Spritpreise bremsen Autofahrer nicht – Debatte um Mobilitätsgeld

Kommt ein Tankrabatt oder doch ein anderes Werkzeug, um die Bundesbürger an der Zapfsäule zu entlasten? Die Politik ringt um einen gangbaren Weg.
Wer langsamer fährt, kann gerade auf der Autobahn viel Sprit sparen. Dieses einfache Mittel aber wird hierzulande bisher wohl kaum genutzt, wie eine Auswertung zeigt. Kommt zur Entlastung das Mobilitätsgeld statt des Tankrabatts?
Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!
Trotz des enormen Preissprungs bei den Spritkosten drosseln Autofahrer in Deutschland nach Erhebungen von Verkehrsdatenanbietern bisher nicht das Tempo. Auf Autobahnen ist bisher kein Rückgang der Geschwindigkeiten festzustellen, wie Auswertungen der Datenanbieter Inrix und TomTom übereinstimmend ergaben.
Insbesondere auf der Autobahn aber ist der Verbrauch pro Kilometer stark von der gefahrenen Geschwindigkeit abhängig. Laut Umweltbundesamt verbraucht beispielsweise ein typisches Fahrzeug mit 90 Stundenkilometern auf der gleichen Strecke 23 Prozent weniger Sprit als mit einer Geschwindigkeit von 110 Kilometer pro Stunde.
Verkehrsdaten: Autofahrer auf Autobahnen weiter schnell unterwegs
„Unsere Geschwindigkeitsanalyse mehrerer Autobahnabschnitte in Deutschland lässt derzeit keine Veränderung der Fahrgewohnheiten aufgrund des Kraftstoffpreises erkennen“, sagt Bob Pishue von Inrix. Allerdings habe man auf einzelnen Strecken einen Anstieg des Verkehrsaufkommens in den Stoßzeiten und in Folge dessen etwas niedrigere Geschwindigkeiten als im historischen Vergleich gesehen.
Bei TomTom sieht man unterschiedliche Entwicklungen zwischen Werktagen und Wochenenden. In der Woche sieht man dort „keine Anpassung im Fahrverhalten bezüglich der Durchschnittsgeschwindigkeit auf den betrachteten Autobahnen seit den Spritpreissteigerungen“. Tendenziell sei der Verkehr zuletzt sogar schneller als Mitte Februar. Allerdings gebe es Anzeichen, dass weniger Autos unterwegs seien, was den Verkehrsfluss verbessere.
An Wochenenden ergibt sich bei TomTom dagegen kein einheitliches Bild. Die Tendenz gehe hier zwar in Richtung einer etwas langsameren Durchschnittsgeschwindigkeit. Allerdings gebe es Anzeichen für mehr Verkehr, was dies erklären könnte.
Spritpreis-Entlastung: Mobilitätsgeld statt Tankrabatt?
Im Ringen um zusätzliche Entlastungen für Millionen Bürger wegen drastisch gestiegener Sprit- und Energiepreise kommen dagegen weitere Vorschläge auf den Tisch. In der Ampel-Koalition geht es dabei auch um gezieltere Instrumente als einen von Finanzminister Christian Lindner (FDP) angeregten pauschalen Tankrabatt. „Wichtig ist, dass wir das Geld nicht mit der Gießkanne ausschütten, sondern diejenigen mit kleinen und mittleren Einkommen gezielt entlasten, denn die sind jetzt am stärksten betroffen“, sagte SPD-Chef Lars Klingbeil.
Die Gewerkschaften dringen stattdessen auf ein „Mobilitätsgeld“ unabhängig vom Einkommen.
Auch Klingbeil machte deutlich, dass er keinen Anlass zur Unterstützung von Gutverdienern sieht: „Ein Politiker wie ich kann für 2,30 Euro tanken, dem muss der Staat nicht helfen. Aber meine Nachbarin, die als Pflegekraft nach Hamburg pendelt, braucht jetzt Unterstützung.“ Man müsse sozial gerecht und gezielt entlasten. „Und nicht nur bei den Spritpreisen, sondern auch bei Strom und Heizkosten.“
Lindner hatte vor einer Woche vorgeschlagen, alle Autofahrer direkt an der Tankstelle über einen staatlichen Zuschuss zu entlasten. Er will den Preis damit unter zwei Euro pro Liter Diesel oder Benzin drücken.
DGB-Chef bringt Tempo 100 auf Autobahnen ins Gespräch
Von den Koalitionspartnern SPD und Grüne kam schon Kritik an dem Vorstoß. Die Gewerkschaften legten nun kräftig nach. Ein Tankrabatt sei „wunderbar für die Mineralölwirtschaft und die SUV-Fahrer, die auch drei Euro für den Liter Sprit zahlen könnten“, sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Er hilft nur nicht denen, die mit dem Pkw täglich zur Arbeit fahren müssen.“ IG-Metall-Boss Jörg Hofmann hält die Idee weder für sozial gerecht noch für praktisch leicht umsetzbar, wie er dem „Handelsblatt“ sagte: „Wer zu Hause in der Garage einen Boliden mit 14 Litern Verbrauch hat, würde davon am meisten profitieren.“
Konkret macht sich der DGB für ein „Mobilitätsgeld“ stark, das die Pendlerpauschale ersetzen könnte. Die Pauschale habe den Nachteil, dass Beschäftigte mit kleinem Einkommen, die wenig Einkommenssteuern zahlen, trotz gleich langem Arbeitsweg weniger entlastet würden als Gutverdiener, heißt es in einem Positionspapier. „Deshalb braucht es ein Mobilitätsgeld, das unabhängig vom Einkommen und Verkehrsmittel gewährt wird.“ Ein Mobilitätsgeld fordern auch Verbraucherschützer schon seit längerem.
DGB-Chef Hoffmann brachte auch ein Tempolimit ins Gespräch. „Wir könnten zeitlich begrenzt ein Tempolimit von 100 auf Autobahnen und von 30 in den Städten einführen, um den Energieverbrauch zu drosseln“, sagte Hoffmann. „Es ist richtig, jeden Tropfen Benzin zu sparen, den wir sparen können.“ Das sei aber noch keine Antwort auf die strukturellen Probleme, fügte er hinzu.
Pläne: Mobilitätsgeld könnte mit dem Gehalt überwiesen werden
In der Regierungskoalition wird laut „Bild“ nach einem Vorstoß von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) über ein Mobilitätsgeld beraten. Im Gespräch sei ein nach Einkommen gestaffelter Zuschuss, der mit dem Monatsgehalt überwiesen werden könne, schrieb die Zeitung. Mögliches Modell: Bis 2000 Euro Einkommen könnte man 50 Euro bekommen, von 2001 bis 3000 Euro Gehalt 35 Euro, bei höherem Einkommen 20 Euro. Dies könnte den Staat eine Milliarde Euro je Monat kosten. Das Ministerium äußerte sich auf Anfrage nicht und verwies auf laufende Gespräche.
Die FDP schreibt den Vorschlag ihres Finanzministers indes nicht ab. Fraktionschef Christian Dürr sagte der „Bild“-Zeitung: „Der Tankrabatt ist keinesfalls vom Tisch.“ Bei den Beratungen seien „alle Modelle“ weiterhin im Spiel. Klingbeil stellte eine baldige Einigung der Koalition in Aussicht, nachdem ein erstes Entlastungspaket von 13 Milliarden Euro auf den Weg gebracht wurde.
Robert Habeck nennt mehr Energiesparen als Bedingung für Entlastungspaket
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) pochte dafür auch auf mehr Anstrengungen zum Energiesparen. Es sollte Bedingung sein, dass bei Preisentlastungen „nicht noch eine Einladung damit verbunden ist, noch mehr Energie zu verbrauchen“, sagte Habeck.
CDU-Chef Friedrich Merz forderte, statt eines Tankrabatts bei den Steuern anzusetzen. „Die Energiesteuer senken und die Umsatzsteuer auf Diesel und Benzin von 19 auf 7 Prozent. Das wäre eine unbürokratische, schnelle und gute Hilfe für alle“, sagte er dem „Tagesspiegel“. Merz warnte vor „Mitnahmeeffekten“ für die Ölkonzerne und Raffinerien, wenn der Staat pauschal einen Betrag je Liter erstatte. Kartellbehörden untersuchten ja schon, ob Preise bewusst so hoch seien, obwohl der Ölpreis zuletzt gesunken sei.
Umfrage: Knapp die Hälfte der Bürger für autofreie Sonntage
Fast die Hälfte der Bürger in Deutschland ist einer Umfrage zufolge angesichts der Öl-Abhängigkeit von Russland für autofreie Sonntage. 48 Prozent der Befragten bejahten die Frage, ob autofreie Sonntag eingeführt werden sollten, um den Bedarf an russischen Öl-Importen zu senken. Das ergab eine vom Nachrichtensender Welt veröffentlichte Erhebung des Instituts Civey. 45 Prozent der 5072 Befragten waren dagegen, 7 Prozent waren unentschieden.
Einen Tank-Zuschuss zur Entlastung bei den hohen Spritpreisen hielt die Mehrheit (52 Prozent) von 5001 Befragten nicht für sinnvoll. 39 Prozent der Umfrage-Teilnehmer sprach sich dafür aus, 9 Prozent waren unentschieden. (dpa)