Darum gerät die Gastro-Branche im Kreis in die Kritik

Das Restaurant Pier 6 von Steffen Heumann hat, wie viele andere auch, wachsende Probleme mit nicht erfüllten Reservierungen. Foto: Scheschonka
Nur Klagen und kein Handeln? Diesen Vorwurf erhebt in der Debatte um fehlendes Personal in der Gastronomie nun die Gewerkschaft - und untermauert diesen mit Zahlen.
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In der Diskussion um Fachkräftemangel appelliert die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) an das Gastgewerbe im Landkreis Stade, mehr und vor allem bessere Ausbildungs-Perspektiven zu bieten. „Das beste Mittel gegen Personalmangel ist, selbst auszubilden und dabei gleichzeitig auch für gute sowie attraktive Ausbildungsbedingungen zu sorgen“, lässt sich der Geschäftsführer Steffen Lübbert von der NGG Lüneburg in einer Mitteilung zitieren. Demnach passe es nicht zusammen, „wenn die Gastronomie einerseits das Klagelied vom Fachkräftemangel anstimmt, andererseits viele Betriebe aber nicht bereit sind, Fachkräfte selbst auszubilden und das zu attraktiven Rahmenbedingungen“.
Lübbert verweist in diesem Zusammenhang auf die Ergebnisse des aktuellen Betriebspanels des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB). Danach bilden bundesweit nur 16 Prozent aller Betriebe im Gastgewerbe aus. „Das Gastgewerbe hat damit den niedrigsten Anteil an Ausbildungsbetrieben unter allen untersuchten Branchen. Zum Vergleich: In der Nahrungs- und Genussmittelwirtschaft liegt der Anteil der ausbildenden Betriebe bundesweit bei 48 Prozent“, so Lübbert.
Gewerkschaft NGG fordert mehr Ausbildungs-Engagement in Gastronomie-Betrieben
Die NGG warnt eindringlich vor einer „Ausbildungs-Lethargie“ der Gastro-Chefs: „Auch wenn die Azubi-Suche nicht einfach ist und große Anstrengungen erfordert, ist es fatal, sich von der Ausbildung zu verabschieden und von vornherein keine Ausbildung anzubieten. Wer überhaupt nicht ausbilden will und hier kein Engagement zeigt, darf sich über Fachkräftemangel im eigenen Betrieb nicht wundern. Da sind die Nachwuchssorgen ein Stück hausgemacht“, so NGG-Geschäftsführer Steffen Lübbert.
Gleichzeitig müssten allerdings auch die Ausbildungsbedingungen für Jugendliche in der Gastro-Branche verbessert werden, so die NGG. Hier gebe es erheblichen Nachholbedarf. Lübbert verweist in diesem Zusammenhang auf den aktuellen Ausbildungsreport des DGB. Danach bewerten angehende Hotelfachleute sowie Köchinnen und Köche die Qualität ihrer Ausbildung als besonders schlecht. Beide Ausbildungen bilden, so der Report, unter den Ausbildungsberufen mit das Schlusslicht.
„Das oft gehörte Argument der Branche, dass schon jetzt die angebotenen Ausbildungsplätze nicht besetzt werden könnten und man deshalb keine zusätzlichen Plätze brauche, zieht damit nicht“, findet Lübbert. Es gebe „ein gewaltiges Imageproblem“. Die Frage, warum man keine Bewerber findet, müsse sich die Branche selbst stellen. Wenn die Ausbildungsbedingungen stimmen und der Job für Jugendliche attraktiv ist - insbesondere in puncto Arbeitszeit und Bezahlung - lassen sich junge Menschen viel leichter gewinnen.“
Deutlich weniger Beschäftigte in der Gastronomie als vor der Pandemie
Gaststätten, Bars und Kneipen in Deutschland haben den Corona-Knick beim Personal noch nicht wettgemacht. Zwar nahm die Zahl der Beschäftigten in der Gastronomie im vergangenen Jahr um 12,5 Prozent zu. Doch in der Branche arbeiten nach Berechnungen des Statistikamtes immer noch gut ein Zehntel (11,8 Prozent) weniger Menschen als 2019, dem Jahr vor Ausbruch der Corona-Pandemie in Deutschland.
Im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus waren Gaststätten mit Ausnahme von Abhol- und Lieferservices zeitweise geschlossen worden. Viele Beschäftigte suchten sich daher neue Jobs.
Eine Auswertung des Unternehmensregisters ergab nach Angaben des Bundesamtes, dass die Gastronomie in den beiden Krisenjahren vor allem geringfügig entlohnte Beschäftigte verlor: Deren Zahl sank, wie Zahlen für das Jahr 2021 zeigen, im Vergleich zu 2019 um fast ein Viertel (23,1 Prozent) auf 346 500. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ging im selben Zeitraum um 9,4 Prozent auf 662 400 zurück. Die Gesamtzahl der Beschäftigten in der Branche lag damit im Jahr 2021 um 14,7 Prozent unter dem Vor-Corona-Jahr 2019.
Höhere Löhne für niedersächsisches Hotel- und Gaststättenpersonal
Die rund 120.000 Beschäftigten des Gastgewerbes in Niedersachsen bekommen dabei mehr Geld. Nach den Tarifverhandlungen der NGG und des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) werden die Entgelte über eine Laufzeit von zwei Jahren stufenweise erhöht. Vollzeitangestellte bekommen brutto dadurch insgesamt 580 Euro mehr. Angaben zu einer durchschnittlichen prozentualen Steigerung machte die NGG nicht.
Ein erster Schritt griff bereits von Mai an mit einer absoluten Steigerung um zunächst 1,48 Euro. Für die Beschäftigten der untersten Lohngruppe bedeutet das laut NGG eine Zunahme des Stundenlohns von 9,82 Euro auf 11,30 Euro. Ab Oktober werden die Entgelte dann in drei weiteren Schritten bis zum April 2024 um insgesamt 2,30 Euro erhöht.
Die Auszubildenden erhalten ebenfalls mehr Lohn. Ihr Monatsgehalt wird ab dem August dieses Jahres pro Lehrjahr um 100 Euro aufgestockt. Von August 2023 an kommen weitere 50 Euro hinzu.
Nach Einschätzung der Gewerkschaft markiert der Abschluss einen wichtigen Schritt, um die Branche „wieder attraktiver und zukunftsfähiger zu gestalten“. In der Corona-Krise hatten etliche Beschäftigte die Gastronomie wegen des eingebrochenen Geschäfts verlassen und sich anders orientiert. Viele Betriebe klagen zudem schon seit längerem über einen Mangel an Fachkräften.
Umsatz im Gastgewerbe im März gegenüber Vormonat gesunken
Das Gastgewerbe hat bundesweit im März schwächere Geschäfte als im Vormonat gemacht. Preisbereinigt (real) sank der Umsatz gegenüber Februar um 2,1 Prozent, wie das Statistische Bundesamt nach vorläufigen Ergebnissen mitteilte. Einschließlich Preiserhöhungen verringerten sich die Erlöse demnach um 1 Prozent. Das Niveau vor der Corona-Pandemie im März 2019 wurde real um 14 Prozent unterschritten.
„Unsere Betriebe leiden unter dem weiter wachsenden Kostendruck, sagte der Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) Guido Zöllick. Er bekräftigte die Forderung, den reduzierten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent auf Speisen beizubehalten. „Nur mit den sieben Prozent ist es gelungen, die explodierenden Kosten bei Energie, Lebensmitteln und Personal zumindest teilweise aufzufangen.“
Die Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie war während der Corona-Pandemie von 19 auf sieben Prozent reduziert worden. Angesichts einer drohenden Energiekrise war die Regelung bis Ende 2023 verlängert worden.
In der Gastronomie sank der Umsatz im März preisbereinigt zum Vormonat um 1,6 Prozent. Hotels, Pensionen und sonstige Beherbergungsbetriebe verzeichneten einen Rückgang um 0,8 Prozent. (pm/bal/dpa)

Bei Reservierungen planen Gastronomen entsprechend - wenn die Tische dann leer bleiben, ist das schlecht für das Geschäft, Mitarbeiter und andere Gäste. Foto: Pixabay