Interview

Peter Tamm: „Mich kann man auch nachts anrufen - das ist mir lieber, als etwas zu verpassen“

Hanseatische Höflichkeit trifft unbändigen Unternehmergeist: Peter Tamm ist auf dem maritimen Sektor eine der vielseitigsten Hamburger Persönlichkeiten. Mit dem Internationalen Maritimen Museum führt er das Vermächtnis seines berühmten Vaters Peter Tamm senior fort.

Samstag, 28.01.2023, 12:00 Uhr
Peter Tamm junior hat sich schon immer für Schifffahrt begeistert. Foto: Annette Falck

Peter Tamm junior hat sich schon immer für Schifffahrt begeistert. Foto: Annette Falck

Dass der 55-Jährige dessen Mut zu klarer Kante geerbt hat, wird im Interview mit TAGEBLATT-Mitarbeiter Guido Behsen schnell deutlich.

TAGEBLATT: Herr Tamm, wobei habe ich Sie unterbrochen, als ich eben unten geklingelt habe?

Peter Tamm: Gerade habe ich einen Vertrag gelesen.

Ging es dabei um Ihr Kerngeschäft, die Schiffs-Charter, Ihren Verlag oder das Maritime Museum?

Die Schifffahrt. Was die angeht, stelle ich mich auf ein herausforderndes, unruhiges Jahr ein.

Woran machen Sie das fest?

Die Fracht- und Boxraten sind zuletzt deutlich gefallen. Gleichzeitig ist die Schifffahrt aufgrund von Auflagen, vor allem beim Umweltschutz, teurer geworden. Hinzu kommt die sogenannte Überbauung. Man spricht von 30 Prozent des jetzigen Transportvolumens, das sich im Neubau befindet und ab diesem Sommer ausgeliefert wird.

Wenn die Frachter nicht so voll sind, kommen sie wenigstens die Elbe hoch...

Die Elbvertiefung, wie sie jetzt passiert ist, war für Schiffe gedacht, die 2008, 2009 gebaut wurden. Die sind bis 14.000 Container stark. Heute sind es 24.000. Wir hängen hinterher, mit den bekannten Folgen. Warum geht denn Hapag-Lloyd nach Wilhelmshaven?

Ja, warum?

Zum Hamburger Hafen und wieder zurück sind es jeweils etwa sechs Stunden die Elbe hoch und runter. Wenn Sie die Tide verpassen, müssen Sie das Schiff auf eine Warteposition legen. So geht mindestens ein Tag verloren. Das Schlick-Problem und die Köhlbrandbrücke als Höhenbegrenzung kommen noch on top.

Und was lässt sich da tun?

Hamburg muss sich attraktiver machen.

Womit kann der Hamburger Hafen denn punkten?

Zum Beispiel mit der guten Hinterlandanbindung. Aber vor allem brauchen wir mehr Flexibilität und Tempo. Wir drehen uns zu lange um unsere lokalen Angelegenheiten und verlieren darüber aus dem Blick, dass die Schifffahrt ein dynamischer internationaler Markt ist. Warum nicht endlich einen Tunnel unter den Köhlbrand bauen? Wenn wir das Schiffsgeschäft behalten wollen, müssen wir uns endlich positionieren.

Zuletzt haben sich der CDU-Politiker Norbert Röttgen und Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher über das Engagement der chinesischen Reederei Cosco im Hafen eine hitzige Debatte geliefert. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Ehrlich gesagt, ich verstehe die Schärfe der Diskussion nicht so ganz. Ich habe mich eher über das chinesische Interesse gewundert. Ich halte den Bereich des Hafens, um den es geht, für weniger attraktiv als andere Teile. Für Hamburg war es dagegen eine Gelegenheit, Cosco im Hafen zu halten.

Sie betrachten das sehr geschäftsmäßig.

Man muss im Dialog bleiben, und über so ein Terminal hat man den Dialog. Würde er abreißen, wäre das sehr gefährlich. Hamburg hat traditionell enge Verbindungen zu China. Auch wir haben Schiffe auf Charter für China laufen, das wird gut gemanagt.

Apropos managen: Sie stehen in dem Ruf, immer unter Dampf zu stehen...

Geht nicht, gibt es für mich tatsächlich nicht. Mich reizt es, immer diesen Meter mehr zu machen und ins Risiko zu gehen. Vor dem Wind segeln können die meisten...

...aber Sie stört Wind von vorn nicht?

Nein. Ich lege die Latte gern hoch an, das hält mich fit. Ich habe jetzt seit anderthalb Jahren keinen richtigen Urlaub mehr gemacht und das gar nicht gemerkt. Ich kann auch nicht lange schlafen. Spätestens um 6 Uhr stehe ich auf. Mich kann man auch nachts anrufen. Das ist mir lieber, als etwas zu verpassen.

Und wenn Sie sich doch mal eine Auszeit gönnen?

Ich spiele gerne Golf und gehe segeln. Ich mag es auch zu verreisen, aber möglichst nicht so weit weg (lacht).

Und Sie genießen die Zeit mit Ihrem Sohn.

Absolut. Wir haben ein super Verhältnis. Er ist mittlerweile 18 Jahre alt und mein ganz großes Glück.

Machen Sie sich angesichts der globalen Krisen auch Sorgen um ihn und die nachfolgende Generation?

Ja, schon. Was soll man den Kindern denn raten, später zu werden? Schifffahrtskaufmann, so wie ich? Oder übernimmt das die Künstliche Intelligenz? Das finde ich besorgniserregend. Es wird alles so flach.

Das Handwerk hat goldenen Boden, aber keinen Nachwuchs.

Handwerk ist etwas Wunderbares. Ich denke, ich würde im nächsten Leben Tischler werden. Oder noch besser: Architekt. Es ist ein toller Gedanke, etwas erst im Geist und dann in der Realität entstehen zu lassen. Aber erst, wenn der Bau dann auch Bestand hat, gibt es der Sache einen Sinn.

Das Wort von der Sinnhaftigkeit hat in Krisenzeiten wieder Konjunktur...

...dabei ist es im Grunde genommen immer schon entscheidend. Man sollte sich täglich die Frage stellen, was Sinn macht und das dann auch tun. Alles andere ist Firlefanz. Es ist geradezu schizophren, dass die Leute erst durch eine Krise wieder zu dieser Erkenntnis kommen. Das sollte eigentlich in den Schulen gelehrt werden.

Wird es das Ihrer Meinung nach nicht?

Ganz ehrlich: Ich finde die Bildung in den Schulen zu schwach. Und nach der Schulzeit geht es weiter. Ich habe auf einem Schnellboot bei der Bundeswehr gedient, das hat mir sicher nicht geschadet und viel Spaß gemacht. Grenzen ausloten, sich auf andere Leute einlassen, auch mal etwas zurückgeben - das ist wichtig. Ich befürworte daher ein verpflichtendes soziales Jahr, unabhängig vom Geschlecht. Da könnte man vieles aufholen, was brachliegt.

Woran mangelt es besonders?

Es fehlt an Orientierung, sozialer Kompetenz und einer gewissen Taktung. Es müsste viel mehr darauf geachtet werden, was die Neigung eines Kindes ist. Jemand, der als Student mit ziemlicher Sicherheit scheitern wird, kann als Maurer sein großes Glück finden. Wichtig ist nur, dass der Beruf auch eine Berufung ist. Dann ist man auch gut darin.

Wann wussten Sie, was Sie machen wollen?

Ich habe mich schon immer für Schifffahrt begeistert. Über meinem Bett hing ein Bild von einem Schiff der Hamburg-Süd, das nach Südamerika fuhr. Das roch für mich regelrecht nach Kaffee, Handel und Rhythmus. Das hat mich gereizt.

Nach Südamerika haben Sie es tatsächlich geschafft.

Für Hamburg-Süd war ich anderthalb Jahre in Rio, da habe ich viel gelernt und Freunde fürs Leben gefunden.

Rio ist auf den ersten Blick das genaue Gegenteil von Hamburg und der hanseatischen Art. Wie passt das in Ihrem Fall zusammen?

Vielleicht liegt es daran, dass ich gebürtiger Berliner bin (lacht). Aber ich tue Dinge nicht wegen des Klischees. Ich trage gern dunkelblaue Anzüge, Manschettenknöpfe und gestreifte Krawatten, deswegen kann man trotzdem offen sein.

Ihre Begeisterung für die „Peking“ und das Hafenmuseum hält sich allerdings in Grenzen. Vor einem „maritimen Overkill“ haben Sie einmal gewarnt.

Und dazu stehe ich nach wie vor. Mein Vater hat das Maritime Museum mit privaten Mitteln aufgebaut. Wir haben es zu einem Aushängeschild gemacht, und davon profitiert die Stadt. Es kann doch nicht sein, dass ein Projekt wie das Hafenmuseum jetzt auf dem Rücken privater Initiativen, die nur mit unglaublich viel Einsatz durch die letzten zwei Jahre gekommen sind, ohne Rücksprache und mit Steuergeld durchgedrückt wird. Das habe ich thematisiert und das muss erlaubt sein.

Hat sich daraus etwas ergeben?

Konkret leider nicht. Stattdessen wurden Fakten geschaffen. Die „Peking“ ist toll, doch sie steht ganz klar zu uns, aber auch zur Rickmer Rickmers, der Cap San Diego und dem Museumshafen in Konkurrenz. Das gab es ja alles schon vorher, und mehr braucht es meiner Meinung nach nicht. Hamburg ist nicht Schanghai oder New York, die Zahl der Menschen, die die Attraktionen besuchen können, ist überschaubar. Und in Anbetracht der aktuellen Krisen frage ich mich schon, ob wir 182 Millionen Euro für so ein Museum ausgeben müssen.

Um beim Internationalen Maritimen Museum zu bleiben: Was steht in diesem Jahr an?

Wir haben gerade eine Ausstellung über den dänischen Maler Viktor Qvistorff eröffnet. Und am 15. Juni startet die Schau zu 175 Jahren Marine. Dazu machen wir auch wieder ein Buch.

Bitte ergänzen Sie...

Mein Lieblingsplatz in Hamburg ist... natürlich das Maritime Museum.

Am Golfen gefällt mir besonders, dass... man für seine Fehler selbst verantwortlich ist.

Mein Vater Peter Tamm senior ist für mich... Vorbild und bester Freund.

Wenn ich die Wahl zwischen Fischbrötchen und Currywurst habe, dann... entscheide ich mich für die Currywurst aus meiner Geburtsstadt Berlin.

Mein Tipp für alle Besucher des Maritimen Museums ist... Nehmen Sie sich Zeit.

Zur Person

Peter Tamm juniorwurde 1967 in Berlin geboren. Als er fünf Jahre alt war, zog die Familie zurück nach Hamburg. Er lernte Schifffahrtskaufmann und gründete 1999 als Makler für Containerschiffe die Firma Continental Chartering. Zu seiner Verlagsgruppe Tamm Media gehören mehrere Buch- und Zeitschriftenverlage. Zugleich führt Peter Tamm das Erbe seines Vaters fort. Peter Tamm senior (1928-2016), langjähriger Vorstandsvorsitzender des Axel-Springer-Verlags, hatte 2008 das Internationale Maritime Museum in der Hafencity gegründet, das unter anderem die größte private Schiffsmodellsammlung der Welt aus seinem Nachlass beherbergt.

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