Hamburger Sternekoch Matteo Ferrantino: Diese Gerichte sind „sexy“
Der Sternekoch Matteo Ferrantino braucht den Klang von Töpfen und Pfannen um sich herum. Foto: Ertel
Matteo Ferrantino ist ein Energiebündel, immer in Bewegung. Der Sternekoch gestikuliert, spricht mit Händen und Füßen, mal italienisch, mal Deutsch oder Englisch. Sein Restaurant ist seine Passion, die Küche seine Leidenschaft. Jeder Satz macht das klar.
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TAGEBLATT: Warum steht mitten in Ihrem Restaurant eigentlich ein Olivenbaum?
Matteo Ferrantino: Das ist ein Olivenbaum von meiner Mutter, der bei uns zu Hause im Garten gestanden hat. Der ist genauso alt wie meine Mama, 76 Jahre. Wir haben zu Hause 7000 Olivenbäume und produzieren unser eigenes Olivenöl. Im Restaurant benutze ich nur das. Das ist für mich Süditalien.
Vermissen Sie das manchmal und haben ein bisschen Heimweh?
Nein, Hamburg ist okay. Aber ich liebe meine Heimat und unsere Werte. Das ganze Restaurant gibt ein Gefühl von meiner Heimat: Die Küche, die Atmosphäre und auch die Architektur, das ist meine Philosophie. Das Parkett kommt von den Olivenbäumen, die Decken-Paneelen sind aus Pinienholz von unserer Küste. Der Steinboden ist wie unser Straßenpflaster. Alles erinnert an mein Dorf. Ich komme aus La Farvalla Bianca, mein Dorf ist weiß, wie es der Name sagt. Also heißt mein Restaurant „bianc“, so wie wir in meinem Dialekt für weiß sagen. Darum habe ich auch eine weiße Küche.
Sie haben an ersten Adressen auf Mallorca, in Salzburg und an der portugiesischen Algarve gekocht, was hat Sie ausgerechnet nach Hamburg verschlagen?
Ich hatte fast zehn Jahre im „Vila Joya“ an der Algarve gekocht, erst fünf Jahre als Souschef, danach noch mal fünf Jahre als zweiter Chefkoch neben Dieter Koschina. Das war eine tolle Zeit. Wir hatten am Ende zwei Sterne, aber mussten den praktisch teilen. (lacht) Und ich hatte einen Traum: Ich wollte gern allein Chef sein. Ich hatte genug Power, genügend Ideen. Ich wollte eben meinen eigenen Ferrari. (lacht)
Zu dem Zeitpunkt hatten wir einen Stammgast, einen Zahnarzt aus Hamburg, der jedes Jahr kam und fanatisch gern gut gegessen und getrunken hat. Ein sehr mediterraner Mann. Wir hatten eine gute Beziehung, mit Distanz aber großem gegenseitigem Respekt. Genau in dieser Zeit fragte er mich, ob ich einen Wunsch hätte. Ich dachte, er meinte ein Glas Champagner oder Wein. Aber er fragte, ob ich einen Traum hätte. Das war das eigene Restaurant. Und er sagte: „Ich mache deinen Traum wahr.“
Und, hat er?
Ich dachte erst an einen Witz. Aber nach zwei Jahren war es wahr, und Anfang 2016 habe ich mir konkrete Projekte in Hamburg angeschaut. Ich war von der Stadt auf Anhieb begeistert. Und von den Räumen in der Hafencity auch. Die Lage, die vielen Fenster und die Transparenz, die Gegend, einfach fantastisch. Dann ging es los.
Wie kommt es überhaupt, dass ein kleiner italienischer Junge aus der apulischen Provinz unbedingt Koch werden will?
Ich bin wohl als Koch geboren und hatte das irgendwie im Blut. Meine ganze Familie kommt ja aus der Gastronomie. Meine Mama hat zu Hause Auberginen, Artischocken, Spargel und andere Gemüse eingelegt und mit dem Vater auf der Straße verkauft, im Sommer hat sie im Restaurant gekocht. Meine beiden Brüder sind zu Hause Chefköche, meine Schwester, die jetzt Veterinärin ist, kochte anfangs auch. Kochen ist bei uns Familienpassion. Ich selbst stand schon mit neun Jahren am Pizza-Holzofen. Ich war so klein, dass ich auf Bierkisten stehen musste, um die Pizza überhaupt sehen zu können.
Trotzdem wollte Ihre italienische Mama, dass Sie Elektriker werden. Warum haben Sie nicht auf die Mama gehört?
Meine Mutter wollte nicht, dass in der Familie noch ein Koch dazu kommt. Sie hätte gern jemand für die praktischen Arbeiten zu Hause gehabt. Ich habe es kurz versucht, ein paar Monate, aber ich wollte das nicht. Ich wollte auch nie Fußballer werden oder studieren. Ich wollte ein super toller Koch werden.
Wo haben Sie kochen gelernt?
Ich war auf einer Kochschule, die dauert normalerweise fünf Jahre bis zum Diplom. Minimum waren drei Jahre. Ich fand das genug und habe der Schule nach drei Jahren Tschüss gesagt. Ich brauchte den Klang von Töpfen und Pfannen um mich herum, wollte in der Küche frei mit Produkten arbeiten können und nicht die Schulbank drücken. Ich wollte lieber raus und von den Großen lernen.
Was ist beim Kochen für Sie besonders wichtig?
Leidenschaft, Emotion und die Erinnerung an die mediterrane Küche meiner Kindheit und Heimat. Dazu nur das eigene Olivenöl der Familie. Ich möchte unseren Gästen einen perfekten Abend bieten, eine Harmonie aus Genuss und Lebensfreude.
Ihre Küche sei „simpel und sexy“, haben Sie mal gesagt. Was heißt das, denn von „einfach“ kann in einer Sterne-Küche doch keine Rede sein?
Es ist tatsächlich beides. Nehmen Sie zum Beispiel eine Jakobsmuschel, gebraten mit Olivenöl-Sud, dazu etwas Gemüse. Das sind nur drei oder vier Zutaten, alles ist sehr klar, auch im Geschmack. Auch wenn wir Cappuccino mit Trüffel kombinieren. (Ferrantino blättert in seinem gerade erschienenen Kochbuch und zeigt dabei auf die Fotos.) Oder Pasta mit Basilikum-Tomatensoße und Ricotta. Auch das ist zugleich simpel und sexy. Hochwertige Zutaten und klare Aromen zusammen mit raffinierter Kreativität ergeben auf den Tellern dann kulinarische Kompositionen, die oft einfach, aber immer sexy sind.
Über Italiener wird gern gesagt, sie kochten nach ihrem Bauchgefühl und nicht nach Rezept. Trifft das für Sie zu?
Das ist nicht ganz richtig, aber auch nicht falsch. Wenn du Architekt bist, musst du kreativ sein, brauchst aber viel den Kopf, du musst berechnen, kalkulieren. Ich brauche als Koch zu 90 Prozent Bauch und Gefühl. Und natürlich Geschmack. Dazu vielleicht zu zehn Prozent den Kopf. Aber nichts geht ohne Emotion.
Es wird oft behauptet, dass der Ton in Sterne-Küchen sehr rau ist und es dort sehr laut zugeht, stimmt das?
Bei mir ist es extrem ruhig in der Küche. Hören Sie selbst, kaum ein Ton. Man hört nur Pfannen und Küchengeräusche. Alle sind hochkonzentriert, jeder weiß genau, was zu tun ist. Und hat trotzdem Spaß. Ich muss nicht laut sein. Ich habe zwar viel Power, aber ich benutze die, wenn die Zeit dafür ist. Morgens in der Früh zum Beispiel, bevor ich im Restaurant bin, oder manchmal, wenn etwas schiefgeht. Dann kann ich mich schon mal ärgern. Aber Gott sei Dank passiert das nur sehr, sehr selten. In meinem System gibt es zwei Meetings am Tag: eines am Morgen mit der Küche, eines am Nachmittag mit dem Service. Da besprechen wir genau, was zu tun ist, was am Vortag gut oder nicht so gut gelaufen ist und was wir besser machen müssen. Dabei schaue ich meinen Leuten in die Augen, das reicht. Wir sind eine Familie.
Wie viele Köche hat diese Familie?
Zurzeit zwölf. Sie kommen aus Portugal, Italien, Deutschland und Spanien. Ich hatte aber auch schon Köche aus anderen Ländern dabei.
Was denken Sie, wenn ein Gast als Erstes nach Pfeffer fragt? Oder nach Salz?
Gott sei Dank hat es das in fünf Jahren vielleicht nur einmal gegeben. Und vielleicht zweimal Nachfragen nach Salz. Das war dann okay, das muss jeder selbst wissen. Es gibt eben Gäste, die mögen viel Pfeffer. Aber normalerweise haben wir keinen Pfeffer und kein Salz auf dem Tisch.
Haben Sie schon mal einen Gast vor die Tür setzen müssen?
Dazu gab es keinen Grund, und dazu wären wir auch zu professionell. Wenn wirklich mal Gäste etwas unglücklich waren, habe ich gefragt, ob ich etwas tun kann. Das kann schon mal passieren, ich bin kein Zauberer. Aber das kam bislang auch nur ein- oder zweimal vor. Vielleicht sind die Gäste dann aber auch bei mir nicht richtig gewesen.
Wie meinen Sie das?
Wenn 99,9 Prozent der Gäste glücklich und zufrieden sind und nur 0,1 Prozent nicht, dann kann es vielleicht sein, dass die am falschen Platz waren oder nicht wussten, was sie erwartet. Bei Google kann man sehen, dass es in allen guten und sogar den besten Restaurants immer einen Gast gibt oder zwei, die nicht zufrieden waren und meckern. Das ist ganz normal. Wenn das nicht der Fall wäre, dann würde etwas nicht stimmen.
Wie wichtig ist Ihnen der dritte Stern, wann wird es ihn geben?
Der ist schon mein Traum und er ist großer Ansporn. Aber ohne zeitlichen Druck. Der Zeitpunkt wird kommen, ich bin auf dem Weg. Ich habe das Potenzial, wir haben die Qualität, es wird passieren.
Können Sie noch entspannt bei Kollegen und Kolleginnen essen gehen oder vergleichen Sie sich ständig?
Nein, es macht mir Spaß, die zu besuchen. Ich kann deren Küche in Ruhe genießen und nebenbei natürlich auch ein bisschen schauen, was die so machen und wie sie ihre Gerichte auf die Teller bringen.
Wer kocht bei Ihnen zu Hause?
Ich natürlich. (lacht) Aber nicht so oft. Dann aber sehr gern Pasta Pomodoro mit Basilikum und Ricotta. Nach dem Rezept meiner Mama. Das ist der Geschmack meiner Heimat.
Bitte ergänzen Sie...
Wenn ich mal nicht im Restaurant oder in der Küche stehe... dann ruhe ich mich aus, mache Pause, gehe spazieren.
Zeit zum Abschalten finde ich... selten und wenn doch, bei meinen zwei Pferden in Schenefeld. Ich reite gern, wenn’s geht zwei-, dreimal in der Woche.
Mein Lieblingsgericht privat ist... Spaghetti Cacio e Ricotta.
Wenn meine Frau meine Küche kritisiert... dann sage ich: Mach es doch selber.
Vegane Sterne-Küche ist... ohne Milchprodukte ein bisschen schwierig, aber möglich. Alles ist möglich, wenn man den richtigen Koch hat. Ich mache mediterrane Küche, dazu gehört viel Gemüse, aber auch etwas Fisch oder Fleisch. Aber nur mit mediterranen Produkten.
Zur Person
Matteo Ferrantino wurde am 2. März 1979 im süditalienischen Apulien geboren und entwickelte schon früh seine Leidenschaft fürs Kochen. Er arbeitete bei bekannten Sterneköchen wie seinem großen Vorbild Eckart Witzigmann auf Mallorca, mit Roland Trettl auf Mallorca und in Salzburg. Und schließlich fast zehn Jahre lang an der portugiesischen Algarve an der Seite von Dieter Koschina, der zu den weltbesten Köchen gerechnet wird. Dort, in der Küche, lernte er auch seine Frau Christina kennen, eine Salzburgerin, die heute auch seine Geschäftsführerin ist und den Service leitet.
Sein erstes eigenes Restaurant ist das „bianc“ in Hamburg, das er Ende 2017 in der Hafencity unweit der Elbphilharmonie eröffnete. Seinen ersten Michelin-Stern bekam er 2019. Im Jahr danach wurden es bereits zwei Sterne - bis heute. Seine Küchen-Philosophie spiegelt der Name seines Haupt-Menüs wider: „Emotion - eine Reise zwischen den Aromen der Erde und des Meeres“.