24-Stunden-Reportage: Pflege ohne Zeitdruck

Einrichtungsleiterin Angelika Haack (links) und ihre Mitarbeiterinnen mit einigen Besucherinnen aus der Mittwoch-Gruppe : In der Tagespflege ist Zeit für Zuwendung, Nähe und eine fröhliche Gemeinschaft. Fotos Eidtmann
In dieser Pflegeeinrichtung gibt es etwas sehr Kostbares: Zeit. Kein Gerenne über Fluren, kein „Ich komme später noch einmal“. Hier ist das Personal entspannt und zugewandt, die Senioren sind es sowieso. In die DRK-Tagespflege "Hof Elfers" gehen sie freiwillig und gerne.
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Um 10 Uhr im „Hof Elfers“, dem 2013 eingeweihten DRK-Zentrum mit Tagespflege, Sozialstation und betreutem Wohnen in Himmelpforten. Die Mittwoch-Gruppe der Tagespflege sitzt beieinander, Pflege- und Betreuungskräfte wuseln um sie herum. Wo gerade noch Frühstücksteller und Tassen standen, türmen sich jetzt Serviettenstapel, Kleber und Pinsel.
14 Frauen und ein Mann haben Weckgläser vor sich und Scheren in der Hand. Sie schnippeln Blumenmotive aus bunten Servietten heraus, und in Kürze werden Tulpen, Rosen und Anemonen ihre Glasgefäße zieren und zarte Grünpflanzen darin eine Heimat finden. Ein Fest für die Sinne.
Jeder Tag ist voller Anregungen und Sinnesfreuden. Hier geht es darum, aus Serviettentechnik etwa Schönes zu gestalten .
Wo Hilfe gebraucht wird, sind heute vom Personal Liane Schmidt, Martina Hees, Silke Moll-Wurm, FSJ-lerin Silvana Diesch und Praktikantin Dana Widera zur Stelle. Sie gehen den Bastlern zur Hand – und sie erzeugen Nähe. Hier eine Berührung, dort ein Streicheln, ein liebes Wort, eine Nachfrage.
In der Küchenzeile im selben Raum hat Susanne Wolff schon den Blechkuchen im Backofen und rollt die Hackbällchen fürs Mittagessen. Es gibt die Bällchen mit Zucchini-Paprika-Gemüse und Kartoffelbrei – ein Essen, das die kleine Gemeinschaft für diese Woche genau so bestellt hat.
„Sie lieben meinen Kartoffelbrei“, sagt die Hauswirtschafterin fröhlich. Klar, mit Sahne, But
ter und Muskat schmeckt er wie früher. Auch die Konsistenz stimmt. Nächste Woche, so wird später noch festgelegt, soll es Kartoffelsalat und Würstchen geben. Und wieder ein Thema, zu dem viele etwas beitragen können: Gehört Dill in den Salat? Was ist mit Zwiebeln?
Susanne Wolff hat heute ihre Enkelin Charlotte dabei. Die Fünfjährige geht gelegentlich gerne mit „zur Arbeit von Oma“ und bastelt eifrig mit. Das Sonnenscheinchen der Runde kennt keine Scheu, darf bei allen Alten die Namensschilder aufs Glas kleben. Das zaubert ein Lächeln aufs Gesicht der Senioren.
Mit den drei Mahlzeiten Frühstück, Mittagessen und Kaffeetafel, mit dem „Wochenthema“ (gerade kreatives Gestalten) am Vormittag und der Schlafstunde in den Fernseh- und Ohrensesseln des Extra-Ruheraums hat jeder Tag in der Tagespflege eine feste, verlässliche Struktur. Aber es ist genug Zeit für ein Liedchen zwischendurch, das Vorlesen aus dem TAGEBLATT oder aus dem Buch von Marianne Heins „En beten wat to’n amüsieren“. Plattdeutsch zu lesen, das vermag nur Martina Hees. Und fast alle Gäste können ihr folgen.
„Wir haben jetzt auch viele Besucher aus Himmelpforten und Umgebung“, freut sich Einrichtungsleiterin Angelika Haack, die mit Pflegedienstleiterin Monique Riedel bei offener Tür im Büro sitzt. Das war anfangs nicht so, als die Tagespflege Himmelpforten im November 2012 startete. Sie war die erste des DRK-Kreisverbandes Stade, mittlerweile sind Einrichtungen in Freiburg, Buxtehude und Stade dazugekommen. Weil Angelika Haack gleich für drei zuständig ist, springt sie mal hierhin, mal dahin. „Immer dahin, wo’s brennt“, lacht die 45-Jährige. Die Altenpflegerin und ausgebildete Pflegedienstleiterin macht diesen Job mit Leib und Seele.
Die Tagespflege des DRK, die wie eine gemütliche Wohnung eingerichtet und bewusst antik möbliert ist, hat montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr geöffnet. Sie bietet 75 Plätze, die derzeit von 54 Gästen belegt werden. Manche kommen nur einen Tag die Woche, andere mehrmals. Drei Rentner managen den Fahrdienst. Nahezu alle der 58- bis 98-jährigen Besucher werden geholt und wieder nach Hause gebracht. Inklusive ihrer Gehwagen und Rollstühle
Nach Hause – das ist oft immer noch die eigene Wohnung. Und in der kann es ganz schön einsam sein. Oder pflegende Angehörige sind noch da, brauchen aber Entlastung. Die Tagespflege ist für alle unterstützungsbedürftigen Senioren da, eine große Gruppe bilden Menschen mit einer demenziellen Erkrankung in ganz unterschiedlichen Stadien.
Die Pflegekasse zahlt (je nach Pflegegrad) den Aufenthalt, der Eigenanteil kann über die monatliche Entlastungsleistung finanziert werden. „Das kann sich jeder leisten“, sagt Angelika Haack. Ihre Einrichtung ist ausgebucht, aber die Zeit ist schnelllebig. Und auch das Sterben ein Thema.
Doch hier und jetzt geht es allen gut. Die 91-jährige Wilma Röndigs stammt aus Dornbusch und ist vor zwei Jahren in die Nähe ihrer Tochter nach Himmelpforten in eine Seniorenwohnung gezogen. Um unter Leute zu kommen, besucht sie mittwochs die Tagespflege. Helga Höft kommt dreimal die Woche. „Schön ist es hier“, sagt die 86-Jährige aus Himmelpforten, die noch auf dem Familienhof am Ochsenpohl lebt und früher im Altenheim in der Küche gearbeitet hat. „Das Essen ist gut, die Behandlung ist gut, alle sind freundlich“, pflichtet die 90-jährige Helene Willmann bei.
„Leni“ Willmann gehört wie Rieke Gooßen zu den Besuchern, die vom Personal das „Du“ und ihren Vornamen hören möchten. Eigentlich ist das Siezen üblich. „Aus Respekt vor ihrem Leben und ihrer Persönlichkeit“, sagt Angelika Haack.
Viel aus dem Leben der Kriegsgeneration hat Silvina Diesch erfahren, deren Freiwilliges Soziales Jahr zu Ende geht. Die 17-Jährige möchte diese Erfahrung nicht missen. Sie fand die Zeit „super“, wird jetzt ihr Fachabi Gesundheit und Soziales ansteuern und vielleicht in die Behindertenhilfe gehen. Damit geht es ihr wie vielen vor ihr, die im FSJ beim DRK sich selbst und eine berufliche Richtung „gefunden“ haben. Neue Bewerber, so Angelika Haack, sind herzlich willkommen.
Für die Serie „24 Stunden: Reportagen rund um die Uhr“ verbringen TAGEBLATT-Redakteure je eine Stunde an einem Ort in der Region. Start und Ende der Serie ist 0 Uhr, was 24 Stunden und damit 24 Serienteile ergibt. Und das sind die Folgen:
- Teil 1: Bei der Polizei
- Teil 2: Im Pressehaus
- Teil 3: Beim Bäcker
- Teil 4: Bei der Post
- Teil 5: Auf der Jagd
- Teil 6: Auf der ersten Fähre
- Teil 7: Der Greenkeeper
- Teil 8: In der Leitstelle
- Teil 9: Bei der Straßenmeisterei
- Teil 10: Im Hotel
- Teil 11: Bei der Tagespflege
- Teil 12: In der Touristen-Information
- Teil 13: Am Imbiss
- Teil 14: Besuch beim Schäfer
- Teil 15: Der Bestatter
- Teil 16: Beim Brückenwärter
- Teil 17: Der Tierarzt
- Teil 18: Im Landgasthof
- Teil 19: In der Notaufnahme
- Teil 20: Bei der Fahrschule
- Teil 21: Auf dem Autohof
- Teil 22: Beim Lieferservice
- Teil 23: Bei der Ernte
- Teil 24: Neben einem Angler
