Wohl doch kein Glyphosat-Verbot – EU überrascht

Im Integrierten Obstbau wird der Baumstreifen ein bis zwei Mal mit Glyphosat behandelt. Mit dem Chemie-Einsatz wollen die Bauern die Ernte sichern. Foto: dpa
Da schaut auch der Obstbau mit Spannung hin: Nach Jahren heftigster Auseinandersetzungen um ein Ende von Glyphosat in Pflanzenschutzmitteln rückt die Entscheidung näher. Die Empfehlungen fallen aber anders aus als von vielen erwartet.
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Von Gregor Mayntz
Das Erwartungsmanagement der Grünen und ihrer Naturschutzlobby hatte ganze Arbeit geleistet. Schrittweise werde der Einsatz glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel abgeschafft. Zuerst ein Verbot für Privatgärten und öffentliche Flächen in Deutschland, dann Beschränkung auf immer weniger Ackerflächen, schließlich ab 2024 generelle Untersagung, sobald im Dezember 2023 die Erlaubnis in der EU abgelaufen sein würde. Zeitpläne anderer Länder enthalten ähnliche Abläufe.
Es gibt jetzt ein Problem: Alles sieht danach aus, als würde die EU den Einsatz europaweit um bis zu 15 weitere Jahre erlauben. Entsprechend empört sind die EU-Grünen. Wenige Wochen vor der Entscheidung wird Brüssel zum Schauplatz der Gutachten-Schlachten. Am Dienstag kam wieder eine auf den Tisch der Agrarpolitiker. Im Auftrag der Grünen hatte das Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN), gemeinnütziger Verein, in zwölf EU-Ländern Wasserproben genommen. 23 kamen aus Flüssen und Bächen, fünf aus Seen. Ergebnis: Glyphosat fanden PAN-Mitarbeiter in 17 von 23 Proben aus elf von zwölf Ländern.
Grüne fordern Ende des Glyphosat-Einsatzes
„Das Ausmaß des Glyphosateinsatzes in Europa hat zu weit verbreiteter Kontamination der Umwelt geführt, das Herbizid wurde in menschlichem Urin, Hausstaub, Boden und Oberflächengewässer nachgewiesen“, fügte Martin Häusling, Grünen-Agrarexperte im Europa-Parlament, hinzu. Die Forderung: „Schluss mit der Brunnenvergiftung durch Glyphosat.“ Neben Klimaschutzgesetzen und Verbreitung der Wölfe ist in der Agrarpolitik kaum etwas so aufgeladen wie Glyphosateinsatz. Befürworter und Gegner starteten Unterschriftenaktionen. Ob es ein preiswertes, bodenschonendes und wirksames Pflanzenschutzmittel ist oder krebserregend, ist auch nach zig Klagen in den USA ungeklärt. Nach Übernahme des Herbizid-Herstellers Monsanto musste Bayer Millionen an Entschädigungen leisten, hat zuletzt acht Gerichtsverfahren gewonnen.
Nach Überzeugung von acht Glyphosatunternehmen hängt das mit Erkenntnissen aus vielen Studien zusammen: Das Pflanzenschutzmittel sei „bei sachgemäßer Verwendung sicher“. Die Erlaubnis zum Einsatz in der EU wäre Ende 2022 ausgelaufen. Die Kommission verlängerte um ein Jahr, weil die Überprüfung wegen besonders intensiver Beteiligung von Interessenträgern und Wissenschaft umfangreicher wurde.
Zahlreiche Studien über Glyphosat-Einsatz
Seit 2019 sind Frankreich, Ungarn, die Niederlande und Schweden für alle EU-Staaten damit beschäftigt, ob verlängerte Zulassung verantwortbar sei. Die Auswertung aller Studien und Statistiken liegt bei der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa). Sie sammelte 368 Antworten auf ihre Fragen, erhielt 2.400 Einschätzungen von Sachverständigen aus Mitgliedstaaten und der Gruppe der Unternehmen, die verlängerte Zulassung beantragt haben, und erstellte ein Dossier mit 3.000 Seiten. In einem Satz: keine inakzeptablen Gefahren.
Norbert Lins, Chef des Agrarausschusses im EU-Parlament, nahm das Glyphosat-Thema auf die Tagesordnung des Gremiums. „Wir sind uns einig, dass die europäische Entscheidungsfindung durch wissenschaftlich und methodisch fundierte Daten begründet sein muss.“
Selten sei ein Wirkstoff so genau untersucht worden wie Glyphosat. Efsa-Direktor Bernhard Url wiederholte vor den Parlamentariern das Ergebnis der Risikobewertung, wonach, wie Lins betont, Efsa „keine kritischen Problembereiche ermittelt hat, die in Bezug auf das von ihm ausgehende Risiko für Mensch, Tier oder Umwelt Anlass zu Bedenken gibt.“
Für den CDU-Politiker steht fest, dass „aus wissenschaftlicher Sicht einer Wiederzulassung nichts entgegensteht“. Das weitere Verfahren: Die EU-Kommission sendet einen Entwurfsvorschlag an die EU-Staaten. Der Ständige Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel der Agrarminister hat das letzte Wort. Sie kommen Mitte Oktober zusammen, um vor Auslaufen der Anwendungserlaubnis (15. Dezember) Rechtssicherheit zu schaffen. Einige würden Glyphosat verbieten wie Deutschlands Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Die Empfehlung der Kommission dürfte in Richtung Ja gehen. (lit)