Burghart Klaußner: „Das Alter ist eine wundervolle Zeit, sich neu zu verlieben“

Schauspieler Burghart Klaußner ist sehr gerne zuhause und liebt seine Frau über alles. Foto: Parowski
Es zieht ihn nicht so oft in die mediale Öffentlichkeit, er strahlt lieber auf der Bühne und vor der Kamera. Der preisgekrönte Schauspieler Burghart Klaußner spricht im TAGEBLATT-Interview über seinen neuen Film, die Liebe im Alter und die Kraft der Musik.
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Burghart Klaußner hat er viel zu erzählen und zu sagen, nicht nur über „Die Unschärferelation der Liebe“. Das Gespräch mit TAGEBLATT-Mitarbeiter Manfred Ertel im Hotelfoyer am Hafen jedenfalls war überaus anregend und unterhaltsam, nachdenklich und informativ.
TAGEBLATT: Mögen Sie im normalen Leben eigentlich Liebesfilme?
Burghart Klaußner: Das kommt darauf an, wie realistisch sich das anfühlt und ansieht, dann kann ich mir das sehr gut anschauen.
Wie schwer war es, in Ihrem fortgeschrittenen Alter noch mal einen Liebesfilm zu spielen?
Naja, ob das ein Liebesfilm ist, so wie wir das Wort landläufig benutzen, möchte ich erst mal in Frage stellen. Eigentlich ist das eher ein Science Fiction-Film: Von einer höchst unwahrscheinlichen Begegnung eines älteren Mannes und einer jüngeren Frau. Ob das am Ende in wirkliche Liebe ausartet oder nur in eine gute Zusammenkunft, die sich für beide wohlig anfühlt, das bleibt die Frage.
Warum ist der Film mehr als eine bloße Wiederauflage des Klischees: Alter Mann trifft deutlich jüngere Frau, verliebt sich und begehrt sie?
Schon weil diese Voraussetzung so ja nicht stimmt. Er trifft sie nicht, er begehrt sie zunächst auch gar nicht, sondern sie trifft ihn. Sie küsst ihn in den Nacken, und zwar von hinten und auf höchst überfallartige Weise. Er ist damit in keinster Weise einverstanden und will sie auch gar nicht kennenlernen. Aber sie lässt nicht locker. Natürlich entwickelt sich zwischen beiden am Ende eine Beziehung, aber wie die zustande kommt, ist die große Kunst des Autors, der sich das in so vielen überraschenden Wendungen wie möglich ausgedacht hat.
Was macht den Stoff so besonders, dass ein erfolgreiches Theaterstück jetzt auch noch unbedingt auf die Kinoleinwand kommen muss?
Ich bin ja im Hintergrund als Spiritus Rector dafür verantwortlich, dass es so gekommen ist. Ich war der Meinung, das muss man einem großen Publikum nicht vorenthalten, was wir da zusammen mit der großartigen Caroline Peters am kleineren Düsseldorfer Schauspielhaus an Erfolg hatten. Außerdem war die Konstruktion von Unwahrscheinlichkeiten hin zu einer Wahrscheinlichkeit für mich schon immer was Besonderes. Auch bei der Entdeckung dieses Stückes, in dem die Voraussetzungen überhaupt nicht geeignet sind, dass aus diesen beiden überhaupt ein Paar wird.
Der Autor hat sich diese Geschichte wie eine Versuchsanordnung ausgedacht, in der er sich für die nächste Szene immer wieder die unwahrscheinlichste Wendung vorgenommen und die Aufgabe gestellt hat, da wieder rauszukommen. Das macht das Buch so besonders. Ob das überhaupt ein Paar ist und wie lange das hält, bleibt den Zuschauern überlassen.
Sie haben große historische Stoffe gespielt und preisgekrönte Rollen verkörpert und kehren nun zurück zum Liebesfilm. Sind Sie bei der Wahl Ihrer Rollen etwas altersmilde geworden?
Altersmilde? (lacht) Daran habe ich noch nie gedacht. Aber das Alter ist doch eine wundervolle Zeit sich wieder neu zu verlieben, überhaupt ist die Liebe ja unsterblich. Nein, für mich ist das ein Genre, das ich künstlerisch bislang zu wenig zu fassen bekam: Die Liebe als Sujet ist bei mir im Film etwas unterrepräsentiert, im Theater ist es etwas anders. Das fand ich eine willkommene Herausforderung.
Was macht einen guten Film oder ein gutes Drehbuch aus?
Darauf gibt es keine generelle Antwort, weil sich diese Frage mit jedem Sujet oder Stoff immer wieder aufs Neue stellt. Es gibt nur eine Lösung für diese Frage und das ist Erfahrung. Ich gehe davon aus, dass ich inzwischen ein gutes von einem schlechten Buch zu unterscheiden weiß. Das hat sich in den Jahren auch bewahrheitet: Ich bin mit Müh‘ und Not an den ganz schlechten Sachen vorbeigekommen. Hier hat mich die realistische, aber sehr fragile und unvorhersehbare Konstruktion der Begegnung zwischen beiden begeistert. Die Unvorhersehbarkeit ist eben die Unschärferelation. Vorhersehbarkeit ist langweilig.
Sie sind mit dem Vorsatz ins neue Jahr gegangen, noch weniger zu arbeiten. Seitdem sind Sie unentwegt auf verschiedenen Bühnen unterwegs. Sind Sie ein Workaholic?
Ja, es lässt sich nicht leugnen und es ist fast schlimmer als je zuvor, es hört einfach nicht auf. Es ist aber auch gut so. Ich bin ja nicht auf die Welt gekommen, um ein Sesselpupser zu werden.
Brauchen Sie Kamera und Bühne als Lebenselixier, weil Sie sonst Ihrer Frau oder Familie auf den Wecker gehen würden?
Ich bin sehr gern zuhause und liebe meine Frau über alles. Aber ich weiß auch, dass ich das Betätigungsfeld der Schauspielerei einfach brauche, um mich im Leben wiederzuerkennen. Und die natürliche Grenze, da kann ich beruhigen, die kommt.
Müssen Sie eigentlich noch Castings über sich ergehen lassen?
Das kommt schon vor. Dabei ist es eine gewisse Unsitte geworden, dass sogenannte Self-Tapes, bei uns heißt es e-Casting, überhand nehmen. Man soll sich mit seinem Handy filmen, ein paar Zeilen aus einem Drehbuch sprechen und das soll dann zur Wahrheitsfindung dienen. Ich mache das inzwischen eigentlich nicht mehr mit, weil es mich ärgert. Man kann ja schließlich alles sehen, was wir in unserem Beruf können.
„Musik ist eigentlich die Hauptsache“ haben Sie mal gesagt. Ist das Koketterie eines vielfach preisgekrönten Schauspielers?
Nein, die Vergangenheit mit irgendwelchen Preisen, die ganz toll sind und hochwillkommen, helfen im wirklichen Leben ja nicht um die nächste Straßenecke. Es geht immer weiter. Und Musik ist dafür ein sehr angenehmer Begleiter und heimlich vielleicht wirklich die Hauptsache, denn Musik erlöst uns von dem Bösen.
Wie meinen Sie das?
Was ist das Gegenteil von Gewalt? Musik und Liebe. Wenn ich höre, dass inzwischen das Potenzial der AfD bei 25 Prozent liegt, ein Viertel der Bevölkerung also faschistisch ist oder denkt, was Gewaltbereitschaft für mich mit einschließt, dann ist das eine unfassbare Nachricht. Und was können wir dagegen setzen? Musik und Liebe!
Sie mussten am Anfang viele Umwege gehen, um ihren Drang nach Unabhängigkeit verwirklichen zu können, haben Sie gesagt - was heißt das?
Ich habe sehr viel Widerspruch zu leisten gelernt und zu oft zu wenig „ja“ gesagt oder Fünfe gerade sein lassen. Der Hang zum Perfektionismus ist natürlich ganz schön, aber vielleicht auch manchmal ein bisschen übertrieben. Gleichzeitig war bei mir immer der Wunsch sehr groß, unabhängig sein zu können und das eigene Urteil zum Maßstab zu machen...
...aber Ihre Vita und Karriere liest sich nicht gerade wie viele Umwege.
Trotzdem ist mein Leben voller Umwege und Abbrüche, voller Neubeginne. So etwas wie Kontinuität hat es in meinem Leben nicht unbedingt gegeben. Das ist mir ein paar Mal schmerzlich klar geworden. Es gab immer wieder Stufen des Erfolgs und ich dachte, jetzt geht es so weiter, war aber nicht so. Ich musste immer wieder strampeln, einen anderen Weg finden. Das macht das Leben reich, aber manchmal auch anstrengend.
Waren Sie deshalb auch an so vielen Bühnen unterwegs?
Ganz bestimmt. Natürlich liegt es auch am Beruf des Schauspielers. Das ist nun mal ein Wandergewerbe. Man kommt nicht 30 Jahre am gleichen Fleck aus. Aber bei mir ist auch viel Unterwegssein eingepflanzt. Wenn ich unterwegs bin, bin ich freier.
Trotzdem sind sie seit vielen Jahren in Hamburg fest verwurzelt?
(Lacht) Unterwegs sein heißt ja nicht, kein Zuhause zu haben. Hamburg ist mein Zuhause geworden, nicht nur weil ich als Segler und Wasserverrückter hier so viele Möglichkeiten habe, sondern weil Hamburg ein paar versteckte Eigenschaften hat, die mir entgegenkommen. Zum Beispiel die Möglichkeit, für sich zu sein, ohne sich permanent veröffentlichen zu müssen. Hamburg ist sehr diskret und auf bestimmte Art und Weise anständig miteinander. Vielleicht liegt das daran, dass Hamburg nicht in der Mitte Deutschlands liegt und alles ziemlich weit weg ist. Hamburg liegt quasi soweit jenseits am Tor zur Welt, dass es fast wie Exil ist. Die Hamburger sind auch höflicher als andere, obwohl sie auch oft schlecht gelaunt sind. Aber das gehört zu den Deutschen dazu.
Ein Kritiker hat zu Ihrem 70. Geburtstag über sie geschrieben: „Er tritt auf und schwebt, gewichtig und leicht, bodenständig und geisterhaft“. Hat er recht?
(Lacht). Warum nicht, das war auf jeden Fall sehr schön und besser als „Sie sind so ein schlechter Schauspieler, schauen Sie, dass sie weiterkommen“.
Bitte ergänzen Sie...
Mein Leben neben der Kunst besteht aus... Segeln, das ist schon eine große Leidenschaft, aber ich denke: Vor allem aus Liebe besteht das Leben.
Kraft und Fitness tanke ich... auf der Rudermaschine.
Als Familienmensch bin ich... unersetzlich.
Als Berliner Jung mag ich Hamburg besonders... weil mi dat Plattdüüt so dicht bi liggt (lacht). Meine Frau ist Niederländerin, das beherrsche ich und deshalb kann ich auch Platt schnacken.
Rote Teppiche sind für mich... anstrengend.
Stolz macht mich... dass ich das Wort „Stolz“ vermeide und in „Freude“ ummünze.
Zur Person
Burghart Klaußner (73) ist im wahrsten Sinne ein Kulturschaffender. Er steht auf der Theaterbühne und vor der Kamera, liest Hörbücher ein, macht Musik, schreibt Texte und Bücher, führt Regie oder tritt zu Lesungen auf. Als Schauspieler gehört der gebürtige Berliner zu den renommiertesten Darstellern und ist vielfach mit Preisen beehrt.
Schon kurz nach Beginn seiner Ausbildung an der Max-Reinhardt-Schule für Schauspiel 1969 startete er seine Karriere an der Schaubühne in Berlin. Seitdem spielte er an fast an allen großen Theatern der Republik. Mit Klaußner in der Hauptrolle als sadistischer Pastor wurde der Film „Das weiße Band“ 2009 und 2010 mit Auszeichnungen überhäuft und gewann unter anderem die Goldene Palme in Cannes und den Golden Globe Award. Er selbst erhielt für sein Spiel den Deutschen Filmpreis. Als Staatsanwalt und Nazi-Jäger Fritz Bauer erhielt er unter anderem 2016 den Bayerischen Filmpreis und wurde für den Europäischen Filmpreis nominiert.
Seine besondere Passion gehört der Musik. Mit seiner Band „Zum Klaußner“ spielt er Jazz, Swing und Rock. An der Hamburger Staatsoper übernahm er in Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ die prominente Sprechrolle des Herrschers Bassa Selim, der seine Geliebte entführt – in eine Gegend mit „bezaubernder Musik“.
Klaußner ist Vize-Präsident der Freien Akademie der Künste und Mitglied der Deutschen Filmakademie. Für seine herausragende schauspielerische Arbeit erhielt er das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Klaußner lebt seit vielen Jahren mit seiner Frau und Familie in Hamburg.
Am 29. Juni kommt sein neuester Film „Die Unschärferelation der Liebe“ mit Caroline Peters in die Kinos, am 1. Juli ist Premiere in Hamburg.