Fachkräfte-Quote in niedersächsischen Kitas sinkt

Die Fachkräfte-Quote in den Kitas ist laut Studie gesunken (Archivbild) Foto: Jens Kalaene/dpa
Einer Studie zufolge wird der Mangel an Kita-Fachpersonal zunehmend mit Mitarbeitern ohne die formalen Voraussetzungen ausgeglichen. Der Personalschlüssel ist vielerorts trotzdem unzureichend.
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Gütersloh/Gießen. An Niedersachsens Krippen und Kindergärten arbeiten im Verhältnis zum gesamten Personal immer weniger Fachkräfte. Zu diesem Ergebnis kommt das „Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertelsmann Stiftung.
Der durchschnittliche Anteil des pädagogischen Personals pro Kita, der mindestens einen fachlich einschlägigen Fachschulabschluss hat, ging in Niedersachsen demnach von 75,6 Prozent im Jahr 2017 auf 71,5 Prozent im Jahr 2023 zurück. Das Land liegt damit unter dem bundesweiten Wert von 72,5 Prozent, der allerdings ebenfalls rückläufig ist. Nach Empfehlungen einer Arbeitsgruppe von Bund und Ländern sollte der Anteil pro Kita perspektivisch bei 85 Prozent liegen.
Personalschlüssel vielerorts nicht kindgerecht
In der Studie heißt es weiter, dass die Personalschlüssel in Niedersachsen für mehr als jedes zweite Kind nicht den wissenschaftlichen Empfehlungen für ein kindgerechtes Betreuungsverhältnis entsprechen. Bei den unter Dreijährigen werden demnach 63 Prozent mit einem nicht kindgerechten Personalschlüssel betreut, bei den Kinder ab drei Jahren seien es 52 Prozent.
Beide Werte stellen aber eine deutliche Verbesserung zu früheren Jahren dar: Im Jahr 2017 waren noch 75 Prozent der unter Dreijährigen und 68 Prozent der Kinder ab drei Jahren mit einem laut Studie zu niedrigen Personalschlüssel betreut worden.
„Auch in Niedersachsen versucht man, den Platz- und Personalmangel in den Kitas durch den Einsatz von Mitarbeitenden aufzufangen, die für ihre Arbeit mit den Kindern nicht die formalen pädagogischen Voraussetzungen mitbringen“, sagte Kathrin Bock-Famulla von der Bertelsmann Stiftung. Sie warnte vor einem dauerhaften Absenken der Fachkraft-Quote - „doch genau diese Tendenz sehen wir momentan in Niedersachsen“.
Für die Studie wurden laut Bertelsmann Stiftung Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder ausgewertet. Die Berechnungen haben das Österreichische Institut für Familienforschung an der Universität Wien und die Bertelsmann Stiftung durchgeführt.
Kita-Standards in Niedersachsen wurden übergangsweise gesenkt
Niedersachsens Landesregierung hatte die Standards der Kinderbetreuung im Sommer übergangsweise gesenkt, um dem immer häufigeren Ausfall der Betreuung entgegenzuwirken. Unter anderem wurden die Anforderungen an das Vertretungspersonal flexibler gestaltet und der Einsatz von Assistenzkräften erleichtert.
Den Zahlen der Bertelsmann Stiftung zufolge besuchte 2023 etwa jedes dritte Kind unter drei Jahren in Niedersachsen eine Kita oder eine Kindertagespflege (35 Prozent). Von den Drei- bis unter Sechsjährigen nutzten 91 Prozent ein Angebot der Kindertagesbetreuung.
Wer sind Personen ohne formale pädagogische Voraussetzungen?
Einen einschlägigen Hochschul- oder Fachschulabschluss und damit die formale pädagogische Qualifikation haben Erzieherinnen, Sozialpädagogen, Sozialarbeiter, Heilpädagogen oder auch Kindheitspädagogen, schildert Studien-Mitautorin Kathrin Bock-Famulla der Deutschen Presse-Agentur. Kinderpflegerinnen oder Sozialassistentinnen mit lediglich zweijähriger Ausbildung würden nicht dazugezählt.
Je nach Bundesland seien die Regelungen, wer ohne pädagogische formale Voraussetzungen in den Kitas arbeiten darf, sehr unterschiedlich. Beispiele: In Baden-Württemberg dürften auch Hebammen oder Logopädinnen einfach so in die Kita-Arbeit einsteigen. In Niedersachsen können unter bestimmten Bedingungen auch Eltern oder Rentner tätig sein, wie Bock-Famulla berichtet.
In Bremen gebe es den Vorschlag, dass Personen ohne jegliche pädagogische Qualifikation für zwei Stunden pro Tag eingesetzt werden dürfen. In Bayern brauche eine Kitaleitung keine pädagogische Qualifizierung mehr. „Das kann zum Beispiel auch eine Betriebswirtin übernehmen.“

Weil Erzieherinnen fehlen, werden laut Studie zunehmend Personen ohne formale pädagogische Voraussetzungen eingestellt (Archivbild) Foto: Arne Dedert/dpa
Dauerhaftes Absenken der Fachkraft-Quote sollte es nicht geben
In einer Notsituation könne es vertretbar sein, Anforderungen vorübergehend zu senken, sagt Bildungsexpertin Anette Stein von der Stiftung. Ein dauerhaftes Absenken des Fachkräfte-Anteils - wie es sich in vielen Bundesländern abzeichne - dürfe es aber nicht geben. Für die anspruchsvolle Arbeit mit den Kindern brauche es die entsprechende pädagogische Qualifikation.
Unter den pädagogisch Tätigen pro Kita empfiehlt die Arbeitsgruppe Frühe Bildung von Bund und Ländern perspektivisch eine Fachkraftquote von 85 Prozent pro Kita-Team, heißt es bei der Bertelsmann Stiftung. Der Anteil pro Kita-Team sei aber im Schnitt von 75,8 Prozent (2017) auf 72,5 Prozent gesunken.
Aussagestark laut Bock-Famulla ist besonders: 2023 kam nur jedes dritte Kita-Team (32 Prozent) auf eine hohe Quote von mehr als acht Fachkräften unter zehn pädagogisch tätigen Personen. 2017 konnten noch 41 Prozent aller Kita-Teams diesen hohen Anteil (als Kategorie „82,5 Prozent und mehr“ eingestuft) vorweisen. Den deutlichsten Rückgang habe es hier seit 2017 in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen gegeben, bilanziert die Analyse. Sie basiert auf Daten zum Stichtag 1. März 2023.

Laut Bertelsmann Stiftung sollte der Fachkräfte-Anteil in Kitas nicht dauerhaft gesenkt werden (Archivbild). Foto: Carsten Rehder/dpa
Zusätzliche Belastung für Fachkräfte wird befürchtet
Wissenschaftlerin Bock-Famulla sieht einen großen Belastungsfaktor für das Fachpersonal, wenn nicht einschlägig ausgebildete Mitarbeitende im laufenden Kita-Betrieb „on the Job“ angeleitet werden müssten. Die oft überlasteten Fachkräfte könnten das nicht zusätzlich stemmen. Es schlage sich mitunter auch negativ auf die Arbeitszufriedenheit in Teams nieder, wenn diese „irgendwie zusammengewürfelt“ würden. Das habe auch eine Befragung zusammen mit der Uni Gießen unter gut 21.600 Kita-Beschäftigten ergeben.
In der zeitgleich vorgestellten Erhebung aus Gießen hatte fast die Hälfte der Befragten angegeben, sich täglich oder fast täglich überlastet zu fühlen. Viele schätzten die Wahrscheinlichkeit, dass sie das Berufsfeld kurz- bis mittelfristig verlassen werden, als sehr hoch ein. Das Abwanderungsrisiko sei am höchsten bei jüngeren Menschen zwischen 26 und 30 Jahren.
Ersten Lebensjahre sind für Entwicklung besonders wichtig
Zwei Drittel der Kinder werden - trotz des Personalzuwachses - in Gruppen betreut, die nicht das wissenschaftlich empfohlene kindgerechte Betreuungsverhältnis aufweisen. Die Herausforderungen seien in den westdeutschen Ländern größer als im Osten.
Bock-Famulla betont: „Wir möchten sensibilisieren, dass der Kern der Profession nicht verschwimmen darf, wenn man aus der Personalnot heraus versucht, ein Maximum an Menschen für die Kita-Arbeit anzusprechen.“ Die ersten Lebensjahre seien zentral für die Entwicklung im emotionalen, kognitiven und motorischen Bereich.
Die Jungen und Mädchen müssten lernen, ihre Emotionen zu regulieren, Bindungen aufzubauen, sie brauchten intensive Anregungen auch für ihre sprachliche Entwicklung. Um auf jedes einzelne Kind einzugehen und es individuell fördern zu können, sei eine fundierte Ausbildung essenziell.
Landeselternbeirat sieht Quereinsteiger als sinnvolle Ergänzung
Unter bestimmten Voraussetzungen könnten Quereinsteiger wie zum Beispiel Ergotherapeuten oder Logopädinnen eine sinnvolle Ergänzung im Kita-Team darstellen, findet der Landeselternbeirat der Kindertageseinrichtungen. „Wichtig ist es, zahlenmäßig maßzuhalten und Basisqualifikation von mindestens 160 Unterrichtsstunden zu absolvieren, bevor sie in die Kitas kommen“, sagt NRW-Sprecherin Daniela Heimann der dpa.
Schwerpunkt der Qualifizierung sollten entwicklungspsychologische Grundkenntnisse sein, außerdem Kindeswohl und Kinderschutz. Skeptisch sieht Heimann die Praxis in einigen Bundesländern, Quereinsteiger ohne vorherige Qualifizierung in die Kitas zu bringen, um sie erst dort im laufenden Betrieb zu schulen. Fakt sei jedenfalls, dass Träger „beim Personal in den meisten Kitas auf Kante nähen“, viel ausfalle und Familien dann enorm belastet seien.