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Fahrtauglichkeit

Darum gibt dieser Senior (86) freiwillig seinen Führerschein ab

Walter Dahl aus Buchholz übergibt seinen Führerschein an Dirk Poppinga von der Polizeiinspektion Harburg. Foto: Polizei

Walter Dahl aus Buchholz übergibt seinen Führerschein an Dirk Poppinga von der Polizeiinspektion Harburg. Foto: Polizei

62 Jahre war Walter Dahl unterwegs - unfallfrei. Jetzt ist Schluss hinterm Steuer. Der Buchholzer befeuert mit seiner Aktion die Debatte um die Fahrtauglichkeit von Senioren.

Donnerstag, 31.08.2023, 09:33 Uhr

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Walter Dahl erschien freiwillig auf der Polizeidienststelle in Buchholz (Kreis Harburg). Der 86-Jährige wollte seinen Führerschein abgeben - und zwar für immer. Der Senior, der 1961 seinen Führerschein im Alter von 24 Jahren machte und seitdem nach eigenen Angaben unfallfrei unterwegs war, habe selbst erkannt, dass seine Reaktionsfähigkeit am Steuer nachgelassen habe. Die Sicherheit früherer Tage sei nicht mehr dagewesen.

Der Prozess ist schleichend: Das Straßenschild, das vor einem Jahr noch klar erkennbar war, ist jetzt leicht verschwommen. Die Geräusche, die eindeutig einem Laster, einem Auto oder einem Zug zuzuordnen waren, werden leiser und schwerer zu unterscheiden. Eine neue Umgebung verursacht nicht Freude, sondern Verwirrung.

86-Jähriger gibt Führerschein ab: Viel Lob von der Polizei

"Da ich seit Jahren auch gut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurechtkomme, wollte ich kein Risiko mehr eingehen und habe deswegen meinen Führerschein abgegeben", erklärte der 86-Jährige. Er habe erst noch überlegt, sich ein E-Auto anzuschaffen. „Aber dann sagte ich: Nein, ich möchte niemanden umfahren. Ich gebe meinen Führerschein ab“, sagte Dahl der "Bild"-Zeitung.

Für Dirk Poppinga, Verkehrssicherheitsberater der Polizeiinspektion Harburg, eine respektable Entscheidung: "Die mentalen und motorischen Fähigkeiten lassen im Alter immer mehr nach. Das wirkt sich irgendwann auch auf die Verkehrstüchtigkeit aus. Hier gilt es, rechtzeitig über Alternativen nachzudenken. Die Wahl des Wohnortes, Fahrgemeinschaften, der ÖPNV oder die Nutzung von Fahrrad und Pedelec können den Verzicht auf den Führerschein leichter machen."

Mit lobenden Worten über die verantwortungsvolle Entscheidung nahm Poppinga den Führerschein von Walter Dahl entgegen, um ihn an die Führerscheinstelle weiterzuleiten.

Autofahrer in Deutschland werden immer älter

Verkehrsteilnehmer in Deutschland werden älter. Mit der Zeit kommt es vor, dass das Autofahren langjährigen Fahrern immer schwerer fällt. Die Zeichen zu erkennen und die Schlüssel abzugeben, ist dann oft ein schwieriger Prozess. Die EU-Kommission schlägt aktuell vor, Autofahrer ab 70 Jahren könnten alle 5 Jahre ihren Führerschein durch einen Fahrtauglichkeitstest verlängern lassen. In anderen europäischen Ländern gelten bereits vergleichbare Regularien. Hierzulande beruhen diese Tests auf Freiwilligkeit.

Dass es Senioren Tests auch im hohen Alter noch gut bestehen können, bewies der fast 90-Jährige Wilhelm Brickwedel, der sich von einem Bremerhavener Fahrlehrer überprüfen ließ.

Im Alter ohne Führerschein: Der Abschied vom Auto braucht

Die einen verweisen auf eklatante Beispiele, bei denen betagte Fahrer mit schlimmen Folgen die Gewalt über ihr Auto verloren. Die anderen greifen zur Statistik, wonach ältere Fahrer deutlich erfahrener seien und wesentlich weniger Unfälle verursachten als andere Altersgruppen am Steuer.

„Wir können nicht alle 70-Jährigen über einen Kamm scheren“, sagt Ulrich Chiellino, Verkehrspsychologe beim ADAC. Allein am Alter könne man die Fahrtauglichkeit nicht festmachen. Im Vergleich zu jungen Fahrern bauten Senioren weniger Unfälle. Viele ältere Menschen passten sich oft von selbst ihrer veränderten Gesundheitslage an. „Es beginnt vielleicht mit Schwierigkeiten beim Ein- und Ausstieg aus dem Fahrzeug. Da wird man dann den Sitz verstellen oder ein Auto mit breiterem Einstieg kaufen.“ Wer schlechter im Dunkeln zurecht komme, fahre lieber tagsüber oder lasse zumindest einen größeren Abstand zum Vorderauto. Auf diese Weise kompensierten Senioren sinnvoll ihre Defizite. Nicht immer reiche das aber aus.

Ralf Buchstaller, Verkehrspsychologe beim TÜV Nord, empfiehlt, mit den Eltern schon frühzeitig über das Thema Autofahren zu sprechen. „Für viele Menschen ist die Abgabe des Führerscheins gleichbedeutend mit dem Einzug ins Altersheim“, sagt Buchstaller. Mit entsprechend viel Einfühlungsvermögen sollten die Kinder auf ihre Eltern zugehen. Hätten die Kinder den Verdacht, dass die Senioren mit dem Fahren überfordert seien, sollten sie auf kleinere Unfälle oder Beinaheunfälle achten. „Die Kinder sollten hin und wieder mitfahren und darauf achten, wie die Eltern in kritischen Situationen reagieren, beispielsweise beim Linksabbiegen an Kreuzungen mit Gegenverkehr.“ Tauchten in solchen Situationen Probleme auf, könnten Kinder im Gespräch daran anknüpfen.

Buchstaller empfiehlt als ersten Ansprechpartner für die Senioren den Hausarzt. Er kenne die Menschen meist schon sehr lange, unter Umständen auch die Kinder. Ihn könnten die älteren Menschen ansprechen, wenn sie Fragen zu ihrem Gesundheitszustand oder zu den Auswirkungen ihrer Medikamente auf die Fahrtüchtigkeit hätten. Die Kinder könnten den Arzt eventuell ins Vertrauen ziehen, wenn sie den Eindruck hätten, die Eltern sollten besser nicht mehr fahren.

Senioren fürchten um den den Verlust ihrer Mobilität

Hannelore Herlan, Sprecherin der Deutschen Verkehrswacht, empfiehlt Kindern viel Geduld und ein Gespräch in einer ruhigen Minute. Sehfähigkeit, Gehör, Reaktionsfähigkeit, Wahrnehmungsfähigkeit – das seien die Punkte, auf die Kinder bei ihren Eltern achten sollten. Wenn die Eltern über die anderen Verkehrsteilnehmer stöhnten, die alle nicht aufpassen würden, oder wenn sich gar die Knöllchen häuften, sei Aufmerksamkeit geboten.

„Viele Senioren haben Angst, dass sie mit der Führerscheinabgabe ihre Mobilität, ihre Freiheit, ein Stück Leben abgeben“, sagt Herlan. Auch das Fahrrad als Ersatz komme oft nicht infrage, weil sich die Senioren auch darauf unsicher fühlten. In der Stadt könnten sie auf Busse, Bahnen und Taxen zurückgreifen. Auf dem Land sei das schwieriger. Das müssten Kinder berücksichtigen. Daher sei es mit einem Gespräch meist nicht getan. „Man muss sich als betroffenes Kind damit auseinandersetzen, dass man selbst öfter gefordert ist, Fahrdienst zu machen und den Vater oder die Mutter zu einem Arztbesuch oder auch zu einem Konzert zu fahren“, sagt Herlan. (tip/dpa/tmn)

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