Patienten aufgepasst: Darum bleiben Arztpraxen im Kreis Stade geschlossen

Derzeit bewegt sich die Rate akuter Atemwegserkrankungen in der Bevölkerung weiter auf einem relativ hohen Niveau. Foto: Daniel Karmann/dpa
Von diesem Mittwoch an sollen zeitweise Tausende Arztpraxen geschlossen bleiben. Hinsichtlich der vielen Krankheitsfälle hagelt es Kritik an dem Vorhaben - aber auch am Verhalten des Gesundheitsministers.
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Landkreis/Berlin. Aus Protest gegen die Gesundheitspolitik von Bundesminister Karl Lauterbach (SPD) haben Ärzteverbände dazu aufgerufen, Hausarzt- und Facharztpraxen bundesweit zwischen den Jahren geschlossen zu halten. Die für Mittwoch bis Freitag geplante Aktion ist Teil der Kampagne „Praxis in Not“, die von mehr als 20 Verbänden unterstützt wird.
Der Virchowbund der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte rechnet damit, dass zwischen dem 27. und 29. Dezember Tausende Praxen geschlossen bleiben könnten. Die Praxen waren dazu aufgerufen worden, ihre Patienten über die Schließung zu informieren, auf den ärztlichen Bereitschaftsdienst zu verweisen und für Vertretung für dringende Notfälle zu sorgen.
Stiftung Patientenschutz: Ärztestreik unverständlich
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, hat kein Verständnis für den angekündigten Streik nach Weihnachten. „Selbst die Gewerkschaft der deutschen Lokführer verzichtet zwischen Weihnachten und Anfang des neuen Jahres auf Streiks. Deshalb ist es unverständlich, dass in Zeiten vieler Kranker zu Praxisschließungen aufgerufen wird“, sagte er der „Rheinischen Post“. Die Aktion treffe vor allem alte und schwache Menschen.
Kritisch sieht Brysch auch das Verhalten von Gesundheitsminister Lauterbach. „Außer öffentlich wirksame Verständnislosigkeit zeigt der Bundesgesundheitsminister keine Initiative, die wilden Maßnahmen zu stoppen“, sagte er. Es gelte, bei den Kassenärztlichen Vereinigungen den Sicherstellungsauftrag anzumahnen.
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Der Bundesvorsitzende des Virchowbunds, Dirk Heinrich, verteidigte den Streik. Er beklagte am Mittwoch im ZDF-„Morgenmagazin“ überbordende Bürokratie. „Hier muss endlich mal der Gordische Knoten durchschlagen werden, damit die Praxen entlastet werden von Dingen, die uns von den Patienten abhalten“, sagte Heinrich. „Denn unsere vordringlichste Aufgabe ist natürlich, sich um die Menschen zu kümmern. Und dafür brauchen wir mehr Zeit und weniger Zeit für Papier.“
In vielen Praxen gebe es einen Aufnahmestopp, weil das Geld zur Behandlung fehle, erklärte Heinrich. Viele Ärzte gingen deswegen früher als geplant in Rente. Er bemängelte die Streichung der sogenannten Neupatientenregelung zu Jahresbeginn, die Ärzten seit 2019 besondere finanzielle Anreize bot, damit sie neue Patienten aufnehmen und kurzfristig zusätzliche Termine anbieten. Nun würden für einen Euro an Leistungen für neue Patienten nur noch 70 Cent bezahlt.
Kritik an Lauterbach
Die Linke-Vorsitzende Janine Wissler kritisierte Lauterbach ebenfalls. „Die Aufforderung von Gesundheitsminister Lauterbach an die Hausärzte, ihre Patienten zwischen den Jahren „nicht im Stich“ zu lassen, ist unverschämt und wirkt wie blanker Hohn angesichts seiner zweijährigen Versäumnisse im Gesundheitsbereich“, sagte Wissler der Zeitung. Lauterbach solle die Forderungen der Ärzte sowie aller Beschäftigten im Gesundheitsbereich ernst nehmen.
Lauterbach hatte sich beim Sender RBB zu dem geplanten Streik geäußert. „Die Forderungen der Ärzteschaft sind bekannt, sie müssen nicht noch einmal vorgetragen werden, daher braucht jetzt nicht gestreikt werden, insbesondere wo so viele Menschen krank sind“, sagte er. Jetzt, wo jeder Zehnte krank sei und die Menschen die Versorgung bräuchten, dürften die ohnehin vollen Praxen nicht schließen.
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Zuvor hatte der Minister einen Krisengipfel für Januar angekündigt. „Wir müssen eine Reform machen. Das ist über viele Jahre nicht gelaufen“, lenkte Lauterbach ein. „Wir haben zu viel Bürokratie in den Praxen. Daran wird jetzt gearbeitet.“ Vorschläge zu einer notwendigen Entbürokratisierung und einer Honorarreform würden demnach schon seit Monaten vorbereitet.
Die Union zeigte hingegen Verständnis für die Ankündigung niedergelassener Ärzte. Der gesundheitspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Tino Sorge (CDU), sagte unserer Redaktion: „Praxisschließungen sind ärgerlich und hoffentlich nur das letzte Mittel für eine sehr kurze Zeit.“ Zugleich betonte Sorge: „Schuldzuweisungen von Minister Lauterbach sind jetzt absolut kontraproduktiv und scheinheilig.“ Die Gründe für den Protest der Ärzteschaft seien dem Minister seit Monaten bekannt. „Es wäre höchste Zeit, dass sich der Bundesgesundheitsminister mit den Ärztinnen und Ärzten endlich an einen Tisch setzt und über die offensichtlichen Probleme spricht“, so der CDU-Politiker. Zahlreiche Arztpraxen befänden sich in einer wirtschaftlich ausgesprochen schwierigen Zeit. Es gehe nicht nur um das Honorar. (dpa/mkr)