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Gedenken

Stele erinnert in Horneburg an Opfer der NS-Gewaltherrschaft

Gedenkstein für die Opfer des NS-Regimes auf dem Waldfriedhof Horneburg eingeweiht: Samtgemeindebürgermeister Knut Willenbockel mit den Initiatoren Michael Quelle und Verena Wein-Wilke (von links). Foto: Vasel

Gedenkstein für die Opfer des NS-Regimes auf dem Waldfriedhof Horneburg eingeweiht: Samtgemeindebürgermeister Knut Willenbockel mit den Initiatoren Michael Quelle und Verena Wein-Wilke (von links). Foto: Vasel

Auf dem Waldfriedhof in Horneburg ist am Montagabend ein Gedenkstein für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in der Samtgemeinde Horneburg eingeweiht worden. 

Von Björn Vasel Dienstag, 21.06.2022, 22:30 Uhr

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„Ihr tragt keine Schuld für das, was passiert ist, aber ihr macht euch schuldig, wenn es euch nicht interessiert“, zitierte die Mitinitiatorin Verena Wein-Wilke (Grüne) in ihrer Rede die Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, Esther Bejarano (1924 bis 2021). Mit der Nennung ihres Namens erhielten die Opfer ihre Identität und ihre Würde zurück, so Wein-Wilke.

Für den Samtgemeindebürgermeister Knut Willenbockel ist der Gedenkstein auch eine Mahnung für die Lebenden und zukünftige Generationen. Es gelte, gemeinsam die Gräueltaten in der NS-Diktatur zu verurteilen und an diese zu erinnern – auch, „um eine Wiederholung zu vermeiden“. Willenbockel mahnte die Zivilgesellschaft, wachsam zu bleiben.

Willenbockel dankte Michael Quelle und Verena Wein-Wilke für ihre Initiative, den Opfern zu gedenken. Auch die Horneburger Gruppe gegen das Vergessen und die AG Friedhöfe unterstützte das Gedenken. Im Mai 2020 hatte die Kommunalpolitikerin den Antrag gestellt. Der Experte für regionale NS-Geschichte aus Stade hat die Namen und Schicksale recherchiert, den Stein bezahlte ein anonymer Spender.

Stele erinnert in Horneburg an Opfer der NS-Gewaltherrschaft

Erinnert wird der Menschen, die von 1933 bis 1945 in der Samtgemeinde Horneburg wegen „ihrer Herkunft, ihrer politischen, religiösen oder ethischen Überzeugung, ihrer psychischen Erkrankung oder körperlichen Behinderung als Fremdvölkische, Volksschädlinge, Minderwertige, Erbkranke diskriminiert, ausgesondert, verfolgt und getötet wurden“. So steht es eingemeißelt von Steinmetz Frank Bartels aus Stade auf dem Granitstein in der zentralen Gedenkanlage auf dem Friedhof.

Weitere Opfer nach Recherche entdeckt

Der Gedenkstein wird noch durch eine Liegeplatte ergänzt, weitere Namen sind durch Recherchen hinzugekommen, 25 Opfer sind (bislang) bekannt. In der Samtgemeinde Horneburg gab es Todesopfer in jeder Mitgliedsgemeinde.

Der Stader Michael Quelle hat sich intensiv mit den Opfern beschäftigt. Er nannte am Montag stellvertretend einige Namen. Zu diesen zählt Hermann Martinius. Sein Vergehen: Der Sohn des Kolonialwarenhändlers Friedrich Martinius hatte den „Feindsender“ BBC gehört, am 20. Juni 1944 wurde er vom Sondergericht Hamburg wegen Vergehens gegen Paragraf 1 der Rundverordnung zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Bei der Hausdurchsuchung stellte die Gestapo eine Zeitungsausschnittsammlung aus den Jahren 1940 bis 1943 sicher – mit Kommentaren, die Martinius‘ negative Einstellung zu dem NS-Regime deutlich machten. Er starb am 26. Januar 1945 im Zuchthaus Hameln im Alter von 56 Jahren. Angeblich hatte Martinius einen verzweifelten Selbstmordversuch unternommen, durch das Trinken von Maschinenöl. Diese Version des Anstaltsarztes hielt seine Witwe nicht für glaubhaft, sagte Michael Quelle.

Auch an Gisela Gruber wird erinnert, die Jüdin aus Moisen in Siebenbürgen (Rumänien). Das war von Hitler den verbündeten Ungarn zugeschlagen worden. Sie musste Röhren für Radios und Fernmeldegeräte sowie Glühbirnen für U-Boote für die von Hamburg nach Horneburg ausgelagerten Philips-Valvo-Werke produzieren – in der Lederfabrik in der Langen Straße. Für die Jüdinnen war ein Außenlager des KZ Neuengamme in Horneburg eingerichtet worden. Dort waren von Oktober 1944 bis April 1945 mehr als 500 Jüdinnen aus Ungarn interniert.

Entkräftet von Hunger und Drangsalierung starb sie im Alter von 16 Jahren am 13. Dezember 1944 – angeblich an Lungentuberkulose. Sie wurde erst im Krähenholz und im Jahr 1955 auf dem Jüdischen Friedhof in Cuxhaven beigesetzt. Der Horneburger Pastor Wilhelm Krückenberg hatte 1953 vorgeschlagen, die Jüdin würdig und sichtbar als Mahnung für zukünftige Generationen auf dem Waldfriedhof zu bestatten – ohne Erfolg.

Opfer der Euthanasie und des Rassenwahns

Auch Oswald Erwin Joecks aus Dollern – geboren am 21. März 1942, ermordet am 12. April 1943 im KZ Auschwitz-Birkenau – gehört zu den Opfern. Er war mit seiner Familie deportiert worden und wurde lediglich ein Jahr alt. Aufgrund des „Auschwitz-Erlasses“ von Reichsführer SS Heinrich Himmler vom 16. Dezember 1942 waren die laut NS-Rassenlehre „rassisch minderwertigen“ Sinti und Roma ins „Zigeunerlager“ des KZ transportiert worden.

Sieben Opfer der Euthanasie aus der Samtgemeinde sind bekannt. August Pappert (1895 bis 1942) aus Horneburg ist einer von ihnen, umgekommen in der Landesheilanstalt Weilmünster, wird als eines der vielen Opfer der Euthanasie erinnert. Er ist einer von etwa 200 000 Menschen mit körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung, die von 1940 bis 1945 unter anderem im Zuge der „Aktion T4“ nach „Leerung“ vieler „Heil- und Pflegeanstalten“ systematisch mit Gas und mit Medikamenten oder durch Verhungern umgebracht wurden.

Der Name des polnischen Zwangsarbeiters Kazimierz Wyata steht ebenfalls auf dem Stein. Er wurde im April 1942 „kurzfristig von der Gestapo in Polizeihaft genommen und für zwei Tage im Landgerichtsgefängnis Stade inhaftiert“. Kurzfristige Haft war im Dritten Reich ein willkürliches Mittel zur Disziplinierung der Zwangsarbeiter. 8500 gab es im Landkreis Stade. Gesichert ist, dass der junge Pole bei der Explosion eines Sprengkörpers in der Feldmark lebensgefährlich verletzt worden ist – und vor Ort verstarb. Vermutlich hat der 23-Jährige Blindgänger räumen müssen. Am 18. Juni 1944 hatte es einen alliierten Luftangriff auf den Flugplatz in Stade/Agathenburg gegeben, auf dem im Zweiten Weltkrieg einige Jagd- und Nachtjagdverbände zur Verteidigung von Hamburg stationiert waren.

Quelle übergab der Kommune eine Dokumentenmappe mit seinen Forschungsergebnissen. Alt-Bürgermeister Hans-Jürgen Detje (CDU) mahnte, dass das Schicksal der Opfer eine Mahnung sei, auch mit Blick auf heutiges rechtsextremistisches Gedankengut und Bestrebungen.

 

Stele erinnert in Horneburg an Opfer der NS-Gewaltherrschaft

Gedenkstein für die Opfer des NS-Regimes auf dem Waldfriedhof Horneburg eingeweiht: Samtgemeindebürgermeister Knut Willenbockel mit den Initiatoren Michael Quelle und Verena Wein-Wilke (von links). Foto: Vasel

Gedenkstein für die Opfer des NS-Regimes auf dem Waldfriedhof Horneburg eingeweiht: Samtgemeindebürgermeister Knut Willenbockel mit den Initiatoren Michael Quelle und Verena Wein-Wilke (von links). Foto: Vasel

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