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Interview

Sopranistin und Autorin Julia Wachsmann: „Weinen kann ich nur in der Kirche“

Sopranistin und Autorin Julia Wachsmann. Foto: Behsen

Sopranistin und Autorin Julia Wachsmann. Foto: Behsen

Auf die Bühne zog es sie schon als Kind, aktuell arbeitet sie eher dahinter. Die Sopranistin und promovierte Literaturwissenschaftlerin Julia Kretschmer-Wachsmann inszeniert bereits ihre dritte Sternen-Show für Kinder im Hamburger Planetarium.

Samstag, 08.07.2023, 14:00 Uhr

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Grimms Märchen „Sterntaler“ als Kinder-Show im Planetarium - was macht die Besonderheit aus?

Die Kernbotschaft unserer Sterntalerfassung besingt der Song von Stefanie Heinzmann „Wir sind Sternenstaub“, den sie bei der Premiere live singen und der in der Show in der Kuppel des Planetariums zu sehen und zu hören sein wird. Tetje Mierendorf moderiert die Premiere und übernimmt in der Show die Rolle des Erzählers. Auch der Sänger und Songwriter Pohlmann leiht einem Charakter seine Stimme.

Es wird also nicht einfach nur vorgelesen.

Nein, wir haben Sterntaler adaptiert. Die Originalgeschichte, wie sie in den Grimm’schen Märchen erschienen ist, ist geblieben, aber wir haben einen Prolog und einen Epilog und verfrachten die ganze Geschichte auch ein wenig in den Weltraum. In all meinen Kinderproduktionen für Planetarien geht es darum, Kindern neben Sprache, Musik und Poesie auch die ersten astronomischen Grundlagen näherzubringen. Wie ist der Verlauf der Sterne? Wie entsteht ein Regenbogen? Um solche Fragen geht es.

Ein durchaus anspruchsvoller Ansatz.

Ich sehe da tatsächlich einen Bildungsauftrag und mich selbst als eine Art Dienstleisterin für die Kinder, gerade in Zeiten, in denen in Familien weniger vorgelesen und gemeinsam musiziert und gesungen wird.

Sie sind ausgebildete Sopranistin. Welchen Stellenwert hat Musik für Sie?

Musik hat mich mein ganzes Leben lang begleitet und auch immer wieder in Krisensituationen getröstet. Es ist erwiesen, dass Singen hilft, wenn man Angst hat. Und bei Menschen, die an Alzheimer oder Demenz leiden, bleibt das Zentrum im Gehirn, das für Musik zuständig ist, am längsten aktiv.

Ihr anderer Schwerpunkt ist die Sprache, Sie sind promovierte Literaturwissenschaftlerin. Mögen Ihre Kinder Bücher?

Ich habe vier Kinder, die Kleinste wird demnächst vier, der Größte ist elf Jahre alt und liest am liebsten Comics. Japanische Mangas, aber auch ganz klassisch Micky Maus. Ich lege ihm aber auch schon hin und wieder sogenannte Graphic Novels auf den Tisch. Auf diese Weise hat er sich sogar schon mit Anne Frank auseinandergesetzt.

Wo bleibt bei vier ja doch noch kleinen Kindern die Zeit für künstlerische Kreativität?

Da ist schon Disziplin gefragt. Ich gehe in meiner Mutterrolle auf und hole mir keine Hilfe von außen, das übernehmen bei Bedarf mein Mann oder meine Mutter. Einmal die Woche ist Omatag. Mein Tag beginnt um 6 Uhr morgens und endet abends um elf. Im Normalfall habe ich fünf Stunden am Vormittag, in denen ich arbeiten kann und auch arbeite. Im Moment muss ich besonders diszipliniert sein - wir sind vor drei Wochen nach Volksdorf umgezogen und leben aus Kartons.

Das ist ja sozusagen im Grünen. Wo trifft man Sie in der City?

Auf jeden Fall immer wieder an der Elbe. Außerdem schlägt mein Herz für die Altstadt und besonders für das Katharinenviertel. Ich liebe Orte mit Geschichte, Erinnerungsorte. Das sind zum Beispiel Kirchen. Sie atmen die Geschichten von Menschen.

Vor „Sterntaler“ haben Sie im Planetarium „Der kleine Häwelmann“ produziert - mitten in der Corona-Krise...

Wir waren selbst erstaunt, wie gut die Show angenommen wurde. Es war ein Experiment, das dank des tollen Planetarium-Teams und meines Kreativ-Direktors Jan Siggel gelungen ist. Annett Louisan hat im Häwelmann, der auch als Hörspiel erschienen ist, einer Figur ihre Stimme geliehen. Sicher lag der Erfolg aber auch an der Botschaft der Geschichte: Es geht nicht immer nur höher, schneller, weiter. Wir sollten alle mal wieder etwas herunterkommen. Das ist etwas, das auch Covid uns gelehrt hat: Mal auf die Bremse zu treten, zu uns zu finden und die Verhältnismäßigkeiten neu auszuloten.

Das ist der erwachsene Blick. Und wie reagieren nun die Kinder im sogenannten Elementaralter auf die Sternen-Stücke?

Ganz, ganz toll. Ich hatte mir anfangs etwas Sorgen gemacht. Es ist ja auch dunkel. Würden die Kleinen vielleicht anfangen zu weinen? Hin und wieder weint tatsächlich das eine oder andere Kind ein wenig, etwa, wenn wir „Der Mond ist aufgegangen“ singen. Das rührt mich immer sehr an, weil ich mich dann selbst sehe und verstehe, wie das Lied das Kind berührt. Ich habe als kleines Mädchen immer geweint, wenn meine Mutter mir „Weißt du wie viel Sternlein stehen“ vorgesungen hat.

Kinder lassen ihren Gefühlen eben freien Lauf ...

Und das ist etwas, das wir ein wenig verlernt haben und das wir wieder mehr zulassen sollten. Ich bin ein gläubiger Mensch und in Kirchen kann ich weinen. Ich weine sonst nicht, aber in der Kirche, bei bestimmten Liedern und bei manchem Orgelspiel, laufen die Tränen. Musik bricht den Bann und hilft dabei, Gefühle zu sortieren.

Wurde Ihnen die Musik von ihren Eltern quasi in die Wiege gelegt?

Nein, gewissermaßen bin ich sogar etwas aus der Art geschlagen. Ich war Solistin bei den Alsterspatzen, also im Kinderchor der Hamburgischen Staatsoper. Meine Grundschullehrerin hatte erkannt, dass ich auf die Bühne gehöre. Ich bin zwar quasi singend auf die Welt gekommen, aber meine Eltern sind beide Juristen, sehr pragmatisch. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, denn sie haben mich in anderen Bereichen unterstützt. Dennoch war ich immer diejenige, wo die Eltern nicht im Publikum saßen - obwohl ich die Soli gesungen habe.

Sie haben sich aber nicht beirren lassen, oder?

Ich habe an der Musical Stage School eine Ausbildung gemacht. Aber da habe ich schnell gemerkt, dass es mit Musicals nichts wird, weil ich ganz schlecht tanzen kann. Also habe ich Literaturwissenschaft studiert, aber weiter Gesangsunterricht genommen und bin auch weiter aufgetreten. Heute gefalle ich mir ganz gut in der Rolle derjenigen, die im Hintergrund kreativ ist. Und außerdem kann ich als Mutter von vier Kindern auch nicht ständig abends auf der Bühne stehen...

...oder durch die Lande touren.

Ich bin auch gar keine große Kosmopolitin. Das Reisen kann ich nachholen, wenn die Kinder irgendwann groß sind und ich hoffentlich noch fit genug dafür bin. Mit Sterntaler werden wir allerdings auch auf Tour gehen und andere Planetarien bespielen, da kann ich die Kinder aber zumindest manchmal mitnehmen.

Und Ihren Mann Klausmartin Kretschmer nehmen Sie auch mit?

Natürlich! (Lacht) Allerdings reist er nicht sehr gern, und schon gar nicht mit dem Flugzeug.

Er ist ein ganzes Stück älter als Sie und stand in Hamburg eine Zeit lang in den Schlagzeilen...

21 Jahre beträgt der Altersunterschied. Und als er vor elf Jahren als der gierige Investor hingestellt wurde, der die Rote Flora gekauft hat, wurde hinter vorgehaltener Hand über uns geredet. Da hieß es, ich würde nach dem geschäftlichen Scheitern sowieso nicht lange bei ihm bleiben. Aber uns verbindet so viel, für mich war klar: Jetzt erst recht.

Auch wenn Sie damals in Hamburg einen schweren Stand hatten.

Es ist schon erstaunlich, wie schnell man in dieser Stadt plötzlich von Gästelisten gestrichen wird. Und jetzt, wo ich mit meinen Projekten erfolgreich bin, klopfen viele wieder an. Aber ich habe mir genau gemerkt, wer damals zu uns gehalten hat. Und auch das gehört zur Wahrheit: Das waren zum Glück einige.

So viel zur Vergangenheit. Mit welchen Gedanken und Gefühlen blicken Sie in die Zukunft?

Ich finde, wir können alle dankbar und glücklich darüber sein, dass wir hier in Europa geboren sind. Darum fasst es mich auch sehr an, dass wir jetzt Krieg haben. Die Welt ist unübersichtlich geworden und die Gesellschaft ist gespalten. Das bereitet mir im Hinblick auf die Zukunft meiner Kinder schon auch Sorgen. Da kann man nur versuchen, Schutzräume zu bieten und empathisch zu sein.

In Anbetracht des Krieges in der Ukraine gerät die Zerstörung der natürlichen Ressourcen fast etwas aus dem Fokus.

Die junge Generation muss ausbaden, was unsere Generation und die unserer Eltern verbockt hat. Wir wollten alles haben, wollten an schöne Orte reisen, ein großes Haus, ein dickes Auto. Wir waren nicht bereit, auch einmal auf irgendetwas zu verzichten. Aber man kann nicht alles haben. Auch Elternsein bedeutet, ein paar Jahre auf einiges zu verzichten, das müssen wir wieder lernen. Diese dauernde Selbstoptimierung hat uns ein Stück weit die Demut und die Ehrfurcht vor der Schöpfung verlieren lassen.

Womit wir wieder bei der Botschaft vieler Märchen wären...

Es ist faszinierend, wie sehr Märchen, die 200 Jahre alt und älter sind, uns heute noch Orientierung geben können und wie viel Wahrheit in ihnen steckt. Darum verlagere ich zwar den Rahmen der Geschichten ins Hier und Jetzt, und die Musik ist modern und poppig, aber die Sprache behalte ich bei. Und die Kinder verstehen, was mit „Dreikäsehoch“ oder „Augenstern“ gemeint ist.

Haben Sie ein Lieblingsmärchen?

Schneewittchen. Weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz - diese Bildsprache fand und finde ich einfach toll. Sie lässt mich und auch die Kinder heute noch staunen.

Bitte ergänzen Sie...

Mein Lieblingsort in Hamburg ist... die Oberhafenkantine, der schrägste Ort Hamburgs.

Wenn ich nicht in Hamburg bin, zieht es mich nach... Berlin, zum hölzernen Zwilling der Oberhafenkantine, seiner 1:1-Kopie.

Meine vier Kinder sind für mich... Inspiration, Freude, Fülle.

Zwischen Fisch- und Franzbrötchen entscheide ich mich für... Fischbrötchen an der Elbe (Matjes!).

Wütend machen mich... phlegmatische Verhinderer. In meinen Augen ist erst einmal alles möglich.

Nicht verzichten kann ich auf… mein Vertrauen an das grundsätzlich Gute im Menschen.

Zur Person

Julia Kretschmer-Wachsmann wurde in Hamburg geboren und wuchs in Fuhlsbüttel auf. Ihr Gesangstalent wurde schon früh bei den Alsterspatzen, dem Kinderchor der Hamburgischen Staatsoper, gefördert. Mit dem Hamburger Unternehmer Klausmartin Kretschmer hat die 44-Jährige vier Kinder im Alter von drei, sieben und elf Jahren, darunter ein Zwillingspaar. Seit ihrer Mitarbeit am Drehbuch zum Film „Soul Kitchen“ ist die Sopranistin und promovierte Geisteswissenschaftlerin auch als Autorin tätig. Ihre erste Inszenierung für Kinder im Elementaralter im Hamburger Planetarium war 2018 „Die Sternenfee und der Mondritter“. Mit „Sterntaler - vom Universum belohnt“ wird sie auch andere Planetarien bespielen.

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