Wesermarsch statt Venedig: So lebt es sich als Dauercamper

Gerlinde und Walter Stein leben seit zweieinhalb Jahren ständig im Wohnmobil. Die Jack-Russell-Hündin Flocke ist immer dabei. Foto: Krabbenhoeft
Sich ein Wohnmobil zu kaufen, das haben schon viele gemacht. Aber nur wenige entscheiden sich, permanent darin zu leben. Wie sich das anfühlt, und warum Kleinensiel ein guter Ort zum Übernachten ist, das erzählen zwei, die sich getraut haben.
Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!
Von Sabrina Krabbenhoeft
Nach wochenlangem Schmuddelwetter scheint seit ein paar Tagen wieder sie Sonne. Am Fähranleger in Kleinensiel ist trotzdem nicht viel los. Nur eine Handvoll Spaziergänger nutzt die Gunst der Stunde, um frische Luft entlang der Weser zu schnuppern. Außerdem fällt ein stattliches Wohnmobil ins Auge, ein silberner MAN Phoenix Liner steht längsseits zur Weser.
"Wir haben alles gehabt"
Die Eigentümer des Gefährts, Gerlinde (60) und Walter Stein (62), sind seit zweieinhalb Jahren auf Achse. Sie verkauften Haus und Hof und legten sich als neues Zuhause das zehn Meter lange Wohnmobil zu. Immer mit dabei ist die siebenjährige Hündin Flocke. „Wir haben alles gehabt“, sagt Walter Stein und meint damit ein Haus in Ostfriesland, mehrere Autos und ein kleineres Wohnmobil, welches regelmäßig zum Einsatz kam.

Das Wohnmobil, ein MAN Phoenix Liner, ist das Zuhause des Paares. Mit einer Länge von zehn Metern bietet es eine Menge Platz und Stauraum. Foto: Krabbenhoeft
Während er als Techniker für Windkraftanlagen arbeitete, versorgte seine Frau die zwei Kinder, schmiss den Haushalt und arbeitete als Fußpflegerin. Der Plan, das Leben grundlegend zu ändern, reifte über drei, vier Jahre. Fehmarn gehörte damals zu ihren regelmäßigen Zielen beim Campingurlaub. In der Ruhe dort stellten sie sich der Frage: „Wann verkaufen wir alles und ziehen los?“
Statt Italien wurde es Wittmund
Klar war, sie wollten einen großen Camper, in dem sie aufrecht stehen können, wo „man auch mal die Tür zwischen Wohn- und Schlafzimmer zu machen kann“. Im August 2020 war es so weit. Für das Haus waren schnell Käufer gefunden, der Liner stand bereit. Erstes Ziel sollte Italien sein
Doch bevor sie weit gekommen waren, begann die Corona-Pandemie. Für die nächsten sieben Monate wurde ihr neues Zuhause der Campingplatz in Wittmund. Dort durften sie ausnahmsweise den Winter über bleiben. Walter Stein sagt: „Anfangs guckten die Leute zwar auf unseren Wagen, aber wenn ich sie grüßte, sahen sie weg.“ Das änderte sich, nachdem die Lokalzeitung über das Paar und seine Pläne berichtete. Am Tag des Abschiedes von Wittmund kam selbst der Bürgermeister vorbei.
In Kleinensiel gefällt die Ruhe und Einsamkeit
Ihre Reise führte sie zunächst an den Niederrhein. Zwischendurch rüsteten sie das Fahrzeug nach, sodass sie autark stehen können. Ein Tank mit 250 Litern Frischwasser und ein ebenso großer Abwassertank machen es inzwischen problemlos möglich, die ausgetretenen Pfade zu verlassen.
Die Steins meiden Campingplätze und stehen stattdessen im Gewerbegebiet oder auf dem Parkplatz großer Supermärkte.

Wer im Wohnmobil lebt, muss improvisieren können. Bei Steins wird die Wurst zum Trocknen in die Duschkabine gehängt.Foto: Krabbenhoeft
Zu einem der schöneren Stellplätze gehört der Fähranleger in Kleinensiel, fern von Stromanschlüssen und festen Wasserleitungen. Walter Stein sagt: „Wir kommen öfter hierher. In Kleinensiel gefällt uns gerade im Winter die Ruhe. Wir mögen es gern mit etwas Platz um uns herum.“ Zum Spazierengehen an der Weser ziehen sie Gummistiefel an, der Hund will schließlich raus. Abends gucken sie fern und Gerlinde Stein strickt Socken.
Improvisieren gehört zum Leben im Wohnmobil
Beide sind sich einig, dass die Entscheidung für ein mobiles Leben die richtige war. Durch den begrenzten Raum hätten sie ordentlich reduzieren müssen. Statt Geschirr für zehn Personen gibt es im Wagen nur noch Teller und Besteck für vier. Besuch bringt in der Regel das eigene Gedeck mit.
Die Erlebnisse, die das Leben auf vier Rädern bietet, kann ihnen keiner mehr nehmen, sagt der 62-Jährige. Das Paar hat gelernt, sich an den einfachen Dingen zu erfreuen. Im Sommer des vergangenen Jahres parkten sie auf einem kleinen privaten Campingplatz zwischen Birnen- und Apfelbäumen. Das Obst stand zur freien Verfügung und sie sammelten eifrig drauflos. Es war so viel, dass sie bis in den Dezember hinein Äpfel aßen und jede Menge Apfelmus einkochen mussten.

Die siebenjährige Flocke ist immer mit dabei. Wo sie nicht mit hinein darf, da kehren auch Frauchen und Herrchen nicht ein. Foto: Krabbenhoeft
Ein anderes Mal hätten sie Hokkaido-Kürbisse gesammelt, „erst nur kleinere Exemplare, dann kamen die großen.“ Es waren mehr als genug und so verteilten sie ihre Ernte auf dem Weg zurück zum Wagen an die anderen Camper.
Links oder rechts? Das sind die Fragen, um die es geht
Bekannte fragen manchmal, ob sich die zwei auf dem knappen Raum häufig streiten. Gisela Stein lacht: „Nein, im Gegenteil. Wir reden über alles. Und wir haben viel mehr Zeit füreinander, das ist großartig.“
Bis nach Italien sind sie noch nicht gekommen. Irgendwie war immer etwas anderes los. So ging es die letzten Jahre kreuz und quer durch Deutschland. Gerlinde Stein sagt: „Wir wissen nie, wohin wir als Nächstes fahren. Müssen wir auch nicht. Die Frage auf der Straße ist eher: Links oder rechts? Und irgendwann kommen wir dann an.“ Sie hat im vergangenen Jahr ihren Lkw-Führerschein gemacht. Damit darf sie jetzt auch ans Steuer.