber das erste Spiel haben wir ja gleich gegen Stuttgart gewonnen (lacht). Es war immer mein Wunsch, nach Hamburg zurückzukehren. Meine Kinder waren die ganze Zeit hier, ich bin in den fünfeinhalb Jahren jede Woche hergeflogen, um die Kinder zu sehen und zu betreuen. Hamburg war immer mein Lebensmittelpunkt eins a, Stuttgart immer eins b. Und es war immer mein Wunsch, hier mal wieder in die Halle zu marschieren und Handball zu spielen. Da habe ich jedes Jahr drauf gewartet. Deshalb war es wirklich sehr emotional, als die Gespräche so weit fortgeschritten waren, dass wir uns über einen Vertrag einigen konnten.

Welche Perspektiven sehen Sie für den neuen HSV Hamburg?

Unsere Möglichkeiten sind riesig in Hamburg und es ist der Traum von uns allen, wieder in die Sphären zu kommen, in denen wir früher mit dem alten HSV schon mal waren. Das kann man nicht von heute auf morgen hinzimmern, sondern man muss es ganz bewusst langsam aufbauen. Bislang ging es seit Jahren immer bergauf, es gab keine großen Rückschläge. Auch die werden vielleicht noch mal kommen. Ich kenne die gleiche Entwicklung aus Stuttgart. Deshalb muss das gesamte Umfeld nachziehen, die Struktur muss passen und hochprofessionell aufgestellt sein. Dazu sind wir auf dem besten Weg. Dann können wir mit viel weniger Investment mindestens genauso viele und schöne emotionale Erlebnisse haben wie im Fußball.

Auch bei der WM in Katar? Was empfehlen Sie den Fußballkollegen, die da um den WM-Titel spielen?

Sport ist immer politisch, Spieler haben immer das Recht und die Verpflichtung, sich entsprechend zu äußern und zu verhalten. Wichtig ist der Rahmen, wie man das tut: zum Beispiel Probleme öffentlich zu machen und eine politische Bewertung anderen zu überlassen, zum Beispiel Journalisten, die das vielleicht besser können. Das muss sein und jetzt auch hohe Relevanz haben in Katar. Aber man muss auch jeden Sportler verstehen, der auf so ein Turnier hingearbeitet hat und jetzt aufgrund von politischen Entscheidungen in so eine Bredouille kommt. Von dem kann man nicht verlangen, dass er freiwillig verzichtet.

Wann werden wir Sie so wie Ihren alten Kumpel und Teamgefährten Pascal „Pommes“ Hens im Fernsehen in irgendwelchen Spiel-Shows erleben?

Oje. Ich schließe das natürlich nicht komplett aus, aber ich schließe in jedem Fall aus, dass ich irgendwo tanze. „Pommes“ ist ein begnadeter Entertainer, der genau in solche Shows reingehört und ganz viel für den Handballsport tut, indem er ihn auf einem anderen Niveau und anderen Ebenen präsentiert. Das finde ich megageil.

Warum unterstützen Sie seit einiger Zeit das soziale Projekt „Stiftung Mittagskinder“?

Als vor 14 Jahren mein erster Sohn geboren wurde, kam der in dem Wissen auf die Welt, dass es uns sehr gut geht und anderen Kindern eben nicht. Und dass man nicht in die große weite Welt gehen muss, sondern es auch in Hamburg Bedürftigkeit gibt. Und mein Gesicht hier vielleicht etwas mehr wert sein kann als jenseits von Europa. Die Stiftung ist auf große Unterstützung von außen angewiesen, weil die Bedürftigkeit bei Kindern bestimmt nicht weniger wird. Im Gegenteil, Corona war noch mal ein Brandbeschleuniger.

Sie haben noch Vertrag bis 2026. Denken Sie manchmal daran, mit dem Handball aufzuhören, wenn es am schönsten ist?

Das ist natürlich ein Gedanke, den ich manchmal im Kopf habe. Ich kann mir sehr gut vorstellen, hier auch ohne Handballschuhe Fußstapfen zu hinterlassen. Aber aktuell sehe ich mich noch als aktiver Handballer. Für mich ist das hier alles noch die Kirsche auf der Sahne. Und ich habe Stand heute das Gefühl, dass ich noch hier hingehöre. Ich versuche, mit meinen Qualitäten das Beste zu geben. Solange ich mithalten kann und mich keiner vom Hof jagt, ist es definitiv nicht zu spät. Und wenn ich eine Saison lang einen super talentierten jungen Torwart von der Bank aus unterstütze, dann von Herzen gerne. Ich weiß, wie ich angefangen bin, und es wäre eine tolle Sache, den Staffelstab auf so eine Art und Weise zu übergeben.

Johannes Bitter (rechts) spricht mit dem Buxtehuder und Mitspieler Dominik Axmann. Foto: Uwe Anspach/dpa

Johannes Bitter (rechts) spricht mit dem Buxtehuder und Mitspieler Dominik Axmann. Foto: Uwe Anspach/dpa

Persönliches

Wenn ich mal nicht trainieren, spielen oder regenerieren muss … sitze ich leider zu viel am Rechner an irgendwelchen Tabellen und arbeite an meinen Projekten oder kümmere mich um meine Kinder.

Zeit für Hobbys … ist fast nicht da. Das Golf-Bag steht im Keller und hatte ich seit meinem Umzug nicht in der Hand.

Fußball interessiert mich … sehr. Persönlich vor allem der FC St. Pauli und Werder Bremen. Aber natürlich auch der HSV. Ich drücke ihm die Daumen für den Aufstieg. Es muss da keine Rivalität geben.

Das beste Handball-Publikum … gibt es neben Hamburg natürlich in Magdeburg.

Würfe des Gegners auf den Kopf des Torwarts ... sind in der Regel keine Absicht.

Zur Person

Der 2,05 Meter große Torwart-Hüne aus dem Oldenburger Land ist so etwas wie der Dino des deutschen Handballs. Seit über 20 Jahren spielt Johannes Bitter (40) auf höchstem Niveau. Mit mehr als 600 Bundesligaspielen und 175 Einsätzen in der Nationalmannschaft ist er zugleich einer der erfolgreichsten Spieler der Republik. Zwischen 2007 und 2015 wurde er unter der Raute des „großen“ HSV Deutscher Meister, Pokalsieger, gewann zweimal den deutschen Supercup sowie Europapokal und Champions League. Nach der Insolvenz 2016 endete die Kooperation mit dem großen Fußballnachbarn. Der Handball Sport Verein Hamburg spielte und kämpfte sich aus der 3. Liga zur vorigen Saison 2021/2022 wieder zurück in die höchste Spielklasse - mit seinem neuen Führungsspieler Johannes Bitter, den alle nur Jogi rufen. „Es war wichtig, dass wir uns als neue Mannschaft und Verein etablieren konnten und vom alten HSV Handball und dessen Vergangenheit emanzipiert haben“, sagt Bitter.

Er hat mehrere Europa- und Weltmeisterschaften gespielt, wurde 2007 Weltmeister. Schon nach den Olympischen Spielen in Tokio wollte er eigentlich Schluss machen im Nationaldress, sprang dann aber bei der EM 2021 doch noch mal ein, als die nominierten Torhüter wegen Corona ausfielen. Bitter hat in Hamburg drei Söhne und seit 2021 auch noch eine kleine Tochter.

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