24-Stunden-Reportage: Trends nach dem Tod

Urnen in vielen Variationen: Bestatter Holger Ringel hat sie schlicht, mit besinnlichen Motiven – und wer sie selbst gestalten will, kann das auch. Fotos Stief
Auch das Bestatten unterliegt Moden. Eines ist bei allen Veränderungen aber geblieben: Hinterbliebene vertrauen dem Bestatter vor Ort. Einer von ihnen ist Holger Ringel aus Buxtehude.
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Von Trends bleibt aber auch der Buxtehuder Bestatter nicht verschont. Zum Beispiel, dass er heute Aufgaben übernimmt, die früher ausschließlich dem Pfarrer zugerechnet wurden. Trauerpsychologie muss hier das rein Handwerkliche und Kaufmännische ergänzen.
Dem stellt sich Holger Ringel. Dann blättere er mit Angehörigen im Lebensbuch des Verstorbenen, schlägt die Seiten auf, die dann einen roten Faden ergeben. Er lenkt das Gespräch auf die schönen Erinnerungen, die vielleicht mit „weißt Du noch ...“ anfangen. All das Besprochene fügt Holger Ringel dann zu einer Trauerrede zusammen.
„Ich spreche zu 90 Prozent über das Leben, nur zu zehn Prozent über den Tod“, sagt Ringel, wohl wissend, dass Pfarrer und Pastoren andere Verhältnisse wählen. Auch die Musik, die den bewegenden Moment begleitet, wird dazu von den Angehörigen frei gewählt, wenn sie nicht schon vom Verstorbenen festgelegt wurde.
Holger Ringel wird nach draußen gerufen. Ein Mitarbeiter ist rückwärts an den Eingang gefahren und bittet um Hilfe. Ein toter Mann muss durch den Flur in die Kühlhalle gebracht werden. Ein schwerer Mann, zu schwer für einen allein. Auch das ist ein Trend. Immer öfter haben es die Bestatter mit Menschen zu tun, die weit über 100 Kilogramm wiegen. Mit Körpereinsatz bugsieren die beiden Männer die rollende Bahre über die Rampe.
Die Angehörigen der Verstorbene, die Holger Ringels Dienste in Anspruch nehmen, gedenken des Verstorbenen in einem feierlich dekorierten Raum am Firmensitz des Bestattungsunternehmens am Brillenburgsweg. Abschiednahme und Trauerfeier sind in Ringels Räumen möglich.
Bis zu 40 Personen haben in der einen Hälfte der Halle Platz, die an eine Friedhofskapelle erinnert. Die andere Hälfte ist für den Sarg, das Rednerpult und die dekorativen Accessoires bestimmt. Ein Trend, der sich bereits verfestigt hat: Ein Bild des verstorbenen Menschen steht mit am Sarg. „Ich empfehle meinen Kunden, den Rahmen für das Bild so auszuwählen, dass er zu ihrem Wohnzimmer passt“, sagt Holger Ringel und denkt ganz praktisch.
Der Raum für Abschiednahme und Trauerfeiern auf dem Firmengelände in Buxtehude ist für 40 Personen ausgelegt.
Das Handwerkliche, also den Leichnam für die letzten Wege vorzubereiten, ist wohl die Kernaufgabe des Bestatters. Und harte körperliche Arbeit, die von einem allein nicht bewältigt werden kann. Im Familienunternehmen Ringel ist daher Ehefrau Sabine dabei, der Sohn tritt beruflich in die Fußstapfen der Eltern.
Was gemeinhin als Waschen und kosmetische Arbeit bezeichnet wird, nennt sich im Fachausdruck Thanatopraxie. Das umfasst sämtliche Tätigkeiten, die notwendig sind, um sowohl ästhetisch als auch hygienisch eine einwandfreie Aufbahrung eines Verstorbenen vornehmen zu können. Steht eine Auslandsüberführung an, muss ein Toter besonders behandelt und einbalsamiert werden.
Die Würde des Menschen ist unantastbar – das ist das Credo von Holger Ringel, was sich auch auf der Homepage des Unternehmens wiederfindet. Ein Blick in den Raum, in dem der Verstorbene hergerichtet wird, ist gestattet, aber in aller Zurückhaltung.
Ringel erklärt die Wundversorgung und zeigt ein besonders abdichtendes Pflaster. Die Vorrichtung für das Haarewaschen ähnelt der in einem Friseurgeschäft, und elastische Gestelle sorgen dezent dafür, dass der Mund des Toten geschlossen bleibt. Auch einen Ersatz für das Gebiss gibt es. Und, relativ neu, die Möglichkeit, Fingerabdrücke zu nehmen.
Der Verstorbene, der in solch einer Urne beigesetzt wurde, war Lkw-Fahrer (Foto, links). Das Kreuz ist innen hohl und kann ein paar Gramm der Asche des Verstorbenen aufnehmen.
Zurück im Beratungszimmer: Die Urne gibt es dezent mit Schmuckband, mit sinnigem Motiv oder als kreative Variante, die dann mit eigenen Bildern und Texten beklebt werden kann. Da sind die Geschmäcker ganz verschieden. Ringels Lieblingsmotiv ist der Lkw, der auf einer langen Straße hinauf ins Licht fährt.
Ein solches Licht hat Holger Ringel selbst auch schon gesehen, sagt er. Da war er 19 Jahre alt und fuhr zur See. Ein Strudel zog ihn unter Wasser und gab ihn nicht wieder her. Nach einer dann doch geglückten Rettung und mehreren Tagen im Koma erwachte er in einem Krankenhaus – mit dem besonderen Erlebnis, einen Eindruck vom Leben erhalten zu haben, kurz bevor es zu Ende geht. „Nur damit Sie verstehen, warum ich Bestatter geworden bin“, erklärt Holger Ringel dem Reporter.
Seit 70 Jahren gibt es das Bestattungsinstitut, das Sabine und Holger Ringel jetzt betreiben, in Buxtehude. War es früher fast ausschließlich die Erdbestattung im Sarg, die die Kunden wünschten, gibt es heute eine breite Angebotspalette. Die Bestattung zur See ist möglich, ebenso die im Friedwald. Auch da hat sich ein Trend im Laufe der vergangenen Jahre verfestigt: Mehrmals die Woche hat Holger Ringel im Friedwald in Neukloster zu tun.
Für die Serie „24 Stunden: Reportagen rund um die Uhr“ verbringen TAGEBLATT-Redakteure je eine Stunde an einem Ort in der Region. Start und Ende der Serie ist 0 Uhr, was 24 Stunden und damit 24 Serienteile ergibt. Und das sind die Folgen:
- Teil 1: Bei der Polizei
- Teil 2: Im Pressehaus
- Teil 3: Beim Bäcker
- Teil 4: Bei der Post
- Teil 5: Auf der Jagd
- Teil 6: Auf der ersten Fähre
- Teil 7: Der Greenkeeper
- Teil 8: In der Leitstelle
- Teil 9: Bei der Straßenmeisterei
- Teil 10: Im Hotel
- Teil 11: Bei der Tagespflege
- Teil 12: In der Touristen-Information
- Teil 13: Am Imbiss
- Teil 14: Besuch beim Schäfer
- Teil 15: Der Bestatter
- Teil 16: Beim Brückenwärter
- Teil 17: Der Tierarzt
- Teil 18: Im Landgasthof
- Teil 19: In der Notaufnahme
- Teil 20: Bei der Fahrschule
- Teil 21: Auf dem Autohof
- Teil 22: Beim Lieferservice
- Teil 23: Bei der Ernte
- Teil 24: Neben einem Angler