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Die Tragik der Spiegelfechter: Warum Vogelmännchen Scheiben angreifen

Eine Blaumeise vor einer Fensterscheibe.

Eine Blaumeise vor einer Fensterscheibe. Foto: Hajo Schaffhäuser

Männliche Meisen, Buchfinken, Bachstelzen oder Amseln bearbeiten im Frühjahr Fensterscheiben und andere spiegelnde Flächen. Die Vogelmännchen werden Spiegelfechter genannt.

Von Wolfgang Kurtze Montag, 24.03.2025, 12:50 Uhr

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Landkreis. Es klopft an der Fensterscheibe, kurz darauf wieder. Eine Kohlmeise hackt auf das Fensterglas. Nach einigen Minuten Pause ist sie schon wieder da und pickt an die Scheibe. Auch am nächsten Tag befliegt sie die Fensterscheibe und hackt auf sie ein.

Solch ein Verhalten zeigen im Frühjahr die Männchen von Meisen, Buchfinken, Bachstelzen oder Amseln. Nicht nur Fensterscheiben, auch andere spiegelnde Flächen wie Zierkappen von Autos oder Rückspiegel werden von ihnen unaufhörlich bearbeitet.

Spiegelnde Flächen werden immer wieder angeflogen

Spiegelfechter werden männliche Vögel genannt, die sich so verhalten. Vermutet wird, dass sie in der spiegelnden Fläche einen Rivalen erkennen, ihn angreifen und vergraulen wollen. Auffällig ist, dass die spiegelnden Flächen täglich mehrfach an fast den gleichen Stellen angeflogen und behackt werden. Da die Vögel aus vorherigen Attacken gelernt haben, dass an dieser Spiegelfläche und an dieser Stelle immer wieder ihr vermeintlicher Feind erscheint, leben sie ihre Aggressionen genau hier aus. Im Sommer ist es vorbei mit solchen Spiegelfechtereien. Die Reviere werden nach dem Brüten aufgelöst. Die liebestollen Männchen produzieren jetzt weniger Hormone und werden ruhiger.

Vogelmännchen greifen vermeintliche Rivalen an

Das Verhalten dieser Vogelmännchen kann sich zu einer kleinen Tragödie entwickeln. Zunächst kostet es das Männchen viel Energie, immer und immer wieder den vermeintlichen Rivalen anzugreifen und zu vertreiben. Die mitunter erschöpften Vogelmännchen haben aber weitere Aufgaben zu erfüllen. Zum Beispiel müssen sie Nahrung suchen, die Bindung an ihr Weibchen festigen oder mit Gesang und Power die Grenzen ihres Reviers verteidigen. Bei so viel Arbeit kann das Männchen schnell unaufmerksam werden, sein Weibchen kann ab und zu aus dem Blickfeld geraten.

Und was macht das Weibchen? Es könnte von solch einem starken und wilden Partner beeindruckt sein. Die vielen Spiegelfechtereien des Männchens können aber das Weibchen veranlassen, sich währenddessen nach anderen Männchen umzuschauen.

Vogelweibchen lieben Seitensprünge

Forschungen ergaben, dass Vogelweibchen keineswegs ihrem Männchen treu sind. Sie lieben Seitensprünge. Auch wissen sie genau, welche Eigenschaften die Männchen der benachbarten Reviere haben. Von Meisenweibchen ist bekannt, dass sie sich das Verhalten der Männchen, mit denen sie sich paaren, sehr genau ansehen. Da könnte auch ein ruhigeres Männchen aus der Nachbarschaft attraktiv sein. Kurzum: Der eifrige Spiegelfechter muss keineswegs das Männchen sein, das bei der Paarung immer zum Zuge kommt.

Die unnütze Arbeit der Spiegelfechter lässt sich etwas reduzieren, indem die Gardine zeitweise zugezogen wird. Unsere Häuser mit Fensterscheiben, Bauholz oder Fugendichtungen - alles das scheint bei etlichen Vögeln ein für uns unerwartetes Verhalten auszulösen. Krähen oder Meisen hacken mitunter auf die Hölzer und Fugendichtungen ein. Vielleicht verbirgt sich dahinter ein Leckerbissen? Spechte schlagen in die weichen und leicht zu bearbeitenden Isolierfassaden Löcher, um es sich darin wohlig einzurichten.

Spiegelnde Fensterscheiben können bei bestimmtem Wetter und Sonnenschein Vögel leider so irritieren, dass sie ungebremst in sie hineinfliegen. Die verglaste Stadtlandschaft hinterlässt, so der Nabu, in Deutschland in jedem Jahr etwa 100 Millionen tote Vögel. (sal)

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