„Rattenplage“: Mehr als 600 Degus in Wohnung gehortet

Mehrere Degus sitzen in einem Käfig in einem Auto. Foto: Landkreis Uelzen/dpa
Verwahrlost, zerbissen, abgemagert: Hunderte kleine Nagetiere findet das Veterinäramt Uelzen in einer Privatwohnung. Manche der Degus sind in einem schlechten Zustand.
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Uelzen. Nach einer anonymen Anzeige hat das Veterinäramt Uelzen mehr als 600 kleine Nager aus einer Wohnung gerettet. Die Degus, eine Nagetierart aus Chile, wurden in etlichen Käfigen gehalten und waren teilweise in einem schlechten Zustand.
„Einige waren tot, etliche mussten eingeschläfert werden“, sagte Martin Theine, Sprecher des Landkreises, am Donnerstag. „Das ist eine heftige Sache, sie sind vergleichbar mit Ratten.“
Er bestätigte Medienberichte, wonach viele der kleinen Tiere am Wochenanfang aus der Privatwohnung gerettet worden sind und nun im Tierheim aufgepäppelt werden. „Zunächst wurden sie geimpft und nach Männchen und Weibchen getrennt, weil sie sich unheimlich vermehren“, sagte Theine. Weil das Tierheim an seine Grenzen stößt, werden Abnehmer gesucht, auch andere Heime.
„Animal Hoarding“ nimmt zu
Wenn Tierärzte die Türen öffnen, wenn ihnen das Ammoniak in der Nase beißt und es ihnen entgegenwimmert, wenn es aus der einen Ecke der oft stickigen und engen Wohnung raschelt und aus der anderen bellt. Immer wieder kommt es vor, dass massenweise Katzen oder Hunde, Vögel, Kaninchen und sogar Pferde aus dem Besitz völlig überforderter Halter, aus voll gestellten Wohnungen oder von verschlammten Koppeln gerettet werden müssen.
Die Fälle pathologischen Hortens von Tieren (englisch: animal hoarding) - meist aus falsch verstandener Tierliebe, aus Überforderung oder auch aus Profitgier - nehmen Jahr für Jahr zu. Nach Angaben des Deutschen Tierschutzverbandes zeichnet sich ab, dass im vergangenen Jahr so viele Wohnungen und Häuser ausgeräumt wurden wie nie zuvor.
Dabei war nach Verbandszahlen bereits im Jahr zuvor mit 73 Fällen ein Höchststand erreicht worden. Offizielle Statistiken gibt es nicht. Aber die Dunkelziffer ist auch gewaltig, weil sich die Halterinnen und Halter zurückziehen. Die Mittel gegen die krankhaften Animal Hoarder? Überaus dürftig. Die Hilfsangebote für die oft krankhaft süchtigen Tiersammler? Ebenfalls.
Warum Menschen Tiere horten
Werden aus einer Katze im Wohnzimmer irgendwann 60, dann geht es meistens nicht nur um Tierschutz, sagt Nina Brakebusch, Fachexpertin für Animal Hoarding beim Deutschen Tierschutzbund. „In der heutigen Zeit vereinsamen die Menschen, es geht ihnen die Bindung zu anderen Menschen verloren.“ Oft lasse ein persönlicher Schicksalsschlag wie eine Scheidung oder der Verlust des Jobs die Situation kippen. Neben dem Zuchtgedanken halten sich manche Hoarder auch für Tierretter und locken – gerade im Falle von Katzen – Streuner mit Futter an.
Was aber fehlt, ist die Einsicht: „Animal Hoarder verdrängen, dass es den Tieren schlecht geht“, sagt die baden-württembergische Landestierschutzbeauftragte Julia Stubenbord. Sie bagatellisieren und spielen mit den Behörden ein Katz-und-Maus-Spiel, um den Gerichtsbeschluss und den Zugang zur Wohnung zu verhindern.
Selten lassen sich Animal Hoarder therapieren, in fast allen Fällen werden sie nach Angaben des Tierschutzbundes zu Wiederholungstätern. „Wenn ein Landkreis ein Tierhaltungsverbot verhängt, kann der Tierhorter umziehen und von vorn anfangen“, kritisiert Veiel vom Stuttgarter Tierheim. Eine oft geforderte Datenbank für Haltungsverbote oder ein Zentralregister gibt es noch nicht, außerdem ist Animal Hoarding nach wie vor kein anerkanntes Krankheitsbild. Die Kassen finanzieren also keine Therapie für die psychisch kranken Sammler.