Gedenktafel für jüdische Familie Renner in Oederquart aufgestellt

Samtgemeindebürgermeisterin Erika Hatecke und Familienforscher Hans Tegtmeier enthüllen die Gedenktafel für die jüdische Familie Renner. Foto: Helfferich
Kurz vor Weihnachten enthüllten Nordkehdingens Samtgemeindebürgermeisterin Erika Hatecke und Hans Tegtmeier aus Lehrte eine Gedenktafel an die jüdische Familie Renner. Tegtmeier hat vier Jahre auf diesen Moment gewartet.
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Vor fast vier Jahren nahm der Familienforscher Hans Tegtmeier Kontakt zum damaligen Oederquarter Bürgermeister Jörg Oldenburg auf und erzählte von seinen Recherchen. Sein Ur-Ur-Großvater August Renner hieß ursprünglich Elias Renner und war Jude. Zwischen 1800 und 1900 hatten 30 jüdische Personen mit Namen Renner in Oederquart und Umgebung gelebt. Was aus ihnen geworden ist, darüber wurde nicht gesprochen.
Vor 14 Jahren begann Tegtmeier mit Forschungen für eine Familienchronik. Doch er stieß auf ein Problem: Die Linie seiner in Oederquart geborenen Großmutter väterlicherseits, Auguste Tegtmeier geborene Renner, ließ sich anhand der Kirchenbücher nicht über deren Großvater hinaus zurückverfolgen. Sie endete mit der Heirat der Ur-Ur-Großeltern von Tegtmeier im Jahre 1838 in Oederquart.
Vor der Hochzeit zum Christentum konvertiert
Schließlich stieß Tegtmeier mit Hilfe der Oederquarter Kirchengemeindesekretärin auf einen Taufeintrag aus dem Jahre 1838 - dem Jahr der Hochzeit seiner Ur-Ur-Großeltern. Der Jude Elias Renner wurde auf den Namen August Renner getauft. Der 1816 geborene Jude konvertierte offenbar in Zusammenhang mit der Heirat.
Diese Entdeckung und die Ergebnisse weiterer Recherchen erschütterten Hans Tegtmeier: „Ich hatte den Ort Oederquart im Ohr, aber dass es jüdische Vorfahren gab, wurde nie erwähnt.“ Zehn seiner Verwandten waren in Konzentrationslagern ermordet worden; unter anderem Selma Bernau, geborene Renner, die 1942 mit ihren beiden Kindern nach Auschwitz deportiert worden war. Das Tragische: Selmas Eltern waren 1887 mit ihren beiden Kindern nach New York ausgewandert, wo Selma geboren wurde, kehrten aber nach zehn Jahren wieder nach Kehdingen zurück.
Von Oederquart über Hamburg nach Auschwitz
Selma Bernau hatte mit ihren Kindern in Oederquart gelebt. Mit den Novemberpogromen 1938 begannen die Repressalien gegen die Familie. Fenster wurden eingeschlagen, Geschäftsleute verkauften keine Lebensmittel an die Familie. Schließlich verkaufte Selma Bernau ihr Haus unter Wert an die Gemeinde, so ein schriftlicher Bericht des ältesten Sohnes, und zog nach Hamburg. Von dort wurde sie mit ihren beiden jüngeren Kindern abtransportiert.

Mit dieser Tafel wird an die jüdische Familie Renner erinnert. Nach der Reichspogromnacht 1938 mussten die letzten zehn Angehörigen ihre Wohnorte verlassen und kamen in den Jahren 1941/1942 in Vernichtungslagern ums Leben. Foto: Helfferich
Hans Tegtmeier hatte 2020 seine Familiengeschichte der Gemeinde Oederquart zur Verfügung gestellt und angeregt, eine Gedenktafel für den in Oederquart lebenden jüdischen Teil der Familie Renner aufzustellen (das TAGEBLATT berichtete). Im Juni 2020 beschloss der Gemeinderat, eine Tafel aufzustellen. Doch es dauerte dreieinhalb Jahre, bis der Beschluss umgesetzt wurde.
Per QR-Code die ganze Geschichte lesen
Aufgrund der Corona-Pandemie seien die Ratssitzungen sehr eingeschränkt gewesen, erklärte Gemeindedirektorin Erika Hatecke am Tag der Enthüllung. „Wir mussten überlegen, was wir auf dieser Tafel unterbringen: die ganze Familiengeschichte oder eine verkürzte Zusammenfassung.“ Schließlich schlug Tegtmeier selbst vor, den Text auf der Tafel knapp zu halten und über einen QR-Code und Smartphone zur Geschichte der Familie Renner weiterzuführen. Doch Lieferschwierigkeiten führten zu weiteren Verzögerungen.
In dieser Zeit forschte Hans Tegtmeier weiter und erfuhr neue Einzelheiten zu einem Bruder Selmas, Hugo Renner, der ebenfalls aus Amerika zurückgekehrt war und später in Rostock Antisemitismus und Verfolgung ertragen musste, aber den Holocaust überlebte. Er starb 1977 in Rostock. Auch seine christlich getauften Söhne Dieter und Günther leben nicht mehr. „Weitere Nachkommen konnte ich bisher leider nicht finden“, so Tegtmeier.
Neue Verwandtschaft in Buxtehude entdeckt
Seine Forschungen bescherten Hans Tegtmeier bisher unbekannte Verwandtschaft: Konrad und Christian Schittek aus Buxtehude hatten 2020 den TAGEBLATT-Bericht über die Familie Renner gelesen. „Da meine Urgroßmutter auch Renner hieß, nahm ich Kontakt auf“, erzählt Konrad Schittek. Und tatsächlich: Er und sein Bruder sind Cousins dritten Grades von Hans Tegtmeier.
Anwesend bei der Enthüllung der Gedenktafel waren neben Erika Hatecke und Hans Tegtmeier der ehemalige und der jetzige Oederquarter Bürgermeister, Jörg Oldenburg und Stefan Raap, die Brüder Schittek, Michael Quelle und der Oldenburger Rabbi Tobias Jona Simon, der für die Verwaltung von 262 jüdischen Friedhöfen in Niedersachsen zuständig ist, unter anderem auch für den in der Wingst. Er dankte Tegtmeier, aber auch der Gemeinde, für die Initiative. Die Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus dürfe niemals in Vergessenheit geraten. Gerade heute dürfe neuem Antisemitismus und Rechtsradikalismus kein Platz gegeben werden.