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Hamburger Initiative

Ist das Volksbegehren zum Grundeinkommen zulässig? So entschied das Gericht

Die Präsidentin des Hamburgischen Verfassungsgerichts, Birgit Voßkühler (hinten, 5.v.l.), verkündet im Hanseatischen Oberlandesgericht das Urteil um die Initiative "Hamburg soll Grundeinkommen testen!". Foto: Ulrich Perrey/dpa

Die Präsidentin des Hamburgischen Verfassungsgerichts, Birgit Voßkühler (hinten, 5.v.l.), verkündet im Hanseatischen Oberlandesgericht das Urteil um die Initiative "Hamburg soll Grundeinkommen testen!". Foto: Ulrich Perrey/dpa

2020 hatte die Volksinitiative „Hamburg soll Grundeinkommen testen!“ tausende Unterschriften und Unterstützer gesammelt, um einen entsprechenden Gesetzesentwurf im Senat einzubringen. Der Senat zog dagegen vor das Verfassungsgericht - das nun eine Entscheidung gefällt hat.

Mittwoch, 12.07.2023, 15:00 Uhr

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Das geplante Volksbegehren zu einem Modellversuch für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Hamburg fällt aus. Das Hamburgische Verfassungsgericht untersagte am Mittwoch nach einem Antrag des rot-grünen Senats, das Volksgesetzgebungsverfahren fortzusetzen. Die Angaben der Initiatoren zu dem Modellprojekt seien in Teilen widersprüchlich, unklar und lückenhaft. Abstimmende könnten die Vor- und Nachteile nicht ausreichend abschätzen und auch die Folgen des Vorhabens nicht vollständig überblicken. Das Urteil des Gerichts sei einstimmig gefallen, sagte Gerichtspräsidentin Birgit Voßkühler. Die Initiatoren des Volksbegehrens „Hamburg soll Grundeinkommen testen!“ erwägen nun, auf Basis eines überarbeiteten Gesetzentwurfs eine neue Volksinitiative zu starten.

Ziel des Volksbegehrens war, ein bedingungsloses Grundeinkommen in Hamburg auszuprobieren und einen wissenschaftlichen Modellversuch zur Erforschung der Wirkung, Akzeptanz und Umsetzbarkeit von Varianten des Grundeinkommens zu ermöglichen. Dazu sollten mindestens 2000 Personen drei Jahre lang bedingungslos und ohne Bedürftigkeitsprüfung ein monatliches Einkommen erhalten. Dieses sollte so hoch sein, dass daneben keine Sozialleistungen mehr nötig sind. Wenigstens 1000 Erwachsene sollten mindestens 1120 Euro erhalten, Minderjährige 560 Euro im Monat. Das Gesamtbudget sollte 40 Millionen Euro betragen.

Darum lehnte das Gericht das Volksbegehren ab

Nach Ansicht des Gerichts erwecken die Angaben der Initiatoren bei den Stimmberechtigten jedoch falsche Vorstellungen vom Inhalt des Vorhabens. So werde zwar gleich in der Überschrift auf ein bedingungsloses Grundeinkommen ohne Bedürftigkeitsprüfung abgestellt. Tatsächlich enthalte der Entwurf aber auch Regelungen zu einer Einkommensanrechnung und zur Prüfung individueller Bedarfe. Nicht hinreichend werde zudem erklärt, dass bei dem Modellversuch schon wegen der Kostendeckelung auf 40 Millionen Euro nicht alle die angegebenen Summen erhalten können.

Auch vermittele der Entwurf unzutreffend den Eindruck, bei einem Grundeinkommen von 1120 beziehungsweise 560 Euro sei die Armutsrisikoschwelle überschritten. Denn tatsächlich lag der existenzsichernde Betrag für einen Erwachsenen nach dem Sozialgesetzbuch zum Zeitpunkt des geplanten Volksbegehrens im Jahr 2020 bereits bei 1194 Euro, wie Voßkühler betonte.

Das sagt die Initiative nach der Niederlage

„Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf keinen Hinweis auf notwendige, insbesondere inflationsbedingte Anpassungen eines existenzsichernden Zahlungsanspruchs“, sagte die Gerichtspräsidentin in der Urteilsbegründung. Auch steuerrechtliche Fragestellungen und Auswirkungen auf die Sozialversicherung etwa bei der gesetzlichen Krankenversicherung seien unberücksichtigt geblieben. Voßkühler sagte, es könne nicht erwartet werden, dass in dem Gesetzentwurf alle rechtlichen Facetten beleuchtet werden. Die wesentlichen Schnittstellen mit anderen Gesetzen müssten aber schon benannt werden. „Denn anders können die Abstimmenden die Vor- und Nachteile des Gesetzentwurfs und dessen Auswirkungen nicht abschätzen.“

Die Initiative betonte nach ihrer Niederlage, das Gericht habe ausdrücklich klargestellt, dass ein Modellversuch zum bedingungslosen Grundeinkommen in die Zuständigkeit des Landes Hamburg falle und daher grundsätzlich auch als Gegenstand einer Volksinitiative zulässig sei. Das Vorhaben sei sowohl mit der Hamburgischen Verfassung als auch mit übergeordnetem Recht, etwa Bundes- und Europarecht, vereinbar.

So geht es nach der juristischen Niederlage jetzt weiter

„Die wichtigste Nachricht des Tages lautet: Ein Modellversuch zum bedingungslosen Grundeinkommen ist prinzipiell mit Landesrecht vereinbar“, sagt Rainer Ammermann, Vertrauensperson der Expedition Grundeinkommen in Hamburg. Das Urteil beziehe sich auf einen Teil des Gesetzentwurfes - nicht auf das Vorhaben im Ganzen. „Wir werden die Urteilsbegründung gemeinsam mit unserem Rechtsbeistand sorgfältig analysieren und die Möglichkeit prüfen, auf Grundlage eines überarbeiteten Gesetzentwurfs eine neue Volksinitiative zu starten“, erklärte Ammermann.

Die Initiative „Hamburg soll Grundeinkommen testen!“ hatte Anfang 2020 Unterschriften für einen Gesetzesentwurf zur „Erprobung eines bedingungslosen Grundeinkommens im Land Hamburg“ gesammelt und auch die notwendigen 10.000 Unterstützer zusammenbekommen. Da die Hamburgische Bürgerschaft das erwünschte Gesetz aber trotzdem nicht verabschiedete, hatte die Initiative im September 2020 ein Volksbegehren beantragt - woraufhin der Senat das Verfassungsgericht anrief. (dpa)

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