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24-Stunden-Reportage: 400 Kilometer Straßenrand pflegen

Marcus Bawol und sein Unimog. Das Fahrzeug ist mit zwei Mähwerken ausgestattet und kostet in dieser Ausführung über 300 000 Euro. Fotos Wisser

Marcus Bawol und sein Unimog. Das Fahrzeug ist mit zwei Mähwerken ausgestattet und kostet in dieser Ausführung über 300 000 Euro. Fotos Wisser

Scheibenwischer oder Stinkefinger – an solche Gesten sind Marcus Bawol und seine Kollegen von der Straßenmeisterei gewöhnt. Aus Sicht vieler Fahrer sind jene Leute, die das Wachstum an Straßenrändern im Zaum halten, Verkehrshindernisse. Das TAGEBLATT war von 8 bis 9 Uhr dabei.

Von Karsten Wisser Mittwoch, 12.07.2017, 11:00 Uhr

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Als Marcus Bawol an diesem Tag um 8 Uhr in einen aufgerüsteten Unimog steigt, ist ihm allerdings schon klar, dass das heute ein sehr ruhiger Tag wird. Der 30 Jahre alte Straßenwärter soll den Seitenstreifen der Kreisstraße bei Ahlerstedt freimähen. Verkehrstechnisch ist da ohnehin nicht viel los und jetzt sind auch noch Sommerferien. „Heute passiert nicht viel“, warnt Bawol seinen Fahrgast schon mal vor.

Wenn Fahrzeuge des Landkreises Stade auf viel genutzten Strecken unterwegs sind, wie etwa auf den Pendler- und Lkw-Strecken, dann kann das schon mal anders sein. Für die Staubildung als Folge der beruflichen Tätigkeit Marcus Bawols und seiner Mitstreiter haben nicht alle Verständnis, was dann manchmal zu den oben geschilderten „Handzeichen“ führt. Bawols Arbeit beginnt um 7 Uhr, bevor er auf sein Fahrzeug steigt, gibt es eine Dienstbesprechung.

Bevor das eigentliche Mähen losgeht, gibt es noch einen kurzen Stopp auf einem Parkplatz. Ein paar Handgriffen bedarf es, bevor die beiden an der Beifahrerseite des Unimog montierten Mähwerke einsatzbereit sind. Dann geht es los, mit einer Geschwindigkeit von drei Stundenkilometern. Das vordere Mähwerk ist für den Bereich direkt neben der Fahrbahn zuständig und klappt automatisch ein, wenn der nächste Seitenleitpfahl im Weg steht.

Das hintere ist für den Bereich dahinter verantwortlich und wird von Marcus Bawol mit einem Joystick aus dem Wageninneren gesteuert. Trotz der sehr niedrigen Fahrgeschwindigkeit muss Bawol konzentriert bleiben. Beide Mähwerke müssen permanent beobachtet und gelenkt und der Verkehr im Blick behalten werden, denn der große Unimog schert in bestimmten Situationen in Richtung Straße aus. Ihm selbst sei noch nichts passiert, einen abgefahrenen Seitenspiegel habe es aber schon des Öfteren gegeben, sagt Bawol, „es gibt immer wieder Situationen, in denen denke ich, wieso fährt der so nah an mir vorbei. Da war doch genug Platz.“

Die beiden Mähwerke im Einsatz. Pro Jahr werden die Seitenräume drei bis vier Mal freigemäht.

Die Mähfahrzeuge sind von Mai bis November unterwegs. Die meisten Straßen werden in dieser Zeit zwei- bis dreimal gemäht. In einem Jahr wie diesem, in dem die Kombination aus reichlich Regen und ausreichender Temperatur das Wachstum der Natur antreibt, werden es vier Schnitte und mehr. Wenn beide Mähwerke laufen, ist der Geräuschpegel im Inneren der Fahrerkabine ziemlich hoch. „Irgendwann brauche ich die Kopfhörer“, sagt Bawol, der in seiner Freizeit eine Fußballmannschaft beim TuS Harsefeld trainiert. Ein Problem beim Mähen sind die Steine, die durch die Mähwerke hochgeschleudert werden. Es kommt immer mal wieder vor, dass trotz Abschirmung mit Drahtnetz und Gummischutzmatte, ein Stein wegfliegt und das eigene oder ein anderes Fahrzeug trifft. Für solche Fälle gibt es eine Versicherung.

Die Straßenmeisterei in Bliedersdorf und der Stützpunkt in Drochtersen kümmern sich um rund 400 Kilometer Kreisstraßen im Landkreis Stade. Beide Standorte sind fast gleich ausgerüstet und beschäftigen je 18 Mitarbeiter. Neben der Kontrolle der Straßen und dem Ausmähen gehört der Winterdienst zum Aufgabenfeld der Mitarbeiter.

Hightech an Bord des Mähfahrzeugs. Über die Mittelkonsole werden die Mähwerke gesteuert.

„Viele Leute wissen gar nicht, was ein Straßenwärter macht“, sagt Bawol. Er arbeitet nach einer dreijährigen Ausbildungszeit seit 2011 für die Kreisverwaltung. Dass der Job nicht ohne ist, kann sich der Laie schon vorstellen, wenn er die mittlere Steuerkonsole im Fahrzeug sieht. Das ist Hightech. Die Fahrzeuge kosten mit Mähausrüstung über 300 000 Euro. „Wer denkt, der Beruf des Straßenwärters hat noch etwas mit dem Bild eines auf die Schaufel gestützten Arbeiters von früher zu tun, weiß nicht, worum es bei uns geht“, sagt Uwe Pahl, Chef der Straßenmeisterei des Landkreises Stade. Aktuell sucht der Landkreis Auszubildende.

Währenddessen ist die Stunde im Fahrzeug fast rum. Die wenigen Autos, die auf Höhe Ahlerstedt den im Standgas-Modus fahrenden Unimog überholt haben, taten das im ausreichenden Abstand. So könnte es immer sein. Da durch Hin- und Rückweg zur Straßenmeisterei etwas Zeit verloren gegangen ist, stehen nur 1,7 Kilometer gemähter Seitenraum zu Buche. Normalerweise schafft Marcus Bawol um die zehn Kilometer am Tag, heute werden es am Ende ein paar weniger sein.

 

Für die Serie „24 Stunden: Reportagen rund um die Uhr“ verbringen TAGEBLATT-Redakteure je eine Stunde an einem Ort in der Region. Start und Ende der Serie ist 0 Uhr, was 24 Stunden und damit 24 Serienteile ergibt. Und das sind die Folgen:

24-Stunden-Reportage: 400 Kilometer Straßenrand pflegen

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