Wann die Ampel-Koalitionäre ihr Schweigen brechen müssen
Birgit Marschall beobachtet in Berlin die Sondierungsgespräche mit SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz.
Am Freitag könnte für SPD, Grüne und FDP und damit für die politische Zukunft des Landes bereits die „Stunde der Wahrheit“ schlagen. Kommt es so, haben die Ampel-Koalitionäre keine unnötige Zeit verstreichen lassen. Die Verschwiegenheit der Parteien jedoch muss bald auch enden.
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Von Birgit Marschall
Die Parteien wollen die Ergebnisse ihrer Gespräche nun zu Papier bringen – um auf dieser Grundlage über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zu entscheiden. Die schnelle Entscheidung für Koalitionsverhandlungen wäre auch eine Vorentscheidung über die nächste Bundesregierung. Dass die Liberalen wie 2017 noch einmal ausscheren, ist schwer vorstellbar. Und SPD und Grüne sind ohnehin Wunschpartner. Auch sie dürften ein sozialliberales Bündnis mit grünem Anstrich nicht mehr verhindern.
Die FDP hätte erstmals seit 1982 wieder das Lager gewechselt. Die angeschlagene Union mit ungewisser Zukunft erscheint ihr zu Recht als nicht regierungsfähig. Damit auf dem Weg zur Ampel nichts schiefgeht, haben die Parteien strengste Vertraulichkeit vereinbart. Bisher zeigen sie dabei große Disziplin, Inhaltliches dringt nicht nach außen. Wer plaudert, darf Ambitionen auf einen Job in der nächsten Regierung offenbar begraben. Das Schweigekartell zahlt sich für die Betroffenen zumindest bisher aus: Die Gesprächsatmosphäre sei offen und ehrlich, ist zu hören.
Phase der Verschwiegenheit sollte begrenzt bleiben
Für das Gelingen einer komplizierten Dreierkonstellation ist anfängliche Verschwiegenheit unerlässlich. Ohne sie würde der Versuch der Kompromissbildung bei den größten Unterschieden wohl nicht gelingen, denn alles würde in der Öffentlichkeit zerredet. Zudem entsteht nur so gegenseitiges Vertrauen.
Die Phase der Verschwiegenheit sollte aber unbedingt begrenzt bleiben. Andernfalls würde in der Öffentlichkeit der ohnehin verbreitete Eindruck der elitären Kungelei bestätigt und verstärkt.
Größten Hürden beim Thema Finanzen
Die größten Hürden muss die Ampel beim Thema Finanzen überwinden. Die Grünen dringen auf eine höhere Neuverschuldung und Aufweichung der Schuldenbremse, die FDP lehnt Letzteres ab, die SPD sitzt dazwischen. Ein Ausweg könnte sein, das Jahr 2022 für eine einmalige starke Erhöhung der Neuverschuldung zu nutzen und das geliehene Geld für Investitionen in der Zukunft zu reservieren. Auch könnte die Regierung Investitionsgesellschaften nutzen, die sich im Auftrag des Bundes verschulden, so dass die Schuldenbremse rechtlich nicht tangiert würde. Beide Wege wären aber im Grunde nichts anderes als die Umgehung der Verfassungsregel.
Doch wenn die Ampel verlässlich festschreiben würde, dass das zusätzlich geliehene Geld ausschließlich in neue Investitionen fließt und die Kreditaufnahme mit der Überprüfung sämtlicher Ausgaben des Bundes verknüpft wird, könnten wohl auch die FDP und so mancher Kritiker der Aufweichung über die Hürde springen. Wenn feststünde, dass die Regierung keine Kredite nutzt, um etwa Löcher in der Sozialversicherung zu stopfen, könnte vor allem der bedrohliche Klimawandel die zusätzliche Kreditaufnahme rechtfertigen.