Erster Bahn-Streik-Tag sorgt für mehr Verkehr auf Straßen – Debatte um das Streikrecht

Der Bahnstreik hat auch im Kreis Stade begonnen. Foto: Bodo Marks/dpa
Fast alle Räder stehen auf der Schiene still, weil es die Lokführergewerkschaft im Tarifkonflikt mit der Deutschen Bahn so will. Das ist auch im Kreis Stade deutlich zu spüren. Viele Menschen haben sich aber auf den Arbeitskampf eingestellt.
Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!
Landkreis. Viele gestrichene Fernverbindungen, S- und Regionalbahnen im Notfall-Takt: Bahnreisende und Pendler müssen seit Mittwoch auch in Hamburg und Schleswig-Holstein wieder viel Geduld mitbringen oder auf Alternativen umsteigen. Das wird noch bis Montag so sein. Seit Beginn des sechstägigen bundesweiten Streiks der Lokführergewerkschaft GDL um 2.00 Uhr fährt die Deutschen Bahn nach Notfahrplan - auch die Hamburger S-Bahn ist betroffen. Fahrgäste wurden aufgefordert, in der Hansestadt auf Busse und U-Bahnen umzusteigen.
Auf den Straßen hatte der Streik sichtbare Folgen. Die Verkehrslage sei lebhaft, der Bahnstreik deutlich spürbar, sagte ein Sprecher der Verkehrsleitzentrale am Morgen. So begann der erste Tag des Lokführerstreiks für viele Autofahrer in Hamburg mit Staus.
Wie schon bei den vorigen Streiks fallen laut Bahn ungefähr 80 Prozent der Fernzüge aus. Auch im Regionalverkehr gebe es erhebliche Einschränkungen, sagte die Sprecherin. Der Arbeitskampf soll bis Montagabend um 18 Uhr andauern.
HVV am Mittwoch: So fahren S5 und S3
„Es wird zu massiven Einschränkungen im S-Bahn-Verkehr kommen“, heißt es auch auf der Webseite der S-Bahn Hamburg. Wie zuletzt vor rund zwei Wochen will die S-Bahn allerdings versuchen, auf den Linien S1, S2, S3 und S5 nach einem Notfahrplan Fahrten anzubieten.
Folgende Strecken werden bedient.
- S5: zwischen Stade und Neugraben im 60-Minuten-Takt. Die S-Bahn fährt laut DB-Navigator stündlich um .36 ab Stade und ab .56 ab Buxtehude.
- S3: zwischen Neugraben und Pinneberg im 20-Minuten-Takt
- S1: zwischen Wedel und Blankenese; zwischen Blankenese und Airport im 20-Minuten-Takt; zwischen Berliner Tor und Ohlsdorf gibt es bis einschließlich Donnerstag Ersatzverkehr mit Bussen wegen planmäßigen Bauarbeiten; zwischen Ohlsdorf und Poppenbüttel fahren aktuell keine S-Bahnen. Busse der Linien 174 und 179 sollen genutzt werden
- S2: zwischen Altona und Aumühle im 20-Minuten-Takt
Der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) rechnet im Regionalverkehr mit starken Beeinträchtigungen. „Fahrgäste werden gebeten, nach Möglichkeit U-Bahnen und Busse zu nutzen.“ Diese werden nicht bestreikt. Für Echtzeitinformationen solle die Verbindungssuche auf dieser Seite oder die DB Navigator App genutzt werden. Aufgrund der unklaren Betriebssituation seien die Fahrzeiten nur kurzfristig abrufbar.
Ersatzverkehr mit Bussen bei Start Unterelbe
Die Züge von „Start Unterelbe“ verkehren voraussichtlich im Dreistundentakt zwischen Cuxhaven und Hamburg-Harburg, meldet das Unternehmen auf seiner Internetseite. Ein Ersatzverkehr mit Bussen zwischen Cuxhaven und Stade ist eingerichtet. Der Bus-Notfallfahrplan für die Bahnlinie RE am Mittwoch kann hier als PDF heruntergeladen werden.
Am diesem Donnerstag verkehrt der Start Unterelbe zu folgenden Zeiten ab Stade nach Hamburg:
- 5.25 Uhr
- 6.05 Uhr
- 7.05 Uhr
- 11.05 Uhr
- 12.05 Uhr
- 13.05 Uhr
- 15.05 Uhr
- 18.05 Uhr
- 20.05 Uhr
- 22.05 Uhr
Von Hamburg-Harburg aus geht es zu folgenden Zeiten am Donnerstag zurück in den Landkreis Stade:
- 6.23 Uhr
- 7.23 Uhr
- 8.23 Uhr
- 12.23 Uhr
- 13.23 Uhr
- 14.23 Uhr
- 16.23 Uhr
- 19.23 Uhr
- 21.23 Uhr
- 23.23 Uhr
Mit einem erhöten Fahrgastaufkommen sei zu rechnen.
Viele Regionalbahnbetreiber mit Angeboten im Nordwesten hatten darauf verwiesen mit, dass ihre Mitarbeiter nicht zum Streik aufgerufen seien. Ein Sprecher vom Betreiber Metronom sprach am Nachmittag von geringen Streikauswirkungen. Die Züge seien voller als sonst gewesen, sagte er. Für Einschränkungen habe eher der Sturm gesorgt. Konkret betroffen von einem streikbedingten Ausfall ist dem Sprecher zufolge die Erixx-Teilstrecke zwischen Braunschweig und Vienenburg. Das dürfte wegen eines fehlenden Fahrdienstleiters auch in den kommenden Tagen so bleiben, sagte er.
Sechs Tage langer Arbeitskampf - Sollte das Streikrecht reformiert werden?
Im seit November laufenden Tarifstreit ist es der vierte und mit sechs Tagen längste Arbeitskampf. Neben finanziellen Forderungen dreht sich die Auseinandersetzung vor allem um das Thema Absenkung der Wochenarbeitszeit für Schichtarbeiter. Die GDL will diese von 38 auf 35 Stunden bei gleichbleibendem Gehalt reduzieren. Die Bahn hat bisher ein Wahlmodell angeboten, das eine einstündige Absenkung ohne finanzielle Einbußen vorsieht. Wer sich dagegen entscheidet, erhält stattdessen 2,7 Prozent mehr Geld. Gewerkschaftschef Claus Weselsky sieht in der Offerte keine Grundlage für weitere Verhandlungen.
In Niedersachsen lösten die neuerlichen Arbeitsniederlegungen eine Debatte um eine Reform des Streikrechts aus. „Dieser Streik betrifft Millionen von Bahnreisenden und Berufspendlern, die Wirtschaft muss enorme volkswirtschaftliche Schäden verkraften“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Niedersachsenmetall, Volker Schmidt, am Mittwoch. Er sprach sich daher für eine Reform des Streikrechts aus.
Um die Auswirkungen von Arbeitskämpfen zu begrenzen, die die kritische Infrastruktur betreffen, sollten diese aus Sicht des Arbeitgeberverbandes verbindlich an ein unabhängiges Schlichtungsverfahren gekoppelt werden. „Damit würde vermieden werden, dass sich eine Tarifpartei wie jetzt die GDL, Verhandlungen schlicht verweigert und ein ganzes Land für ein kaum mehr nachvollziehbares Machtgebaren in Mithaftung genommen wird“, sagte Schmidt.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in Niedersachsen warnte hingegen vor Forderungen nach einer Einschränkung des Streikrechts. „Streiks sind nicht nur ein rechtlich zulässiges, sondern explizit auch durchs Grundgesetz geschütztes Mittel im Arbeitskampf“, sagte der DGB-Landesvorsitzende Mehrdad Payandeh. Ohne Streikrecht gebe es keine Tarifverhandlungen auf Augenhöhe. Der wirtschaftliche Druck sei das einzige Mittel der Beschäftigten, um für ihre Interessen zu kämpfen.
Das Streikrecht ist und bleibt auch für den Arbeitgeberverband ein Grundrecht. „Aber die Politik muss im Interesse des Gemeinwohls handeln und Streiks dieses Ausmaßes künftig einschränken“, sagte Verbandschef Schmidt. „Ausgerechnet inmitten einer tiefgreifenden Rezession erneut das gesamte Land für mehrere Tage lahmzulegen und wirtschaftlich zu sedieren, ist nicht nur verantwortungslos – es sprengt auch den Rahmen der rechtlich festgeschriebenen Verhältnismäßigkeit von Streikmaßnahmen.“
Wirtschaftsminister Olaf Lies verwies auf die Auswirkungen und forderte die Tarifparteien zu Verhandlungen auf. „Für die Wirtschaft in Niedersachsen bedeutet ein solcher Streik Schäden in Millionenhöhe“, sagte der SPD-Politiker der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“. Vor allem die starke Logistikbranche im Land sei hart betroffen.
Für den Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion, Sebastian Lechner, sind Arbeitszeitverkürzungen kein guter Weg in Zeiten des Arbeits- und Fachkräftemangels. Die müsse den Lokführern einen Anreiz bieten, mehr zu arbeiten, was sich auch löhnen müsse, sagte Lechner. „Die GDL sollte auf ihre Maximalforderungen nach erheblicher Arbeitszeitverkürzung verzichten, und die Deutsche Bahn AG sollte dafür die Lokführer noch besser bezahlen“, forderte Lechner. Er sieht für eine mögliche Vermittlung Kanzler Olaf Scholz (SPD) in der Pflicht.
HHLA: Kaum Probleme an den Containerterminals
Der Hamburger Hafenlogistiker HHLA rechnet trotz des bereits seit Dienstag laufenden Bahnstreiks im Güterverkehr nicht mit größeren Einschränkungen an den Containerterminals. „Die Terminals der HHLA werden ihre geplante Abfertigung an die potenziellen Veränderungen im Bahnverkehr anpassen“, sagte eine Sprecherin der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) der Deutschen Presse-Agentur. Mit Unregelmäßigkeiten bei Planung und Abwicklung rechne jedoch die HHLA-Bahntochter Metrans. Sie werde ihre Kunden aber laufend über mögliche Verzögerungen informieren und an Lösungen für die durch den Streik bei der Bahn entstehenden Probleme arbeiten, kündigte die Sprecherin an.

Christian Kunsch, Vorsitzender der Geschäftsführung am Hamburg Airport, spricht während eines Interviewtermins. Foto: Rabea Gruber/dpa
Flughafenchef: Streik bei Bahn beeinträchtigt auch Airportbetrieb
Profitiert der Hamburger Flughafen vom Lokführerstreik? Nein, im Gegenteil, sagt Airportchef Kunsch.„Es wird schwieriger für die Leute zum Flughafen zu kommen“, erklärte der neue Geschäftsführer des Airports, Christian Kunsch. Beim letzten Streik der Lokführergewerkschaft GdL vor zwei Wochen habe die S-Bahn alle 20 Minuten fahren sollen, dennoch seien Züge ausgefallen. Aus Angst, ihren Flug zu verpassen, kämen viele Passagiere zwei oder drei Stunden früher als nötig zum Flughafen. Die Terminals seien darum voller als sonst. Vor dem Check-in bildeten sich lange Schlangen, obwohl die Schalter noch gar nicht geöffnet seien. „Unser normaler Prozess wird gestört“, sagte Kunsch. Auf seiner Internetseite rät der Airport, U-Bahnen und Busse für die Anreise zu nutzen.
Auf die Flugbuchungen hat der sechstägige Streik bis Montag nach Einschätzung des Airportchefs kaum Auswirkungen. Für ein kurzfristiges Umsteigen von der Bahn in den Flieger fehlten die Kapazitäten. „Die Flieger sind gut ausgelastet“, sagte Kunsch. Es gebe nur noch wenige freie Plätze und die Preise seien enorm hoch. „Einer Airline fällt es zurzeit schwer, irgendwo noch mal ein Flugzeug herzuholen und eine Crew auf das Flugzeug zu setzen“, erklärte Kunsch.
Der Lufthansa-Konzern hatte am Dienstag über eine höhere Nachfrage auf den innerdeutschen Strecken berichtet. Es gebe für den Streikzeitraum „einige zusätzliche Buchungen“, hieß es. Man setze auch größere Flugzeuge ein. Die Tochtergesellschaft Eurowings stellte eine sprunghaft gestiegene Nachfrage auf ihren innerdeutschen Strecken fest. In diesen Tagen verzeichne man die höchsten Buchungseingänge der vergangenen vier Jahre, sagte ein Sprecher. Als Marktführer an Flughäfen wie Düsseldorf, Hamburg, Berlin, Köln/Bonn und Stuttgart verfüge man aber noch über freie Kapazitäten.
Güterverkehr-Streik belastet Chemieindustrie
Im Güterverkehr hatte die GDL mit dem Streik bereits am Dienstagabend begonnen. Der Ausstand dort sei wie geplant um 18 Uhr angelaufen, sagte ein GDL-Sprecher auf Anfrage. Insbesondere Branchen mit hohem Schienengüter-Anteil müssen umdisponieren. „Der angekündigte sechstägige Bahnstreik belastet die Transportlogistik in Deutschland und Europa und damit auch Unternehmen der deutschen Automobilindustrie“, teilte etwa der Verband der Automobilindustrie (VDA) auf Anfrage mit.
Ähnlich äußerte sich die Chemieindustrie, die ebenfalls viele Verkehre über die Schiene abwickelt. „Mit ihren Kunden und Logistikdienstleistern haben die Unternehmen umgehend flexible Lösungen entwickelt“, hieß es vom Verband der Chemischen Industrie auf Anfrage. „Diese können die Einschränkungen und Verzögerungen in der Bahnlogistik aber nur teilweise kompensieren.“
Regionale Wirtschaft
T Bahn statt Lkw: EVB will mehr Güter auf die Schiene bringen
Rund sechs Tage lang will die GDL unter ihrem Chef Claus Weselsky weite Teile des Bahnverkehrs zum Erliegen bringen. Es ist der vierte und bisher längste Streik der Gewerkschaft. Bis Montagabend soll der Arbeitskampf andauern und damit erstmals im laufenden Tarifkonflikt ein komplettes Wochenende umfassen.
Die Bahn rief die Gewerkschaft am Dienstagmorgen erneut dazu auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. „Es ist jetzt an der Zeit, zusammenzukommen, zu verhandeln, Kompromisse zu finden“, sagte eine Sprecherin in Berlin. „Wir sind bereit, zu jeder Zeit an jedem Ort zu Verhandlungen und zu Gesprächen zusammen gekommen.“
Neben finanziellen Forderungen dreht sich der Tarifstreit vor allem um das Thema Absenkung der Wochenarbeitszeit für Schichtarbeiter. Die GDL will diese von 38 auf 35 Stunden bei gleichbleibendem Gehalt reduzieren. Die Bahn hat bisher ein Wahlmodell angeboten, das eine einstündige Absenkung ohne finanzielle Einbußen vorsieht. Wer sich dagegen entscheidet, erhält stattdessen 2,7 Prozent mehr Geld. Gewerkschaftschef Claus Weselsky sieht in der Offerte keine Grundlage für weitere Verhandlungen.