Diese Tipps hat TV-Doktor Matthias Riedl für eine gesunde Ernährung

Dr. Matthias Riedl ist seit zehn Jahren erfolgreich mit den „Ernährungs-Docs“ im TV zu sehen. Foto: Sibler
Die Arztpraxen könnten deutlich leerer sein, wenn sich die Menschen gesünder ernähren wurden, davon ist Dr. Matthias Riedl überzeugt. Seit 2013 verdeutlicht er regelmäßig als „Ernährungs-Doc“ beim NDR die Möglichkeiten der Ernährungstherapie an konkreten Patientenfällen.
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Von Yannick Kitzinger
TAGEBLATT: Chips, Pommes, Schokolade? Herr Dr. Riedl, haben Sie in Sachen Ernährung ein Laster?
Dr. Matthias Riedl: Also, Chips mag ich nicht gerne. Pommes esse ich manchmal – allerdings keine Imbiss-Pommes, weil die oft in irgendeinem uralten Fett gebacken sind. Sondern nur selbst gemacht aus der Heißluftfriseuse. Das Problem ist: Ich weiß als Ernährungsmediziner, was ich da esse. Und weil ich das weiß, habe ich manches eingestellt. Ich esse zum Beispiel keine Nutella wegen des Palmfetts. Aber hab ich Laster? Ja, da bin ich wie jeder andere Mensch. Wenn ich anstrengende Dinge mache, wie zum Beispiel die Steuererklärung, und zwar unter Zeitdruck, dann bin ich sehr anfällig fürs Naschen – zum Beispiel Schokolade. Aber weil ich das weiß, habe ich nur sehr geringe Mengen davon zu Hause. Und wenn, dann nur 70- oder 80-prozentige Schokolade. Allerdings esse ich natürlich auch schleswig-holsteinisches Marzipan. Das gehört einfach dazu. Aber eben nicht irgendein Marzipan, sondern tatsächlich richtig gutes Marzipan mit einem höheren Mandelanteil.
Durch mein Wissen versuche ich, bei der Auswahl der Produkte die Schadwirkung auf mich zu reduzieren. Ich esse jetzt zum Beispiel keine Ein-Euro-Schokolade mit künstlichem Aroma – abgesehen davon, dass der Kakao in Afrika unter prekären Verhältnissen von Kinderhänden geerntet wird. Worauf ich nach Möglichkeit komplett verzichte, ist Chemie im Essen – da bin ich hammerhart.
Wie viel Zucker darf es denn am Tag sein? Gibt es eine Faustregel, an die wir uns alle halten sollten?
Ja, ganz klar. Die Weltgesundheitsorganisation hat mit 25 Gramm pro Tag die strikteste Regelung. Und dazu zählt alles, was wir selbst zuckern, was in Fertigprodukten und natürlich auch in Süßwaren drin ist – und auch die Fruchtsäfte.
Das ist ja gerade mal eine Kugel Eis pro Tag.
Ja, so ungefähr. Laut den deutschen Fachgesellschaften dürfen es auch mal bis 50 Gramm sein. Es ist ja nicht wie mit der Ampel, wo wir bei Rot nicht mehr rübergehen dürfen. Beim Zucker ist es so: Wenn wir mal einen Tag darüber liegen, ist das nicht so schlimm. Der nächste Tag ist ein neuer. Ich empfehle immer: Zählt die Zuckermenge mit. Ich selber nutze zum Beispiel unsere Ernährungstherapie-App, die MyFoodDoctor-App. Da kriegt man Ende des Tages die Quittung der Zuckermenge.
Wann war für Sie eigentlich klar, dass Sie sich beruflich mit dem Thema Ernährung beschäftigen wollen?
Ich war damals 26 Jahre alt und kam zur Facharztausbildung ans Krankenhaus in Pinneberg. Da habe ich mitbekommen, wie eine junge Typ-1-Diabetikerin mit ihrer Diagnose dieser schweren Erkrankung völlig allein gelassen wurde. Man hat mich als jüngsten Arzt zu ihr reingeschickt und mir war nach fünf Minuten völlig klar, dass sie mit den Informationen, die ich ihr gegeben habe, nicht klarkommt. Also habe ich mich informiert und habe die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Krankheit selber recherchiert. Und dann habe ich mit Anfang 30 in Pinneberg mein erstes Therapiezentrum gegründet.
Richtig intensiv habe es dann zehn Jahre später gemacht, als ich festgestellt habe, dass die Menschen, die von Typ-2-Diabetes geheilt werden konnten, damit auch ihre ganzen anderen Krankheiten losgeworden sind. Das war für mich die Initialzündung, vor 25 Jahren zu sagen, wir machen das als Schwerpunktpraxis Ernährungsmedizin – und damit waren wir auch tatsächlich eine der ersten.
Seit zehn Jahren sind Sie mittlerweile auch erfolgreich mit den „Ernährungs-Docs“ im TV zu sehen. Woher kommt das große Interesse in der Bevölkerung am Thema?
Anders als die Politik spürt die Bevölkerung den Zusammenhang zwischen Essen und ihrem Gesundheitszustand. Sie merken, dass es ihnen nicht gut geht, wenn sie bestimmte Dinge essen und wissen, dass es nicht gut für sie ist, wenn sie zehn Kilo zugenommen haben. Die Leute wollen mit ihrer Ernährung was gegen ihre Krankheiten tun. Aber die moderne Medizin gibt ihnen nicht die Möglichkeiten. Wir haben zu wenig Patientenedukation – und dazu zählt auch die Ernährungstherapie. Häufig bekommen sie von ihren Ärzten zu hören: „Da kann man nichts machen.“ Oder: „Da kann ich in den Leitlinien nichts finden.“ Und natürlich steht Ernährungsmedizin noch nicht in den Leitlinien, weil wir eben Vorreiter sind. Ganz ehrlich: Gesunder Menschenverstand ist das, was wir in der Medizin manchmal auch brauchen – und nicht nur den starren Blick auf die Leitlinien, in denen zum Beispiel nicht steht, dass Rheuma mit Ernährung behandelt werden kann.
Nun beschäftigen sich zwar immer mehr Menschen mit ihrer Ernährung, aber die Zahl an Übergewichtigen und Menschen mit Adipositas nehmen trotzdem zu. Wie passt das zusammen?
Das passt nicht zusammen. Tatsächlich ist es so: Wir haben Zuwachsraten von bis zu 100 Prozent bei allen Zivilisationskrankheiten. Aber eine Erkrankung stagniert: Diabetes Typ 2 in der Gruppe der älteren Menschen ab 50 Jahren. In anderen Altersgruppen nimmt Diabetes aber ungebrochen weiter zu. Warum ist das so? Ich kann mir gut vorstellen, weil das die Zielgruppe der „Ernährungs-Docs“ ist. Das hat zwar keiner untersucht, aber rein aus dem Bauch heraus würde ich sagen, das hängt zusammen. Ich erlebe es ständig im Alltag: Etwa wenn Menschen von der Supermarktkasse zu mir nach hinten gelaufen kommen und sagen: „Danke! Ich habe 30 Kilo abgenommen, die nächsten 15 schaffe ich auch noch.“
Bringen denn Maßnahmen wie die Lebensmittelampel auch etwas?
Wenn man bedenkt, dass die Lebensmittelampel von Wissenschaftlern jahrelang vorbereitet wurde, und dann bekamen Nüsse und Lachs plötzlich ein E, was entgegen jeder Studienlage ist, frage ich mich, was die die ganzen Jahre gemacht haben. Inzwischen wurde das zwar korrigiert, aber wie konnte so ein schwerer Fehler passieren? Mittlerweile manipuliert die Lebensmittelindustrie sogar die Zusammensetzung, um eine bessere Bewertung zu bekommen. Aber die Nahrung wird dadurch nicht unbedingt gesünder. Viel besser wäre es, wenn vorne auf dem Produkt groß stehen würde, wie viel Zucker in dem Produkt enthalten ist. In Argentinien ist auf zuckerreichen Lebensmitteln für Kinder zum Beispiel ein ganz klares Stopp in Schwarz.
Die Lebensmittelampel hingegen ist ein mieser Kompromiss, zusammen mit dem Lobbyismus. Leider liegt es ja in der Verantwortung des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung. Das hat damit aber eigentlich gar nichts zu tun. Die Leute werden krank vom Essen. Daher muss eigentlich Karl Lauterbach als Gesundheitsminister zuständig sein. Herr Lauterbach muss sich viel aktiver einmischen und zum Beispiel auch Ernährungsminister Cem Özdemir in solchen Sachen zur Seite stehen.
Aber wie merke ich denn als Laie vor dem Supermarktregal, was gut für mich ist?
Wenn ich einkaufen gehe, dann sind die Regale, an denen ich mich befinde, Obst und Gemüse, bei den Nüssen und im Milchprodukte- und Kühlbereich. Bei Fertigprodukten kaufe ich eher Bio, weil die auf Chemie verzichten. Das ist total wichtig. Mittlerweile wissen wir eben, dass eine Ernährung mit viel verarbeiteten Fertigprodukten uns früher sterben lässt. Und das ist schon ab einem hochverarbeiteten Produkt pro Tag messbar. Das Problem ist aber, dass die Hälfte der deutschen Bürger sich zu 50 Prozent von hochverarbeiteten Produkten ernährt. Bei der Jugend sind es 60 Prozent, bei der amerikanischen Jugend sogar 75 Prozent. Tendenz steigend. Das ist schlimm. Jeder Einzelne schadet sich damit. Und wir verkürzen damit unser Leben. Schlimme Erkrankungen wie Morbus Crohn, also eine Autoimmunerkrankung des Darms, sind erst mit der Industrialisierung bei uns aufgetaucht.
Und welcher Ernährungsstil ist gut geeignet, um langfristig die Gesundheit zu erhalten?
Die Basis stellen 500 Gramm Gemüse am Tag, dadurch bekommen wir die Ballaststoffe, die wir brauchen, und die Omega-3-Fettsäuren sind auch noch dabei. Dann etwas zuckerarmes Obst, wie Beeren, Aprikosen oder Wassermelone. Bei der Eiweißmenge sollten wir vor allem pflanzliches Eiweiß zu uns nehmen, etwa durch Hülsenfrüchte. Und wenn wir jetzt noch darauf achten, dass die, die sich nicht viel bewegen, wenig Pasta oder Reis essen und idealerweise die Vollkornalternative, dann haben wir‘s. Aber das bietet uns die Lebensmittelindustrie nicht an, das ist das Problem.
Auf Fleisch können wir also verzichten?
Man muss nicht auf tierische Produkte verzichten. Aber schauen wir mal auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit: Unsere Hände und unser Gebiss sind nicht dafür gemacht, um rotes Fleisch zu erlegen. Man kann sich das menschliche Gebiss kaum am Hals eines Zebras vorstellen. Was der Homo sapiens früher gegessen hat, waren Insekten, Vögel, Würmer oder Mäuse – das konnten wir jagen. Wenn wir schauen, was für den Menschen am gesundheitsschädlichsten ist, findet sich unverarbeitetes rotes Fleisch nicht umsonst am äußersten Rand und wurde von der WHO sogar als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft.
Beim verarbeiteten roten Fleisch ist es eine Frage der Menge: Ein bisschen geht, aber nicht übertreiben. Das 1000-Gramm-Steak ist tatsächlich einfach zu viel. Gesünder wird es hingegen beim weißen Fleisch. Solche Tiere können Menschen unter Umständen fangen. Dann kommen wir zu Milchprodukten und Eiern – die lagen auch in unserer Reichweite. Und dann folgt der Fisch, der ist plötzlich noch gesünder. Und da merken wir: Der Homo sapiens hat sich schon immer entlang der Küsten und Flüsse ausgebreitet. Die Omega-3-Fettsäuren der Fische sind für uns essenziell.
Wie schafft man es nun, sich an diese Grundsätze auch zu halten und den Versuchungen zu widerstehen?
Ein wichtiger Punkt in der Ernährung ist der Grundsatz, dass nichts verboten ist. Ich kann sogar mal Nuss-Nugat-Creme essen. Aber es ist immer eine Frage der Menge. Natürlich geht auch mal ein Glas Wein. Aber muss es gleich eine Flasche pro Woche sein? Es ist wichtig, das schlechte Gewissen wegzunehmen.
Der zweite Punkt ist, uns klarzumachen, dass wir in einer ernährungsfeindlichen Umgebung leben. Und weil es beim Einkaufen so viele Versuchungen gibt, muss ich sagen, okay, im Supermarkt kann ich mich dagegen nicht wehren. Aber ich kann mich mit Wissen dagegen wehren. Ich kann mich mit der Einkaufsliste dagegen wehren und ich kann mir zu Hause ein ernährungsfreundliches Leben einrichten, indem ich zum Beispiel nicht Süßigkeiten rumliegen lasse, sondern Nüsse.
Und was kann man tun, um nicht doch wieder seinen Lastern zu verfallen?
Zum einen müssen wir satt werden. Wer nicht satt ist, wird schnell nervös und unruhig und fragt auf der Arbeit dann plötzlich den Kollegen, ob nicht doch noch etwas von der Schokolade übrig ist. Um diese Situation zu umschiffen, müssen wir uns satt frühstücken. Und zwar mit der richtigen Menge an Eiweiß, das sind so etwa 1 bis 1,2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht verteilt auf die drei Mahlzeiten am Tag. Eiweiß ist der größte Sättiger. Nummer zwei ist Gemüse und Sättiger Nummer drei ist Magenfüllung, heißt ich brauche auch die richtige Menge Flüssigkeit.
Und ganz wichtig: Das Essen muss uns schmecken. Das ist auch gleichzeitig ein Plädoyer gegen jede Diät. Diäten schmecken nicht, Diäten machen keinen Spaß. Und alles, was Homo sapiens keinen Spaß macht, das macht er nicht länger als zwei Monate. Also müssen wir uns fragen, wie wir alternativ kochen. Deshalb haben wir ja so eine Vielzahl an Rezeptbüchern gemacht. Wir müssen wieder lernen, aus dieser sehr Fleisch- und Fertigprodukt-basierten Grundkost rauszukommen und zu erleben, was man etwa mit Gemüse alles Tolles machen kann.
Bitte ergänzen Sie...
Fisch- oder Franzbrötchen... Ganz klar Fischbrötchen, wenngleich die Brötchen häufig ganz unterste Qualität sind. Aber gut gemachtes, zuckerarmes Franzbrötchen ist noch seltener.
Wenn ich nicht Mediziner geworden wäre... wäre ich Förster geworden. Ich liebe Natur, Wald, Wasser. In meinem Naturgarten habe ich eine Baumschule.
Podcasts oder Bücher... Bücher ganz knapp vor Podcast. Romane lese ich lieber, bei der Fortbildung sind Podcasts aber praktisch.
Zum Sporttreiben, gehe ich am liebsten... nach draußen: Schwimmen, Wellenreiten, Jogging oder Tennis und um fit zu bleiben Kraft-Ausdauertraining.
Mein Lieblingsort in Hamburg ist... ganz klar die Elbe ab Övelgönne bis Blankenese.
Nicht verzichten kann ich auf... gutes, selbst gemachtes Essen, Sport, Natur und Freunde.
Zur Person
Dr. med. Matthias Riedl, Jahrgang 1962, ist Internist, Ernährungsmediziner und Diabetologe und ärztlicher Direktor des medizinischen Versorgungszentrums Medicum Hamburg – Europas größtes Zentrum für Diabetologie, Ernährungsmedizin und angrenzende Fachgebiete. Nach dem dritten Staatsexamen 1989 absolvierte er an der heutigen Regioklinik Pinneberg seine Facharztausbildung und arbeitete als Notarzt. In Pinneberg gründete er später auch ein Zentrum für stationäre Diabetesbetreuung und Schulung. Riedl ist Autor mehrerer Fachbücher zum Thema Diabetes und Ernährung und tritt als Dozent bei universitären Lehr- und Fortbildungsveranstaltungen sowie Kongressen auf. 2012 konzipierte Riedl zusammen mit dem NDR und seinen Kollegen Anne Fleck und Jörn Klasen die NDR-Fernsehsendung „Die Ernährungs-Docs“, die Möglichkeiten der Ernährungstherapie an konkreten Patientenfällen verdeutlicht. Aktuell wird bereits die neunte Staffel ausgestrahlt.