Wie die Industrie nach Stade kam

Prosperierende produzierende Industrie, wie hier die Dow in Stade-Bützfleth, ist das Ziel eines neuen „Leitbilds für die Unterelbe“.
Jahrzehntelang hat sich Hans Schmidt für die Bevölkerung und Umwelt engagiert. Welche Kämpfe er dabei führen musste und ob diese von Erfolg gekrönt waren, schildert er jetzt in einem Buch.
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Keine Frage, „Das Leben hat Vorrang“. Doch ist das tatsächlich so? Wer in dem rund 300 Seiten starken Buch des Bützflethers Hans Schmidt mit dem gleichnamigen Titel zu lesen beginnt, kommt schnell ins Grübeln. Denn bereits auf den ersten Seiten bringt der Autor den Leser beinahe plaudernd, aber schonungslos auf die Spur: Es geht um die Industrieansiedlung auf Bützflether- und Stadersand, bei der die Interessen der Bevölkerung wenig berücksichtigt, diese aber schlecht bis falsch informiert worden seien.
Privatarchiv veröffentlicht
Anhand zahlreicher jahrzehntelang gesammelter Schriftstücke, Fotos und Zeitungsausschnitte des STADER TAGEBLATT möchte Hans Schmidt seine Behauptungen belegen; das älteste Dokument stammt von 1969. In diesem Jahr beginnt auch die Großindustrie mit ihrer Ansiedlung auf dem Bützflethersand. Für den Autor und damaligen Vorsitzenden des Bürgervereins zuerst kein Problem. Er habe keine Vorbehalte gehabt, so Schmidt, und - wie er zugibt - „keine Ahnung“. Positive Aspekte wie Arbeitsplätze und Wohlstand überstrahlten alles: „Wir sehen Geldströme, wir erwarten eine Goldgräberzeit“, schreibt er. Die Bevölkerung sei in völliger Unkenntnis gelassen, über Konsequenzen der Industrieansiedlung sei nicht gesprochen worden.
Den Ansiedlungsverträgen zwischen der Politik und den Vereinigten Aluminiumwerken (VAW), der Aluminiumoxid Stade (AOS) und der Dow Chemical (Dow) folgt Ende 1969 der Baubeginn – der Bevölkerung kommen erste Bedenken.
Lebensqualität leidet
Auch Schmidt, selbstständiger Architekt und Bauingenieur, hat erste Zweifel. Als die Lebensqualität der Bevölkerung unter Immissionen aus Staub, Lärm und Geruch leidet, engagiert sich der Autor, wobei ihm auch seine berufliche Expertise zugutekommt. Er stellt Kontakt zu Umweltschützern her und wird selbst aktiv. Ob Elbvertiefung, Autobahnen oder Atomkraftwerk: Schmidt engagiert sich für Mensch, Natur und Umwelt der Region Unterelbe, besucht Sitzungen, zieht Experten zu Rate, gerät unter Druck, zieht vor Gericht. Ehefrau Helga hält zu ihm.
Zeitdokument mit Gewicht
Wie sich der inzwischen über 80-Jährige seit Jahrzehnten für seine Heimat einsetzt, ist beeindruckend und lesenswert beschrieben. Hans Schmidt hat ein Werk verfasst, das nachdenklich macht - möglicherweise das umfangreichste und damit wichtigste Zeitdokument zur Stader Industrieansiedlung.

Der Autor Hans Schmidt und seine Ehefrau Helga haben immer zusammengehalten. Foto: Archiv