Älteste Buchbinderei gibt gedruckten Schätzen neuen Glanz
Buchbinderin Moiken Petong restauriert in der Werkstatt der Buchbinderei Fritz Castagne ein altes Buch. Foto: Marcus Brandt/dpa
Hier werden seit 225 Jahren Ideen, Gedanken und Geschichten zwischen Buchdeckel gebunden. In Deutschlands ältester Buchbinderei in Kiel bekommen alte Schriftschätze ein zweites Leben.
Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!
Kiel. Das alte Papier ist dünn und empfindlich. Seite für Seite legt Moiken Petong an ihrer Werkbank vorsichtig aufeinander. Das Predigtbuch mit dem schwarzen Einband aus dem 19. Jahrhundert war komplett auseinandergefallen - jetzt wird es in der Kieler Universitätsbuchbinderei Fritz Castagne sorgsam restauriert.
„Nachdem ich zunächst alles in die Einzelteile zerlegt habe, füge ich es nun wieder fest zusammen“, sagt die Buchbinderin. Dabei kommen ganz nach alter Tradition pflanzliche oder tierische Klebstoffe zum Einsatz, die im Wasserbad erhitzt werden. Ganz zum Schluss, nachdem die Buchbinderin ihn verstärkt hat, baut sie den alten Buchrücken wieder auf.
Ein altes Kochbuch ist aus dem Leim gegangen, der Einband eines Kinderbuches ist beschädigt - solche alten Schätze liebevoll zu restaurieren ist das Handwerk, das die Universitätsbuchbinderei Fritz Castagne mitten in der Kieler Altstadt betreibt. Und das seit mittlerweile 225 Jahren. „Wir sind damit die älteste noch bestehende Buchbinderei Deutschlands“, sagt Stefanie Tönnis stolz, die den Handwerksbetrieb seit 25 Jahren führt. Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur erklärt auch der Bund Deutscher Buchbinder, ihm sei keine ältere gewerbliche Buchbinderei in Deutschland bekannt.
Dänischer König ernannte den Universitätsbuchbinder
Am 8. Dezember 1800 hatte der in Anklam geborene Buchbinder Johann Friedrich Castagne seine Werkstatt in der Kieler Altstadt eröffnet, in der er auch Papierhandel betrieb. Vom dänischen König Christian VII. wurde er 1802 zum Universitätsbuchbinder ernannt. Die damals zu Dänemark gehörende Stadt Kiel hatte nur 7.000 Einwohner, die 1665 gegründete Christian-Albrechts-Universität war ein bedeutender Arbeitgeber.
Die Familie Castagne führte die Buchbinderei und das Ladengeschäft in sechs Generationen, davon fast 100 Jahre in der Dänischen Straße 11 im Herzen der Kieler Innenstadt. Erst Ende 1996 zog der Betrieb an den jetzigen Standort in der Faulstraße. Fritz Castagne übergab die Buchbinderei nach der 200-Jahr-Feier im Jahr 2000 an seine Nachfolgerin Stefanie Tönnis.
„Ich habe hier 1988 meine Ausbildung begonnen“, sagt die heute 57-Jährige. Ursprünglich wollte sie Papierrestaurierung studieren. Nach ihrer Lehre zog sie nach Florenz und später nach Ascona, wo sie entsprechende Kurse besuchte. Zwischendurch kam sie immer wieder zurück zu Castagne, nach ihrer Meisterprüfung 1995 in München dann dauerhaft. „Es hat mir hier so viel Spaß gemacht, dass ich dabeigeblieben bin.“
Maschinen aus dem 19. Jahrhundert sind noch im Einsatz
Heute ist die Buchbinderei Werkstatt, Lager und Verkaufsraum in einem - und zugleich ein kleines Handwerksmuseum. Denn die alten Maschinen aus dem 19. Jahrhundert sind immer noch im Einsatz, etwa die große Stockpresse aus Gusseisen oder die Heftmaschine. „Sie heftet Seiten mit Nadel und Faden, im Prinzip wie eine Riesen-Nähmaschine“, erklärt Tönnis.
An den Wänden hängen Regale mit alten Vergolde-Stempeln, mit denen unter anderem Notizblöcke verziert werden, auch für Buchtitel werden sie verwendet. In vielen flachen Schubladen liegen Messingtypen für die Heißprägung in unterschiedlichsten Schriftarten. Sie müssen wie früher noch von Hand gesetzt werden.
Aus der Universität kommen deutlich weniger Aufträge als früher. Heute werden bei Castagne noch Zeitschriften für einzelne Uni-Fachbereiche gebunden. Hauptkunden sind Bibliotheken, Museen und Verbände, die ihre Fachpublikationen binden lassen. Und immer mehr bibliophile Menschen, die ihre alten Lieblingsbücher restaurieren lassen wollen.
„Der Vorteil in unserem Handwerk ist: Wir können jeden Kundenwunsch bedienen“, sagt Stefanie Tönnis. Sie und ihre beiden Kolleginnen Moiken Petong (30) und Janne Jaschob (35) bearbeiten heute viel mehr Einzel- und Sonderanfertigungen als früher. Wie zum Beispiel den Wunsch einer Kundin, für den Einband ihres großen Buches alten Leinenstoff zu verwenden.
„Die Geschichte eines Buches muss immer sichtbar sein“
Es sei nicht das Ziel, Bücher nach der Restaurierung wie neu erscheinen zu lassen. „Es kann einem Buch nichts Besseres passieren, als wenn es gelesen und benutzt worden ist und man es ihm auch anmerkt“, sagt Tönnis. Eine Widmung, eine an den Rand geschriebene Bemerkung, eine Zeichnung - „die Geschichte eines Buches muss immer noch sichtbar sein.“
Die Gästebücher der Kieler Staatskanzlei und des Landeshauses kommen aus der Buchbinderei Castagne, prominente Kunden waren unter anderen die frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis, der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Brillen-Unternehmer Günther Fielmann.
Neben der Restaurierung alter Bücher setzen Tönnis und ihre Kolleginnen auch auf neue Produkte - zum Beispiel Schreibtischablagen aus Holz und Filz, kunstvoll gestaltete Fotoalben und Kalender oder Boxen zur Aufbewahrung handgeschriebener Rezepte. Außerdem bieten sie zahlreiche handgeschöpfte und ausgefallene Papiersorten an. Interessierte können auch Buchbinder-Kurse besuchen.
„Es ist die Kombination aus der Restaurierung alter Bücher und neuen individuellen Anfertigungen, die den Reiz ausmacht. Das ist das Besondere“, sagt Tönnis. Solche individuellen Stücke könne man im Internet nicht bestellen. Die Digitalisierung habe natürlich einen großen Einfluss auf das Berufsbild, aber umso mehr müssten sich Buchbinder deshalb auf ihre Fähigkeiten konzentrieren. „Das Entscheidende ist die Individualität des Handwerks, das macht uns aus.“
Geburtstag wird in der Buchbinderei gefeiert
Reich werde man dadurch nicht, aber es sei ein toller Beruf, der ihr auch nach fast 40 Jahren noch Spaß mache. „Für die Seele ist es gut“, erklärt Stefanie Tönnis und lacht. Sie würde sich sehr freuen, wenn jemand die Buchbinderei weiterbetriebt, wenn sie eines Tages aufhört.
Am 8. Dezember wird in der Buchbinderei erst einmal gefeiert und auf den 225. Geburtstag angestoßen. Dann sind Kundinnen und Kunden und alle Interessierten von 12.00 bis 18.00 Uhr eingeladen.

Stefanie Tönnis, Inhaberin der Buchbinderei Fritz Castagne, hält ein kleines historisches Heft der Buchbinderei hoch. Foto: Marcus Brandt/dpa

Eine Mitarbeiterin hält in der Werkstatt der Buchbinderei Fritz Castagne Heißprägeschriften in der Hand. Foto: Marcus Brandt/dpa

Stefanie Tönnis, Buchbindermeisterin und Inhaberin der Buchbinderei Fritz Castagne, steht mit einem Auftragsbuch in der Werkstatt an einer Stockpresse. Foto: Marcus Brandt/dpa

Eine Mitarbeiterin zieht in der Werkstatt der Buchbinderei Fritz Castagne einen Vergoldestempel aus einem Regal. Foto: Marcus Brandt/dpa

Buchbinderin Moiken Petong restauriert in der Werkstatt der Buchbinderei Fritz Castagne ein altes Buch. Foto: Marcus Brandt/dpa