Özdemir legt Glyphosat-Verordnung vor: So hart trifft es den Obstbau

Die Obstbauern kämpfen gegen ein Totalverbot von Glyphosat im Alten Land. Foto: Vasel
Kommt das Totalverbot in Wasserschutzgebieten? Das hätte drastische Folgen für diesen Teil der Altländer Obstplantagen. Die EU kommt dagegen allen Landwirten entgegen.
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Berlin/Brüssel/Altes Land. Nach der erneuten EU-Zulassung für den Unkrautvernichter Glyphosat sollen die in Deutschland geltenden Anwendungsbeschränkungen dauerhaft festgeschrieben werden. Das sieht eine Verordnung von Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) vor, die das Kabinett am Mittwoch gebilligt hat. Untersagt ist demnach der Einsatz in Haus- und Kleingärten sowie in Wasserschutzgebieten. In der Landwirtschaft bleiben etwa die Vorsaat- und Nacherntebehandlung auf Äckern und ein flächiger Einsatz auf Wiesen verboten. Die Verordnung bedarf noch der Zustimmung des Bundesrats.
Beschränkungen für Glyphosat sollen weiter gelten: Auswirkungen im Alten Land
Ohne Ausnahmegenehmigungen hätte die Verordnung große Auswirkungen auf den Obstbau im Alten Land: Rund 38 Prozent der Obstbauflächen liegen in Schutzgebieten. Bei einem Totalverbot chemischer und biologischer Pflanzenschutzmittel könnten die betroffenen Betriebe „kein marktfähiges Obst mehr produzieren“, hatte Jens Stechmann, der Vorsitzende der Bundesfachgruppe Obstbau aus Jork-Lühe, bereits im September im TAGEBLATT geklagt. Er vertritt die Interessen von 7000 Obstbauern.
Der Obstbau in Kehdingen (Vogelschutz) und im Hamburger Teil des Alten Landes (Wasserschutzgebiet) würde beim Totalverbot „vor dem Aus stehen“. Zurzeit liege der Selbstversorgungsgrad in Deutschland beim Obst insgesamt noch bei 20 Prozent, beim Apfel bei etwa 60 Prozent. Dieser Anteil würde „deutlich sinken, sollte es keine grundsätzlichen Änderungen geben“, warnte Claus Schliecker von der Landesfachgruppe Obstbau aus Guderhandviertel. Er verwies auf Studien, unter anderem des Bundesamtes für Naturschutz. Diese hätten gezeigt, dass die Biodiversität an der Niederelbe nicht unter dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln leide.
Wie Glyphosat im Obstbau eingesetzt wird
Im Integrierten Obstbau wird der Baumstreifen ein bis zwei Mal mit Glyphosat behandelt. Mit dem Chemie-Einsatz wollen die Bauern die Ernte sichern. Es soll eine Nährstoffkonkurrenz durch krautige Vegetation verhindert werden. Baum- und Fruchtwachstum haben Vorrang. Zudem soll der Mäusebefall reduziert werden. Maximal ein Drittel der Plantagen wird behandelt.
Glyphosatfreie Alternativen seien laut Mitteilungen drei Mal so teuer. Zudem müssten Bauern den Ersatz häufiger ausbringen.
Mit einer Klage gegen ein Anwendungsverbot im Wasserschutzgebiet im Hamburger Teil der III. Meile des Alten Landes waren die Bauern gescheitert.
Unkrautvernichter
Obstbauern horchen auf: Glyphosat-Entscheidung steht fest
Özdemir: Kein ideologisches Festhalten an überholtem Wirkstoff gebraucht
Özdemir sagte, es sei wichtig, dass Landwirte Rechts- und Planungssicherheit hätten, welche Mittel sie wie einsetzen dürfen. Die neue Verordnung lege deshalb fest, wo Glyphosat nicht oder nur in Ausnahmen gespritzt werden dürfe. Um die Landwirtschaft weiterzuentwickeln, würden Innovationen und kein ideologisches Festhalten an einem überholten Wirkstoff gebraucht. Moderner Pflanzenschutz nutze Glyphosat nur als letztes Mittel, wie es die gute fachliche Praxis auch vorsehe.
Die Verordnung soll eine bisherige Eilverordnung ablösen. Diese hatte auch ein eigentlich zum 1. Januar 2024 greifendes nationales Glyphosat-Verbot aufgehoben, das mit der erneuerten EU-Zulassung rechtlich keinen Bestand mehr gehabt hätte. Auch sonst auslaufende Beschränkungen wurden damit zunächst übergangsweise fortgeschrieben. Die EU-Kommission hatte die Zulassung um zehn Jahre bis 2033 verlängert. Die Behörde traf die Entscheidung, nachdem es unter den EU-Staaten keine Mehrheit dafür oder dagegen gab. Deutschland hatte sich enthalten.
Streit gibt es unter anderem darüber, ob Glyphosat krebserregend sein könnte. Zudem stehen Gefahren für die Umwelt im Raum. Eine aufwendige Untersuchung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) hatte jüngst keine inakzeptablen Gefahren gesehen, aber auf Datenlücken in mehreren Bereichen hingewiesen.
EU-Parlament stimmt schwächeren Umweltauflagen für Bauern zu
Nach wochenlangen Bauernprotesten in ganz Europa geht Brüssel einen Schritt auf die Landwirte zu, das Europaparlament nickt abgeschwächte Umweltvorgaben ab. Das sorgt auch für deutliche Kritik.
Das EU-Parlament hat den Weg für abgeschwächte Umweltauflagen in der Landwirtschaft frei gemacht. Die Abgeordneten stimmten am Mittwoch in Straßburg dafür, dass Bäuerinnen und Bauern bei der Erfüllung von Umweltvorschriften mehr Flexibilität zugestanden werden kann.
Bei den Plänen geht es unter anderem um Standards, die für guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand von Böden sorgen sollen. Grundsätzlich müssen sich Landwirte an diese halten, um von den milliardenschweren EU-Agrarsubventionen zu profitieren. Dabei handelt es sich etwa um Vorgaben für Brachflächen und Fruchtfolgen, mit denen sichergestellt werden soll, dass Böden durch die landwirtschaftliche Nutzung nicht zu sehr in Mitleidenschaft gezogen werden.
Bauernproteste
T Brisanter Besuch: Was Cem Özdemir bei den Obstbautagen erwartet
Bisher sind Bauern beispielsweise dazu verpflichtet, einen Teil ihrer Ackerfläche brachzulegen oder unproduktiv zu nutzen. Künftig soll dies nur noch freiwillig gemacht werden müssen. Die EU-Staaten sollen wiederum die Landwirte belohnen, die trotz der Lockerungen Land brachliegen lassen. Die Pläne sehen auch vor, dass kleine landwirtschaftliche Betriebe von Kontrollen und Sanktionen im Zusammenhang mit Umweltanforderungen ausgenommen werden können.
Schon länger machen Bauern und Bäuerinnen Druck auf die Politik - unter anderem beklagen sie zu viel Bürokratie. Zu Beginn des Jahres gingen sie in vielen EU-Ländern auf die Straße und demonstrierten teils gewaltvoll.
Der Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses im Europaparlament, Norbert Lins, lobte die Abstimmung als „großen Erfolg für die europäische Landwirtschaft.“ Man habe die Proteste der Landwirtinnen und Landwirte gehört und geliefert. „Den Bundeslandwirtschaftsminister fordere ich hiermit auf, die heutigen Beschlüsse in Deutschland 1:1 umzusetzen“, sagte der CDU-Politiker.
Die Grünen-Politikerin Jutta Paulus kritisierte dagegen: „Nicht die Bauern profitieren hiervon, sondern die Düngemittel- und Pestizidindustrie.“ Die Abstimmung sei ein „Schlag ins Gesicht der Wissenschaft“.
Die EU-Staaten müssen noch zustimmen, das gilt aber als sehr wahrscheinlich. Die neuen Auflagen könnten bereits in diesem Jahr Anwendung finden. Das von der Kommission vorgeschlagene Vorhaben wurde in einem Eilverfahren durch das Parlament gebracht. (dpa/at)