Handwerker gesucht – warum es vielen Betrieben an Personal mangelt
Henry Heidrich, Auszubildender in einem Bauunternehmen, hakt auf einer Baustelle die Eisenkörbe für das Fundament an einem Kranhaken ein. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa
Termine beim Tischler, Elektriker oder Installateur zu ergattern, ist schon schwierig genug. Und hat man einen, ist die Wartezeit oft lang. Ein Grund ist der Nachwuchsmangel in Handwerksberufen. Warum ist die Besetzung offener Stellen für viele Betriebe so ein Problem?
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Von Mia Bucher
Als Henry Heidrich sich entschloss, eine Maurerausbildung zu beginnen, war er zufrieden und motiviert. Als er seinen Freunden davon erzählte, waren die vor allem eines: verwirrt. Er habe Sprüche zu hören bekommen wie: „Wie kannst du dir das nur antun auf dem Bau?“ Oder: „Du machst deinen Rücken kaputt.“ Heidrich ist der Einzige aus seinem Bekanntenkreis, der nicht studiert. Seine Entscheidung sei auf Unverständnis gestoßen, erzählt der 20-jährige Azubi. „Die denken noch so wie früher - der dumme Maurer, der kann sowieso nichts, außer Stein auf Stein setzen.“
Solche und andere Vorurteile gegenüber modernen Handwerks- und Lehrberufen sind wohl kein Einzelfall. In Niedersachsen ist die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge nach Angaben der Landesvertretung der Handwerkskammern (LHN) seit Jahren rückläufig.
Immer weniger Ausbildungsverträge im Handwerk
Während 2011 noch etwa 19.000 Verträge abgeschlossen worden waren, sank die Summe 2021 auf nur noch knapp 15.500. Das größte Sorgenkind ist dabei der Westen des Bundeslandes: Nordhorn gehörte 2019 nicht nur in Niedersachsen, sondern bundesweit zu den Regionen, die am stärksten von Fachkräfteengpässen betroffen waren. Das ergaben Erhebungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.
Andreas Lehr von der Handwerkskammer für Osnabrück, das Emsland und die Grafschaft Bentheim glaubt, dass es Handwerksberufen an Anerkennung fehlt: „Die Politik hat es in der Vergangenheit nicht geschafft, die duale Ausbildung und die akademische Ausbildung gleichwertig zu behandeln.“ Eine Konjunkturbefragung habe ergeben, dass fast jeder zweite der 11.000 Betriebe offene Stellen hat.
Grundsätzlich ist die Arbeitslosenquote im Bezirk Nordhorn mit 2,6 Prozent (Stand Februar) nach Angaben der zuständigen Agentur für Arbeit sehr gering. Gleichzeitig wächst laut LHN aber der Auftragsbestand stetig. Daher brauchen die Betriebe nicht nur mehr Auszubildende, sondern generell mehr Personal. Dass aufgrund des demografischen Wandels viele langjährige Angestellte in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen, verschärft die Lage zusätzlich.
Gesellschaftlicher Wandel trägt Mitschuld
In Haren, einer Kleinstadt an der niederländischen Grenze, ist das Problem bekannt. Andreas Nünemann sucht für sein 15-köpfiges Familienunternehmen, das auf Hochbau spezialisiert ist, für die kommende Saison noch drei Maurergesellen. „Wir haben uns darauf eingestellt, dass wir eine längere Zeitspanne für Bauvorhaben einplanen, um die Kunden nicht zu verprellen“, erklärt er.
Für den Maurer- und Betonbauermeister ist es auch deshalb schwierig, Nachwuchs anzuziehen, weil die junge Generation ganz anders ticke als ältere Kollegen, wie Nünemann es beschreibt. „Früher war man froh, wenn man einen Ausbildungsplatz hatte. Heute ist es ein bisschen anders. Die jungen Leute sagen öfter mal: ,Nee, das kann ich nicht.'“
Aktuell beschäftigt er einen Azubi. Zwei weitere kommen im laufenden Jahr hinzu. Zuvor hatte Nünemann zwei Lehrlinge, die die Ausbildung jedoch abbrachen, weil sie sich die Arbeit anders vorgestellt hatten.
Betriebe müssen kreativ sein und mehr Angebote machen
Was können Unternehmen tun, um jungen Menschen das Handwerk wieder schmackhaft zu machen? Wie positioniert man sich als attraktiver Arbeitgeber? Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (Kofa) - ein Projekt des IW - unterstützt kleine und mittlere Firmen bei diesen Fragen. „In den 90ern hatten Arbeitgeber teilweise Wäschekörbe voll Bewerbungen und konnten sich da Mitarbeiter heraussuchen“, sagt die Arbeitsmarktexpertin am Kofa, Sarah Pierenkemper. Das sei vorbei.
Betriebe im ländlichen Raum könnten zum Beispiel anbieten, sich an den Führerscheinkosten des Azubis zu beteiligen. Aber: „Um wirklich Herr über den Fachkräftemangel zu werden, reicht es nicht, nur einen Teil anzugehen, sondern man muss in vielen Bereichen aktiv werden.“
Geringe Übernahmequote in den vergangenen Jahren
Das Innenausbau-Unternehmen Germerott in Gehrden, das rund 50 Mitarbeiter hat, versucht, dem Nachwuchs einiges zu bieten. Azubis bekommen zum Beispiel ein eigens Smartphone und Tablet, es gibt interne Schulungen und sogar eine eigene Nachhilfelehrerin, die bei der Prüfungsvorbereitung hilft. Germerott wirbt unter anderem an Schulen, Universitäten und in den sozialen Medien aktiv um Nachwuchs.
Der Aufwand scheint sich zu lohnen, sieben Auszubildende sind aktuell angestellt. Und trotzdem: „Die Übernahmequote in den letzten Jahren ist gering“, sagt der kaufmännische Geschäftsführer Mark Wichert. Dabei braucht er unbedingt Fachkräfte - zehn Monteurstellen werden in den kommenden Jahren frei. „Die Ausbildung im Handwerk wird eher als Sprungbrett genutzt, um sich anschließend einer weiterführenden technischen Fortbildung zu widmen“, stellt Wichert fest.
Gehalt im dritten Lehrjahr: 1500 brutto
Am Gehalt liegt es laut Nünemann und Lehr meist nicht. Im Baugewerbe verdient ein Auszubildender nach Angaben des Unternehmerverbands Deutsches Handwerk im dritten Lehrjahr mindestens knapp 1500 Euro brutto. „Das ist schon viel Geld, wovon man als Jugendlicher gut leben kann“, findet auch Maurer-Azubi Heidrich.
Nünemann überlegt, nun in Rumänien, Kroatien oder Serbien nach neuen Mitarbeitern zu suchen. Kollegen sehen auch in der Ankunft von ukrainischen Flüchtlingen eine Chance, um Fachkräfteengpässe auszugleichen. Die Bundesregierung möchte Hunderttausende neue Wohnungen bauen lassen, die Energieeffizienz und die Infrastruktur verbessern - zur Umsetzung braucht es viele qualifizierte Handwerker.
Heidrich schließt diesen Sommer seine Ausbildung ab. Seine Nachbarn haben schon versucht, den jungen Mann abzuwerben - sie arbeiten in einer größeren Firma. Doch der 20-Jährige möchte im mittelständischen Ausbildungsbetrieb bleiben, später seinen Meister machen. Um seine berufliche Zukunft muss er sich jedenfalls wohl keine Sorgen machen.