Chemie-Gewerkschaft fordert bis 7 Prozent mehr Lohn

Blick in Dow-Produktionsanlagen in Stade. Foto: dpa
Die Chemie-Gewerkschaft IG BCE ist eine der größten Gewerkschaften in Deutschland. Mitte April stehen jetzt Verhandlungen für ihre Mitglieder an. Die Reaktion der Arbeitgeber folgte prompt.
Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!
Hannover/Stade. Die Gewerkschaft IG BCE will mit der Forderung nach sechs bis sieben Prozent mehr Geld in die bevorstehende Chemie-Tarifrunde ziehen. Diese Empfehlung beschloss die Spitze der Gewerkschaft, wie sie am Dienstag in Hannover mitteilte. Die Bundestarifkommission der Chemie-Gewerkschaft muss den Vorschlag im April nach Beratungen an der Basis noch absegnen. Das gilt in der Regel als Formsache. Die Verhandlungen sollen dann Mitte April starten.
„Dies ist eine Forderungsempfehlung mit Maß und Mitte“, sagte IGBCE-Tarifvorstand und Chemie-Verhandlungsführer Oliver Heinrich. „Sie überfordert auf Unternehmensseite niemanden - aber hilft auf Belegschaftsseite vielen.“ Die rund 585.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Branche müssten durch eine nachhaltige Erhöhung der Entgelte von den Folgen der Inflation entlastet werden.
Daneben will die Gewerkschaft Vorteile für ihre Mitglieder im Tarifvertrag festschreiben. Denkbar seien etwa ein besserer Kündigungsschutz für Gewerkschaftsmitglieder oder höhere Zuschüsse zu Kranken- oder Kurzarbeitergeld, hieß es. Dadurch will die Gewerkschaft die Mitgliedschaft attraktiver machen.
Chemiebranche: Arbeitgeberverband lehnt Forderungen nach Lohnplus ab
Der Arbeitgeberverband BAVC wies die Forderung umgehend als überhöht zurück. „Die Forderungen der IG BCE für die kommende Tarifrunde sind weder krisengerecht noch finanzierbar“, sagte Hauptgeschäftsführer Klaus-Peter Stiller. Produktion und Umsatz der Branche seien zuletzt deutlich gesunken, und auch in diesem Jahr sei kein Wachstum in Sicht. „2024 steuert die Chemie auf eine Krisen-Tarifrunde zu“, sagte Stiller. „Wo keine Zuwächse sind, können wir auch keine verteilen.“
Der Arbeitgeberverband lehnte auch diese Forderung ab. „Differenzierung auf Basis der Gewerkschaftszugehörigkeit spaltet die Belegschaften und findet keine Akzeptanz auf Arbeitgeberseite“, sagte Hauptgeschäftsführer Stiller.
IG BCE sieht „gefährliche Grundstimmung“ in Deutschland
Die Gewerkschaft blickt mit großen Sorgen auf die Lage in Deutschland. „Eine gefährliche Grundstimmung aus Abstiegsängsten und Staatsverdrossenheit macht sich in der Bevölkerung breit, die allein den Radikalen und Populisten in die Hände spielt“, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende Michael Vassiliadis jüngst. Er forderte ein milliardenschweres Investitionspakt. Deutschland müsse durchstarten.
Gewerkschaft sieht viele Probleme
Pessimismus und finanzielle Sorgen hätten auch die breite Mittelschicht unter den Beschäftigten erreicht, zu denen die meisten Mitglieder der Gewerkschaft zählten. Vassiliadis verwies auch auf eine Umfrage unter 3300 Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern. Demnach müssten sich drei von vier Beschäftigten in den IG-BCE-Branchen bei ihrer Haushaltskasse einschränken.
Die Ampel-Koalition habe zu ihrem Start viel versprochen und auch vieles auf den Weg gebracht. Vassiliadis kritisierte aber öffentliche Streitigkeiten der Regierung „um jeden Kram“. Das habe Vertrauen in der Bevölkerung gekostet. Er forderte einen „Power-Cocktail“ für Deutschland: massive Investitionen in die Transformation der Industrie und die Modernisierung der Infrastruktur sowie niedrigere, wettbewerbsfähige Energiepreise. Die Bundesregierung habe aus der Haushaltskrise die falschen Schlüsse gezogen: „Wir brauchen keine Kahlschlag-Sparkeule, wir brauchen eine Investitionsoffensive in die klimagerechte Modernisierung unserer Industrie.“
Lokale Wirtschaft
T Industriestrompreis: Was Dow, Synthopol und AOS dazu sagen
Top-Thema 2023
T Chemiepark Stade: Die Sorgen sind so groß wie die Hoffnungen
Chemiebranche: Warnung vor Jobverlusten
Vassiliadis ist unzufrieden mit dem Stand der Energiewende, also dem schrittweisen Abschied von fossilen Energien wie Kohle und Gas. Hohe Energiepreise im internationalen Vergleich seien ein großer Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Industrienationen. Ein von der Bundesregierung geplantes Strompreispaket löse das Problem nicht. Die Produktion energieintensiver Unternehmen liege um 20 Prozent unter dem Vor-Corona-Niveau. Die Folge seien Stilllegungen, Jobabbau und Standortschließungen - und eine Abwanderung von Produktion ins Ausland.