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Nach Klimaprotesten: Flugverkehr in Hamburg läuft wieder – Frage nach Schadensersatz

Klimaaktivisten kleben auf einem Rollfeld des Hamburger Flughafens, im Vordergrund wird eine Maschine von Eurowings umgeparkt. Foto: Bodo Marks/dpa

Klimaaktivisten kleben auf einem Rollfeld des Hamburger Flughafens, im Vordergrund wird eine Maschine von Eurowings umgeparkt. Foto: Bodo Marks/dpa

Nach den Klimaprotesten am Donnerstag läuft der Flugverkehr am Hamburg Airport wieder ohne Probleme. Dutzende Flüge waren ausgefallen, nachdem sich Mitglieder der Letzten Generation auf dem Rollfeld festgeklebt hatten. Werden die Eindringlinge zur Rechenschaft gezogen?

Samstag, 15.07.2023, 12:57 Uhr

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"Der eigentliche Ferienstart am Samstag in Hamburg und Schleswig-Holstein lief bisher reibungslos", sagte Flughafen-Sprecherin Janet Niemeyer am Samstag auf dpa-Anfrage. In den ersten Tagen waren täglich rund 340 Starts und Landungen mit rund 50.000 Passagieren geplant. "Dieses Niveau wird auch in den kommenden Tagen so bleiben", sagte Niemeyer.

Am Freitag habe es noch einzelne Flugstreichungen oder Verspätungen gegeben, die auf die Ereignisse vom Donnerstag zurückgingen. "Und gleichzeitig waren die Flugzeuge noch voller, weil Passagiere umgebucht wurden, deren Flüge am Donnerstag gestrichen werden mussten", sagte Niemeyer.

Am Donnerstagmorgen hatten Klimaaktivisten der Gruppe Letzte Generation den Hamburger Flughafen für Stunden lahmgelegt. Der Flugbetrieb musste von 6.10 Uhr bis 9.50 Uhr aus Sicherheitsgründen eingestellt werden. Tausende Passagiere, darunter viele Familien mit Kindern, waren betroffen. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) forderte eine konsequente Bestrafung der Blockierer. Auch Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) zeigte "null Verständnis für die Aktion".

Gewerkschaft der Polizei attestiert Letzter Generation "Fanatismus"

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) wirft der Letzten Generation Fanatismus vor und plädiert mit Blick auf die Aktionen der radikalen Klimaschützer für ein bundesweit abgestimmtes Vorgehen. Allgemeinverfügungen der Städte zur Verhinderung von Straßenblockaden durch Klimaschützer seien richtig, aber nicht ausreichend, sagte der GdP-Bundesvorsitzende Jochen Kopelke der Deutschen Presse-Agentur. Die bei Zuwiderhandlung dann drohenden hohen Bußgelder und möglichen Haftstrafen könnten eine wirksame Reaktion sein - "ein spürbares Zeichen des Rechtsstaates sind diese allemal", fügte er hinzu. Noch wirksamer wäre diese Vorgehensweise aus seiner Sicht, wenn es zu diesen Protestformen bald ein bundesweit abgestimmtes Handeln der Länder und Kommunen gäbe.

Kopelke sagte: "Die Letzte Generation bringt die Menschen gegen sich auf. Der zunehmende Fanatismus der Gruppe sorgt bei der Polizei für große Besorgnis." Mit ihren "kriminellen Aktionen und penetranter Rücksichtslosigkeit" sorgte die Klimaschutzgruppe nicht für eine Steigerung der Akzeptanz für den Klimaschutz. Mit Blick auf Medienberichte über einzelne Polizeibeschäftigte, die sich bei der Letzten Generation beteiligen, sagte der GdP-Vorsitzende: "Ein solches Engagement ist hochproblematisch, dienstrechtliche Konsequenzen hochwahrscheinlich."

Innenministerin Faeser kündigt Sicherheitsstandards an 

Mitglieder der Letzten Generation hatten am Freitag mit Blockaden erneut den Straßenverkehr in mehreren deutschen Städten an wichtigen Stellen gestört. In Nürnberg verstießen sie damit gegen eine Allgemeinverfügung, die nicht angemeldete Proteste verbietet. Am Freitagabend störten Mitglieder der Gruppe die Premieren-Aufführung der Regensburger Schlossfestspiele. Eine Aktivistin klebte sich zwischenzeitlich an ein Bühnenteil, wie ein Sprecher des Polizeipräsidiums Oberpfalz mitteilte. Drei weitere Menschen seien auf dem Weg zur Bühne von Sicherheitspersonal aufgehalten worden. 

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte erklärt, mit den Sicherheitskonzepten von Flughäfen und anderen Teilen der kritischen Infrastruktur werde sich das geplante Kritis-Dachgesetz beschäftigen, das in ihrem Ministerium zurzeit vorbereitet wird. Der Zaun um das Gelände des Düsseldorfer Flughafens erfülle "alle gesetzlichen Sicherheitsanforderungen nach den hohen deutschen und europäischen Anforderungen", sagte Flughafen-Geschäftsführer Lars Redeligx der Düsseldorfer "Rheinischen Post".

Die Diskussion über die jüngsten Aktionen der Letzten Generation schlug auch in sozialen Medien hohe Wellen. Der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz, schrieb bei Twitter "Die Sabotage des Alltagslebens der Menschen ist politisch schlicht falsch und kontraproduktiv für den Kampf gegen die #Klimakrise." und erntete dafür aufgeregte Kommentare.

 Blockierern drohen erhebliche Strafen

Klimaschützer, die Straßen und Flughäfen blockieren oder Veranstaltungen mit Farbattacken stören, müssen mit teils erheblichen Strafen rechnen. Das gilt vor allem dann, wenn sich die Aktivisten der Klimaschutzgruppe Letzte Generation uneinsichtig zeigen. Jenseits von Geldstrafen und Haft stellt sich bei einigen der Aktionen der vergangenen Tage und Wochen auch die Frage nach möglichen Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe.

Aus rechtlicher Sicht, heißt es von Experten, handelte es sich bei den Klebe-Aktionen auf den Flughäfen Hamburg und Düsseldorf am vergangenen Donnerstag um einen sogenannten Eingriff in einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Der Düsseldorfer Flughafen, wo nach Angaben eines Sprechers 48 Flüge annulliert und zwei umgeleitet wurden, prüft inzwischen mögliche Ansprüche auf Schadenersatz.

 Das sagen Rechtsexperten

"Für den Geschädigten stellt sich natürlich auch die Frage, ob es sich wirtschaftlich lohnt, Schadenersatzansprüche geltend zu machen", gibt Thomas Rüfer, Professor für Bürgerliches Recht an der Universität Trier, zu bedenken. "Denn wenn da ohnehin nichts zu holen ist, würde man durch so eine Klage letztlich nur ein Signal setzen." Und da man den Aktivisten zubilligen müsse, dass sie mit dem Klimaschutz zumindest ein moralisch gerechtfertigtes Ziel verfolgten, könne es auch sein, dass eine Organisation aus Image-Gründen auf eine Klage verzichte.

Aus Rüfers Sicht käme auch ein Ersatzanspruch wegen vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigung in Frage. Die Blockade eines Flughafens werde wohl überwiegend als sittenwidrig angesehen, sagt er, bei Straßenblockaden werde das dagegen kontrovers diskutiert. Bei einer Straßenblockade mag der konkrete Schaden für die Aktivisten schwer einzuschätzen sein: Wird ein Lieferdienst mit verderblicher Ware im Stau aufgehalten? Kommt ein Krankenwagen zu spät ins Krankenhaus? Klebt sich jemand auf das Rollfeld eines internationalen Flughafens, sieht das schon anders aus.

Auch Florian Dallwig, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht des Deutschen Anwaltvereins, ist überzeugt, dass es sich bei den Flughafen-Aktionen um einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb handelt. Er sagt: "Da würde sich eine ganz andere Schadensumme berechnen lassen, sowohl was die Fluggesellschaft als auch die Betreibergesellschaft des Flughafens angeht."

Der Anwalt aus Hamm erklärt: "Für die Frage, ob jemand durch eine Privatinsolvenz von der rechtskräftig festgestellten Verpflichtung frei wird, diese Summe zu begleichen, ist es relevant, ob man annimmt, dass es sich um eine vorsätzliche Schädigung handelt." Diese könne von einem Zivilgericht durchaus so gesehen werden, da sich die Aktivisten in der Regel des strafbaren Mittels der Nötigung bedienten. "Dagegen spräche, wenn man die Verhinderung eines Klimanotstandes als ein legitimes übergeordnetes Ziel anerkennt."

Anders als bei einem fahrlässig herbeigeführten Schaden - etwa durch die Unachtsamkeit eines Autofahrers im Straßenverkehr - kommt eine sogenannte Restschuldbefreiung bei jemandem, der einen Schaden vorsätzlich herbeiführt, auch im Falle eines Insolvenzverfahrens nicht in Betracht. "Die Summe kann damit über einen Zeitraum von bis zu 30 Jahren beigetrieben werden", sagt Dallwig.

Er glaubt allerdings, dass Ansprüche gegen die Letzte Generation als solche nicht in Frage kämen. Vielmehr richteten sich diese gegen einzelne Aktivisten, die an der jeweiligen Aktion beteiligt sind, gegebenenfalls noch gegen Helfer. "Damit käme man dann an die Spenden, die von der Generation gesammelt werden, und die ja teilweise aus größeren Privatvermögen stammen, nicht heran", vermutet der Anwalt.

Mutmaßlicher Brandanschlag auf SUVs in Münchener Autohaus

Rechtswissenschaftler Rüfer ist sich da nicht so sicher. Dass neben den Beteiligten auch die Letzte Generation zur Kasse geben werden könnte, hält er zumindest für möglich. Er sagt, die Gruppe sei als sogenannter nichts rechtsfähiger Verein zu behandeln. Und soweit die Letzte Generation ein gemeinsames Vereinsvermögen gebildet habe, etwa durch Spenden, könnten Geschädigte darauf zugreifen.

Wenn es um Situationen gehe, wo jemand eine Urlaubsreise wegen einer Blockade nicht antreten könne, sei die Rechtsprechung allerdings vorsichtig, was die Höhe des Schadens angehe, räumt er ein. Eindeutiger sei der Fall des mutmaßlichen Brandanschlags auf zwei SUV-Fahrzeuge in einem Autohaus in München vor einigen Tagen.

Nach dem Brand war ein anonymes Bekennerschreiben aufgetaucht, in dem es heißt, die "Repression gegen Klimaaktivist*innen" solle nicht unbeantwortet bleiben. Deshalb habe man "in einem Schnellverfahren" die Fahrzeuge durch einen Brandsatz "zwangspensioniert und in den vorzeitigen Ruhestand versetzt". Ob das Schreiben von den möglichen Tätern stamme, sei aber völlig offen, hieß es von der Polizei. Rüfer sagt: "Wenn man der Täter habhaft wird, wird es - neben der strafrechtlichen Verfolgung - für das Autohaus unproblematisch sein, hier auch Schadenersatzansprüche geltend zu machen." (dpa/lno)

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