Nach Regen kommt Dauerfrost – Was das für die Hochwasser-Lage im Kreis Stade bedeutet

Einsatzkräfte der Feuerwehr Oldendorf auf der überschwemmten Zufahrt zu den Sunder Gutshäusern. Foto: Feuerwehren Samtgemeinde Oldendorf-Himmelpforten
Der Regen in Niedersachsen soll am Donnerstag und in den kommenden Tagen nachlassen - das könnte die angespannte Hochwasserlage in Niedersachsen entschärfen. Der aktuelle Stand.
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Landkreis. „Es ist ruhiger geworden“, beurteilte Feuerwehrsprecher Stefan Braun den Hochwasser-Zustand im Bereich Stade am Donnerstagmittag. Ähnlich sieht es nach Angaben von Feuerwehrsprecher Timm Gerken auch in Buxtehude aus. Am Dienstagabend war in Buxtehude-Hedendorf noch das Wasser aus der Feldmark auf Grundstücke gelaufen. Einsatzkräfte und Helfer verbauten Sandsäcke. Auch in Mulsum habe sich die Lage entspannt meldet Feuerwehrsprecher Lukas Klempahn nach Rücksprache mit dem Ortsbrandmeister. Hier musste am Mittwoch der Bagger anrückten und den Flusslauf des Kühlhornsbaches freiräumen. Straßen waren überschwemmt, Keller vollgelaufen. Seit Jahren klagen Anwohner über die schlechte Entwässerung in ihrem Ort.
Diese Aussagen decken sich mit den Erkenntnissen des Deutschen Wetterdienstes. Endlich könne von Entspannung gesprochen werden, teilte ein Sprecher mit.
Zwar werde am Freitag noch einmal Regen erwartet, aber wenig im Vergleich zu den letzten Tagen. Insgesamt werde es trockener und wesentlich kälter.
Ab dem Wochenende sei ein Wintereinbruch zu erwarten mit Schneeschauern, Dauerfrost und Glätte bei Temperaturen bis zu minus sieben Grad.
Hochwasserlage in vielen Regionen Niedersachens am Donnerstag noch angespannt
Die Hochwasserlage in einigen Regionen Niedersachsens bleibt auch nach mehr als einer Woche angespannt. Zahlreiche Pegelstände mehrerer Flüsse liegen nach wie vor über der höchsten Meldestufe und tausende Kräfte sind im Dauereinsatz. Vereinzelt können Menschen noch nicht in ihre Wohnungen zurück. Für zusätzlichen Schutz soll unter anderem ein mobiler Deich aus dem Ausland sorgen.
Behörde rechnet mit steigenden Pegelständen an Unterläufen
Der Dauerregen der vergangenen Tage sorgt insbesondere in den Einzugsgebieten der Hunte bei Bremen und Hase im Emsland für einen Wiederanstieg der Wasserstände. Daher sei mit steigenden Pegelständen an den Unterläufen zu rechnen, heißt es in einem Hochwasser-Lagebericht des Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten und Naturschutz (NLWKN) von Donnerstagmittag.
Die Hase ist ein Nebenfluss der Ems und durchfließt mehrere Landkreise - etwa Osnabrück und Emsland. Die Hunte ist ein Nebenfluss der Weser.
Es gibt weiterhin zahlreiche Pegelstände über der höchsten Meldestufe - neben Hase und Hunte auch der Aller, Leine und Weser, hieß es. Wenn die dritte Meldestufe erreicht wird, drohen laut NLWKN Überschwemmungen größerer Flächen sowie einzelner Grundstücke, Straßen und Keller.
Diese Kommunen stehen im Hochwasser-Fokus
In mehreren Regionen ist weiterhin ein sogenanntes außergewöhnliches Ereignis festgestellt. Dadurch können Landkreise oder Städte beispielsweise einfacher auf Hilfskräfte zugreifen.
Betroffen davon sind wie seit mehreren Tagen sechs Landkreise sowie die Stadt Oldenburg, wie ein Sprecher des Innenministeriums in Hannover am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur sagte. Die betroffenen Landkreise sind Celle, Oldenburg, Emsland, Osterholz, der Heidekreis sowie Verden. Die Stadt Oldenburg verlängerte das Betretungsverbot für Deiche erneut.
Deichsystem aus Frankreich in Winsen eingetroffen
Niedersachsen kann auch auf Hilfen aus dem Ausland bauen. Französische Hilfskräfte haben zum Hochwasserschutz einen mobilen Deich in der Gemeinde Winsen an der Aller aufgebaut. Frankreich hatte Niedersachsen das Team mit 39 Fachleuten und 16 Fahrzeugen laut Innenministerium über das EU-Katastrophenschutzverfahren angeboten.
Mit dem Einsatz im Landkreis Celle, wo zunächst 600 Meter des insgesamt 1,2 Kilometer langen Deichsystems verbaut werden sollen, nimmt Niedersachsen demnach erstmals Hilfe aus dem EU-Verfahren in Anspruch. „Das ist ein tolles Zeichen der großen internationalen Solidarität, zumal auch Frankreich zurzeit mit Überschwemmungen zu tun hat“, sagte Innenministerin Daniela Behrens (SPD).
Neben Frankreich hätten unter anderem Dänemark, Niederlande, Österreich, Schweden, die Slowakei und Ungarn bei weiterem Bedarf Unterstützung angeboten.
Seit Beginn des Hochwassers kamen bereits mehrere mobile Deiche in Niedersachsen zum Einsatz. Diese bestehen in der Regel aus mehreren Teilen, die verbunden werden. Manche dieser mobilen Deiche sehen aus wie große Wasserschläuche.
Weiter Evakuierungen in der Nähe von Bremen
Mancherorts können Anwohner weiterhin nicht in ihre Häuser. Etwa in der Gemeinde Lilienthal bei Bremen sind dutzende Häuser und Wohnungen evakuiert. Rund 100 Menschen seien davon betroffen, teilte die 20-000-Einwohner-Gemeinde am Donnerstag mit. In den vergangenen Tagen konnten aber einige Betroffene bereits wieder in ihre Wohnungen zurückkehren. Spätestens am kommenden Sonntag solle die Lage neu bewertet und über eine Freigabe des Bereichs entschieden werden, kündigte die Gemeinde an.
Auch für Urlauber gibt es Einschränkungen: Ferienhäuser in Ostfriesland am See Großes Meer sind wegen des Hochwassers vorsorglich evakuiert worden. Betroffen davon waren am späten Mittwochabend nach bisherigen Erkenntnissen rund ein Dutzend Menschen, wie die Südbrookmerland Touristik GmbH am Donnerstag mitteilte. Die Evakuierten wurden in umliegende Unterkünfte gebracht.
Schwimmer im Hochwassergebiet löst Großeinsatz aus
Ein Schwimmer im Hochwassergebiet von Hannover hat einen unnötigen Großeinsatz ausgelöst. „Wir sind fassungslos“, sagte Feuerwehrsprecher Kristof Schwake am Donnerstag. Ihm zufolge war ein Großaufgebot mit bis zu 100 Kräften, Booten, Tauchern, Drohnen und einem Hubschrauber völlig umsonst im Stadtgebiet im Einsatz.
Am Vormittag hatte zunächst eine Frau gemeldet, dass eine Person im Hochwasser von der Strömung abgetrieben worden sein könnte, sagte Schwake. Die Einsatzkräfte seien weiträumig verteilt im Stadtgebiet ausgerückt, weil es im Hochwassergebiet teils eine hohe Strömungsgeschwindigkeit gebe, die unterschätzt werde - und entsprechend eine Person auch weit abgetrieben sein könnte.
Während der Suche meldeten sich weitere Zeugen bei der Feuerwehr, die einen Schwimmer in Neoprenanzug und Badekappe gesehen hatten. Dieser sei aus dem Wasser gestiegen und mit seinem Fahrrad davongefahren.
Warum regnet es derzeit so viel?
Verkürzt gesagt liegt das an Tiefdruckgebieten, die vom Nordostatlantik gen Osten ziehen und über dem Meer Feuchtigkeit aufgenommen haben, wie eine Meteorologin des Deutschen Wetterdienstes (DWD) auf Anfrage erläutert. „Dadurch, dass es recht milde Luftmassen sind, können diese mehr Feuchtigkeit aufnehmen und daher führt es zu größeren Niederschlagsmengen.“ In der kommenden Woche werde es in Norddeutschland kühler und die Niederschläge fielen geringer aus.
Klimaforscher warnen schon lange davor, dass wegen des Klimawandels die Gefahr von Extremwetterereignissen steigt. Durch die Erderwärmung nähmen Extremniederschläge weltweit und auch bei uns zu, schrieb der Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf kürzlich auf X, vormals Twitter. Anfang Januar erläuterte er dort, dass Extremniederschläge häufiger würden, weil wärmere Luft mehr Wasserdampf aufnehmen und daher auch abregnen könne. Laut einer Studie im Fachjournal „Climate and Atmospheric Science“ ist die Zahl der Niederschlagsrekorde stark gestiegen. Im Durchschnitt kann demnach einer von vier rekordhohen Tagesniederschlägen auf den Klimawandel zurückgeführt werden.
Hochwasser-Einsätze am Mittwoch
Passieren solche Hochwasser in Zukunft öfter?
Als Konsequenz aus dem Hochwasser fordern Experten, beim Schutz vor Überschwemmungen umzudenken. „Im Zuge des Klimawandels, wo sich die Hochwasser-Prozesse ändern werden, werden wir sicher andere Arten von Hochwassern in Zukunft sehen“, sagte Ralf Merz, Hydrologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle (Saale), kürzlich im Deutschlandfunk. „Solche langen Hochwasser-Ereignisse wird es auch in Zukunft sicher öfter geben.“
Wann hört es auf zu regnen?
Der Dauerregen in Teilen Deutschlands soll noch bis Sonnabend andauern. Ursprünglich hatte der Deutsche Wetterdienst seine Warnungen bis Donnerstagnacht herausgegeben - doch am Mittwoch wurden sie verlängert. Die Lage in den Hochwassergebieten dürfte sich dadurch noch einmal zuspitzen.
Wovon hängt es ab, ob die Deiche halten?
„Bislang haben wir keine Deichbrüche gesehen, da der technische Hochwasserschutz gut funktioniert“, sagt der Leiter des Ludwig-Franzius-Instituts für Wasserbau, Ästuar- und Küsteningenieurwesen an der Leibniz-Universität Hannover, Torsten Schlurmann. „Die Deiche schützen vor Hochwasser hinreichend gut, solange sich Wasser nicht über längere Zeit an ihnen staut.“ Die Standfähigkeit eines Deiches hänge dann etwa davon ab, aus welchem Material der Deich gebaut sei und auf welchem Untergrund er stehe. Es sei daher wichtig, dass die Einsatzkräfte die Deiche stetig beobachteten, zum Beispiel mit Deichläufern am Boden oder mit Drohnen aus der Luft.
Im besonders stark vom Hochwasser betroffenen niedersächsischen Lilienthal gelten Betretungsverbote. In der Allgemeinverfügung heißt es: „Die Deichanlagen, die deichnahen Bereiche und deren Zuwegungen sind aufgrund der starken Niederschlagsmengen und der anhaltend hohen Wasserstände aufgeweicht.“ Bei Betreten bestehe die Gefahr, dass die Deiche brächen, das Wasser sich unkontrolliert ausbreite und gefährdete Gebiete überschwemmt würden, insbesondere Wohnbebauung.
Wie betroffen ist die Landwirtschaft?
Fast jeder Landwirt in Niedersachsen ist dem dortigen Bauernverband zufolge derzeit von Überflutungen seiner Felder beziehungsweise von Nässeschäden betroffen. Hintergrund seien die großen Niederschlagsmengen der vergangenen Wochen, teilte das Landvolk Niedersachsen der Deutschen Presse-Agentur mit. „Es sind mehrere Hunderttausend Hektar Acker und Grünland überschwemmt“, sagte Landvolk-Präsident Holger Hennies. Auch Hunderte Hofstellen seien von Überschwemmungen betroffen, „glücklicherweise aber nur sehr wenige Betriebe so stark, dass auch Ställe betroffen sind und Vieh evakuiert werden musste“. (fe/mit dpa)