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Frauenfußball

Blamables WM-Aus für DFB-Frauen – „Historisch schlecht”

Es hat nicht gereicht: Deutschland um Kapitänin Alexandra Popp muss die frühe Heimreise antreten.

Es hat nicht gereicht: Deutschland um Kapitänin Alexandra Popp muss die frühe Heimreise antreten.

Erstmals in der Geschichte überstehen die deutschen Fußballerinnen die WM-Vorrunde nicht. Es fließen Tränen, die Bundestrainerin lässt ihre Zukunft offen. Die Reaktionen und Gründe für die Krise.

Donnerstag, 03.08.2023, 14:12 Uhr

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Fassungslos blickte Alexandra Popp ins Leere und schüttelte immer wieder den Kopf. Die deutschen Fußballerinnen haben in Australien die größte Blamage ihrer Historie erlebt und sind ein gutes halbes Jahr nach den DFB-Männern in Katar ebenfalls schon in der Vorrunde einer Weltmeisterschaft ausgeschieden. Das Team von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg legte gegen Südkorea einen völlig fahrigen Auftritt hin und kam nur zu einem 1:1 (1:1). Damit musste die DFB-Auswahl Marokko (1:0 gegen Kolumbien) in der Gruppe H vorbeiziehen lassen und flog als Tabellendritter aus dem Turnier.

„Um ehrlich zu sein, ist es noch gar nicht zu begreifen”, sagte die sichtlich geschockte Popp im ZDF. „Ich kann noch gar nicht so ganz verstehen, was hier gerade abgeht.” Auch der vierte Turniertreffer der Kapitänin war vor 38.945 Zuschauern in Brisbane zu wenig. Popp hatte mit ihrem vierten Turniertor (42. Minute) die südkoreanische Führung durch So-Hyun Cho (6.) ausgeglichen. Nach dem 6:0 gegen Marokko und dem 1:2 gegen Kolumbien fiel den deutschen Frauen gegen den Außenseiter aus Asien lange wenig ein.

Abwehrchefin Marina Hegering vergoss Tränen der Enttäuschung. Voss-Tecklenburg versuchte, ihr geknicktes Team in einer ersten Ansprache direkt nach dem Schlusspfiff aufzubauen. Anschließend saß die Bundestrainerin ganz alleine fassungslos auf der Trainerbank. „Dem müssen wir uns stellen, in erster Linie mit meiner Person”, sagte sie über das blamable frühe Aus. Schnelle Konsequenzen zog Voss-Tecklenburg, die im April ihren Vertrag bis 2025 verlängert hatte, jedoch nicht.

Deutschland startet mit neuer Doppelspitze

„Es war heute eine große Verunsicherung zu spüren zum Teil”, sagte Voss-Tecklenburg. „Am Ende muss man sagen, hat unsere Leistung nicht ausgereicht. Es ist im Endeffekt zu wenig gewesen.” Statt im Achtelfinale gegen Frankreich oder Jamaika zu spielen, muss das Team nach Hause fliegen. Es ist das bisher schlechteste Abschneiden bei neun WM-Turnieren. Vor vier Jahren in Frankreich scheiterte Deutschland im Viertelfinale an Schweden. 2003 und 2007 holten die DFB-Teams den Titel, was auch dieses Mal das Ziel war.

Auch Joti Chatzialexiou, Sportlicher Leiter Nationalmannschaften beim DFB, wollte direkt nach dem Spiel noch nicht über mögliche personelle Konsequenzen reden. „Ich werde jetzt nach dem Spiel niemanden in Frage stellen”, sagte der DFB-Manager, der nach den Misserfolgen mit den Männern und der U21 das dritte große Debakel für den deutschen Fußball innerhalb von nur acht Monaten erklären muss. „Ich bin jetzt seit 20 Jahren beim DFB. Ich für mich persönlich will da auch weiterkämpfen”, sagte er zu seiner Zukunft.

DFB-Präsident spricht Bundestrainerin Vertrauen aus

DFB-Präsident Bernd Neuendorf sprach Voss-Tecklenburg das Vertrauen aus. Er könne klar sagen, „wir haben den Vertrag mit ihr erst vor wenigen Monaten verlängert nach dieser überaus erfolgreichen Europameisterschaft im vergangenen Jahr und haben ihr das Vertrauen ausgesprochen, das sie nach wie vor auch genießt“, sagte Neuendorf im ZDF heute journal.

Martina Voss-Tecklenburg hat ihren Vertrag gerade erst bis 2025 verlängert.

Martina Voss-Tecklenburg hat ihren Vertrag gerade erst bis 2025 verlängert.

Das Vorrunden-Aus will Neuendorf gemeinsam mit Voss-Tecklenburg analysieren. „Ich habe direkt nach dem Spiel gegen Südkorea mit der Bundestrainerin telefoniert. Gemeinsam werden wir diese Enttäuschung aufarbeiten“, wurde Neuendorf in einer Mitteilung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) am Donnerstag zitiert.

Neuendorf zeigte sich enttäuscht über das frühe Ausscheiden des Nationalteams. „Das Vorrunden-Aus der Fußballfrauen-Nationalmannschaft schmerzt außerordentlich“, sagte er. „Unsere Spielerinnen haben es leider nicht geschafft, den Schwung ihres furiosen WM-Auftakts mit in die weiteren Spiele zu nehmen.“ Er habe schon auf gepackten Koffern gesessen, weil er die Mannschaft durch die K.o.-Phase begleiten wollte: „Dazu wird es nun leider nicht kommen.“

Kanzler Scholz über WM-Aus: „Nächste Chance wird kommen“

„Was für ein Spiel! Millionen in Deutschland haben mitgefiebert - am Ende hat es leider nicht gereicht. Die nächste Chance wird kommen. Danke für Euren Einsatz“, schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag bei Twitter.

Zuvor hatte auch schon Außenministerin Annalena Baerbock öffentlich Trost gespendet. „Was für ein Drama! Manchmal steckt einfach der Wurm drin. Kopf hoch, liebe DFB-Frauen“, schrieb die Grünen-Politikerin ebenfalls bei Twitter.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) twitterte nach Spielschluss ein zerbrochenes Herz, Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) schrieb: „Wie schade! Das war wirklich ein knappes Ding. Den Sieg hätte ich unseren DFB-Frauen wirklich gegönnt. Kopf hoch, wir sind trotzdem stolz auf Euch!“

Im deutschen Team überwogen nach dem bitteren Ende der WM-Reise, die mit dem 6:0 gegen Marokko so gut begonnen hatte, Enttäuschung und Entsetzen. Noch auf dem Platz vergossen zahlreiche Spielerinnen Tränen der Enttäuschung und spendeten sich gegenseitig Trost. Voss-Tecklenburg versuchte, ihr Team nach dem Schlusspfiff mit einer Ansprache aufzubauen. „Ich kann es nicht erklären. Es ist surreal, die Enttäuschung ist groß, ich kann es nicht in Worte fassen”, sagte Mittelfeldspielerin Lena Oberdorf. Ihre Teamkollegin Jule Brand gab zu: „Wir haben unsere Leistung, das, was wir können, nicht auf den Platz bekommen.”

Die Bundestrainerin hatte gegen Südkorea umgestellt und erstmals bei dieser WM die Stürmerinnen Popp und Lea Schüller gemeinsam von Beginn an gebracht. Die Münchner Mittelfeldspielerin Lina Magull musste dafür auf der Bank Platz nehmen. Wie beim Kolumbien-Spiel, als die Fans der Caféteras das Stadion in Sydney in einen Hexenkessel verwandelten, waren die deutschen Fans auch in der längst nicht ausverkauften Arena von Brisbane erst mal ziemlich still.

Südkoreanerinnen drücken früh - und sind erfolgreich

Südkorea begann unter Coach Colin Bell, der mit dem 1. FFC Frankfurt 2015 die Champions League gewann, mutig. Schon in der dritten Minute musste Torhüterin Merle Frohms mit einer Glanztat den frühen Rückstand verhindern. Beflügelt von dieser vielversprechenden Aktion griffen die Südkoreanerinnen weiter an. Als Kathrin Hendrich das Abseits aufhob, war Cho durch und schob diesmal zur Führung ein. Da war auch Hegering machtlos: Die Abwehrchefin gab nach einer langwierigen Fersenverletzung ihr Turnierdebüt. „Wir waren geschockt und haben zu wenig Spielruhe gehabt”, sagte Voss-Tecklenburg über das 0:1.

Zu allem Übel musste nach einer guten halben Stunde Frohms behandelt werden, konnte aber weitermachen. Dafür gelang zumindest noch vor der Pause der Ausgleich: Popp schraubte sich nach einer Flanke von Svenja Huth hoch und erzielte ihr drittes Kopfballtor bei dieser WM. 

Und für das Team von Voss-Tecklenburg ging es nach der Pause denkbar unglücklich weiter: Ein weiteres Kopfballtor von Popp nach artistischer Hackenvorlage Schüllers wurde wegen Abseits nicht gegeben (57.). Nach einer Behandlungspause köpfte die angeschlagene Spielführerin wenige Minuten später auch noch an die Latte. Am Ende sanken die deutschen Spielerinnen fassungslos auf den Rasen. 

Cho So-hyun (vorne) jubelt mit Choo Hyo-joo über die frühe Führung.

Cho So-hyun (vorne) jubelt mit Choo Hyo-joo über die frühe Führung.

Die Gründe für das frühe WM-Aus der deutschen Fußballerinnen

Die Schwierigkeiten und Schwächen haben sich schon länger abgezeichnet, die gewachsene Stärke der Konkurrenz ebenso.

Angriffsschwäche:

Die einstige Offensivspielerin Voss-Tecklenburg konnte ihrem Team vorn zu wenige Lösungen vermitteln. Fehlende Präsenz im Strafraum und mangelnde Torchancen machten sich bei vielen Spielen seit der EM bemerkbar. Dabei hat die DFB-Auswahl in Kapitänin Alexandra Popp vom VfL Wolfsburg und Lea Schüller vom FC Bayern zwei internationale Topstürmerinnen.

Doch die Außen Klara Bühl und Jule Brand kamen zu selten durch und von den Mittelfeldspielerinnen Lina Magull und Sara Däbritz zu wenig Impulse. Selbst vier Tore von Popp, die sich für ihre Mannschaft aufrieb, in drei Spielen reichten am Ende nicht.

Ausfälle in der Defensive:

Abwehrchefin Marina Hegering konnte nach ihrer langwierigen Fersenverletzung erst im letzten Gruppenspiel eingreifen. Vor dem Turnier fielen die Außenverteidigerinnen Giulia Gwinn und Carolin Simon (beide FC Bayern) mit Kreuzbandrissen aus. Während der WM verletzten sich Sara Doorsoun und Felicitas Rauch. So wackelte die Hintermannschaft bei der WM mitunter wie im letzten Testspiel vor dem Turnier gegen Sambia (2:3).

Fehlende interne Konkurrenz:

Im Vergleich zur EM 2022 waren nur drei Feldspielerinnen zum WM-Kader gestoßen: Melanie Leupolz nach ihrer Babypause, Sjoeke Nüsken und Chantal Hagel. Leupolz war schon 2013 Europameisterin und 2016 Olympiasiegerin mit der DFB-Auswahl. Nüsken (beide FC Chelsea) und Hagel (VfL Wolfsburg) gehörten vor England zum erweiterten Aufgebot. Vielversprechende Nachrückerinnen gab es nicht.

Zudem hat die Bundestrainerin auf vielen Positionen die Rollen klar aufgeteilt - in Stammkraft und Backup. So können sich Routiniers wie Sara Däbritz, Magull oder Kathrin Hendrich ihrer Plätze sicher sein. Eine Offensivspielerin wie die Frankfurterin Laura Freigang, die sich eher als Spielmacherin sieht, hat im 4-3-3-System der Bundestrainerin keinen Platz. Die Bundesliga gibt derzeit zudem auch wenig Toptalente her wie die bereits etablierten Wolfsburgerinnen Jule Brand (20) und Lena Oberdorf (21).

Abstellungsärger mit dem FC Bayern:

Der deutsche Meister ließ seine Nationalspielerinnen erst fünf Tage später zur ersten WM-Vorbereitung nach Herzogenaurach anreisen, dabei hatten die Wolfsburgerinnen als Champions-League-Finalist eine längere Saison. So konnten Magull, Schüller, Bühl und Sydney Lohmann auch nicht beim Testspiel gegen Vietnam eingesetzt werden. Der Zoff wird erst recht nach dem frühen Ausscheiden noch nachhallen.

Internationale Entwicklung:

Dass andere Nationen derartige Riesensprünge gemacht haben und Teams wie Jamaika und Südafrika im Achtelfinale stehen, überraschte selbst Experten. „Der Frauenfußball hat sich so entwickelt in den letzten Jahren. Früher gab's ja gefühlt nur Deutschland. Wir haben einen EM-Titel nach dem anderen gewonnen und mittlerweile ist es eben nicht mehr so einfach”, hatte DFB-Mittelfeldspielerin Melanie Leupolz gesagt. So zeigten die Kolumbianerinnen mit ihrem energiegeladenen Fußball dem deutschen Team die Grenzen auf - und selbst die bis dato tor- und punktlosen Südkoreanerinnen.

Teamgeist:

Der „EM-Flow”, von dem viele in England gesprochen hatten, ließ sich nicht auf die WM übertragen. „Jedes Turnier schreibt seine eigene Geschichte”, hatte Popp gewarnt und wollte nichts mehr von der Europameisterschaft wissen. Der Rückschlag gegen Kolumbien zog die Stimmung nach unten, das abgelegene WM-Quartier tat sein Übriges: Schon beim ersten Spiel gegen Marokko in Melbourne waren die Spielerinnen froh, aus der „Einöde” (Lena Lattwein) von Wyong rauszukommen. Auch wenn der DFB ein Freizeitprogramm bastelte: Ein Base Camp direkt am Rande einer der pulsierenden Großstädte Australiens hätte die lange Zeit seit der Anreise am 12. Juli vereinfacht.

Bereits in der Gruppenphase ist Schluss: Alexandra Popp und Melanie Leupolz (rechts) nach dem 1:1-Remis gegen Südkorea. Foto: dpa

Bereits in der Gruppenphase ist Schluss: Alexandra Popp und Melanie Leupolz (rechts) nach dem 1:1-Remis gegen Südkorea. Foto: dpa

Alexandra Popps (r) Ausgleich per Kopf machte noch einmal Hoffnung.

Alexandra Popps (r) Ausgleich per Kopf machte noch einmal Hoffnung.

Hartnäckig im Zweikampf: Südkoreas Sel-gi Jang (r) verteidigt den Ball gegen Svenja Huth.

Hartnäckig im Zweikampf: Südkoreas Sel-gi Jang (r) verteidigt den Ball gegen Svenja Huth.

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