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Bauprojekt

Folterhaus in Bremerhaven wird zum Studentenwohnheim

Die Visualisierung zeigt, wie das einstige NS-, später Gewerkschaftshaus in Bremerhaven als neues Apartmenthaus für Studenten aussehen wird. Foto: Schmidt Real Estate

Die Visualisierung zeigt, wie das einstige NS-, später Gewerkschaftshaus in Bremerhaven als neues Apartmenthaus für Studenten aussehen wird. Foto: Schmidt Real Estate

Es war Verbrechensort, Verlagshaus, Gewerkschaftszentrum. Jetzt ist das denkmalgeschützte Haus in Bremerhaven Baustelle.

Freitag, 07.10.2022, 06:00 Uhr

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Von Susanne Schwan

„Andersdenkende wurden in diesem Haus gepeinigt und gefoltert.“ Eine Gedenktafel an der Fassade erinnert an die Nazi-Jahre, als der große Backsteinbau Schaltzentrale des Grauens war. 84 Jahre später wird aus dem markanten „Klotz“ eine Schaltzentrale für weltoffene Köpfe, die „anders“ denken und lernen können sollen: Das aus allen Mauerporen politische Geschichte ausschwitzende Haus nahe der Hochschule wird umgebaut zum „Das Friedrich“, einem Apartmenthaus für Studierende und Lehrende. Vor zwei Jahren hatte das private Investorenteam aus Frankfurt und Bremerhaven seine Pläne für das 2020 von der privaten Bremer Eigentümerin erworbene Haus vorgestellt.

1928 als Verlagshaus errichtet und ab 1938 von den Nazis missbraucht

Für rund zwei Jahre blieb das Gebäude - das zunächst als Verlagshaus 1928 errichtet worden war, ehe Hitlers Schergen es sich griffen und nach dem Krieg unter anderem von Polizei- und Metallgewerkschaft genutzt wurde - von Gerüst und Planen verhüllt. Erst seit ein paar Tagen strahlt die denkmalgeschützte Fassade gesäubert, um neu verfüllte Fugen und um 154 stilistisch an das Original angelehnte Fenster erneuert.

Auch das Flachdach von gut 800 Quadratmetern Fläche ist fertig gedämmt. „Wir überlegen, im Zuge der Energiekrise, dort Kollektoren für ein eigenes Energiesystem zu installieren“, erklärt Bauherr Sergej Schmidt. Strom auch fürs Internet - zu jedem Stockwerk gehört ein WLAN-Hotspot, jedes Studentenstudio bekommt Anschlüsse. Und mehr: „Wir richten alle Apartments komplett ein, mit Küche, Bett, Schreibtisch. Alles zu einem Miet-Festpreis.“ Über den schweigt er allerdings ebenso wie über die Investition, die in Kauf, Sanierung, Umbau steckt. Nur so viel: „Bisher sind wir noch im einstelligen Millionenbereich.“ Auf allen Stockwerken wurden alte Flur- und Bürowände abgerissen und neue Wände eingezogen, um auch aus den langen Fluren schicke Apartments zuzuschneiden. 

„Das Friedrich“ soll ein Jahr verspätet erst Ende 2023 bezugsfertig sein

Ende dieses Jahres hätte laut alter Planung der gesamte Innenausbau bezugsfertig sein sollen. „Wir rechnen dafür nun mit Ende 2023“, bleibt Schmidt optimistisch. Während viele große Bauprojekte von den Folgen des Kriegs in der Ukraine auf ungewisse Zeit stagnieren oder an explodierender Baukosten und Materialmangel scheitern, geht es im künftigen „Friedrich“ zwar zäher, aber doch voran. Mit Einbußen und Umplanen, räumt Sergej Schmidt ein.

Statt - wie einst kalkuliert - auf den 3285 Quadratmetern Nutzfläche 55 bis 60 Apartments von rund 20 Quadratmetern Größe zu schaffen, „werden es nun 36 Wohnungen mit 17 bis 36 Quadratmetern“, erklärt der Immobilienverwalter, zu dessen Portfolio stadtweit rund 1500 Wohnungen zählen. Auch zwei Zweiraum-Wohnungen sind geplant, „und im Obergeschoss entsteht statt zwei Studios eine große WG-Wohnung mit drei Schlafzimmern“, zeigt Schmidts Assistentin Jessica Raduschewski den traumhaften Ausblick über Geeste und Musikerviertel.

Aus den großen Büros entlang beider langen Flurseiten werden größere und kleinere Apartments für Studenten zugeschnitten. Foto: Lothar Scheschonka

Aus den großen Büros entlang beider langen Flurseiten werden größere und kleinere Apartments für Studenten zugeschnitten. Foto: Lothar Scheschonka

Projekt ist ein Glücksfall für Bremerhaven

Nahezu überall hängen bereits die Metallkonstruktionen für die um einen halben Meter tiefer eingezogenen neuen Decken. Was jetzt sehnlichst erwartet wird: „Die Elemente für den gläsernen Lichtschacht außen entlang der Treppenhausfenster. Und das Material für den Lifteinbau“, steht Schmidt beim Rundgang jetzt genau da, wo einst die Etagen-Toilette für die Büros war und der Aufzug eingebaut wird. Verabschiedet, fast, hat man sich von dem Plan, im Erdgeschoss neben dem Verein TC Capitol - der bleibt Ankermieter - eine junge, stylische Gastronomie als Dauermieterin zu gewinnen. „Zu riskant in dieser Zeit. Vielleicht später mal, dann aber oben.“ Unten hat sich Schmidt nun eigene Büros eingerichtet. Unangetastet bleibt das ebenfalls seit 2014 denkmalgeschützte hölzerne Treppenhaus mit Terrazzoböden, „das richten wir wieder her“. 

Für die Stadt ist das Projekt ein Glücksfall, hatte Olaf Mahnken von der städtischen Denkmalbehörde betont, „angesichts der Entwicklung in Europa sind solche architektonischen Mahnmale wichtig, dies Haus zeigt die Entwicklung von der Weimarer Republik hin zum Dritten Reich und den Missbrauch des Gebäudes“ - und wie es demokratisch „rehabilitiert“ worden ist.

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Die Geheime Staatspolizei in Bremerhaven bezog Ende 1938 das Verlagshaus der SPD-eigenen Verlagsanstalt Unterweser am Hohenzollernring. Nach Kriegsende zogen die amerikanische Militärregierung und deutsche Polizeidienststellen ein. In den 50er Jahren erhielten die SPD und die Gewerkschaften das Haus zurück. Hier zogen unter anderem die Volksfürsorge, Versicherungen und Lebensmittelgeschäfte ein - und im Trakt zur Elbestraße der Verein Capitol. (set)

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