Im Tarnzelt gegen die Krähenplage

Aus dem Tarnzelt heraus werden immer wieder akustische Salven auf die Krähen „abgeschossen“. Foto: Heilscher
Im Morgengrauen wird in Nordenham viel Theater gemacht. Dann wird auf die Krähen „geschossen“, die in der Stadt so sehr zur Plage geworden sind. Um die Vögel zu vergrämen, wird viel unternommen.
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Es ist noch dunkel im Park, als der Berufsjäger Jens Kleinekuhle und seine Mitarbeiterin Ute Willenborg das Theater bereits aufgebaut haben auf der Wiese in der Mitte des Nordenhamer Parks. Ein Uhu sitzt dort. Ein Habicht greift eine Krähe an. Ein Fuchs ist kurz davor, sich einen anderen der schwarzen Vögel zu schnappen. Dazu lauern Marder im Gras.
All diese Tiere sind Todfeinde der Krähen. Die Geschöpfe, die dort hocken, sind allerdings nicht mehr lebendig. Sie sind ausgestopft. Oder es sind Attrappen. Auch einem kleinen Karussell drehen sich drei Krähen im Kreis. Es ist eine unheimliche Inszenierung. Dazu ertönen immer wieder Todesschreie von Krähen und der durchdringende Ruf eines jagenden Habichts.
Durch den Park hallen Todesschreie
Wenn Ute Willenborg den großen Lautsprecher einschaltet und die Schreie durch den Park hallen, fliegen die Krähen auf und davon. Die Inszenierung zeigt Wirkung. Wenn die Vögel zurückkommen, wird die nächste akustische Attacke gestartet.
Jens Kleinekuhle und Ute Willenborg sind in der Nacht gekommen, um diese Szenerie aufzubauen. Sie hocken in einem Tarnzelt, tragen Tarnkleidung. Als der Reporter sein Haupt mal kurz aus dem Tarnzelt heraushalten will für ein Foto, fliegt gleich die Tarndecke über seinen Kopf. „Die Krähen dürfen uns nicht sehen. Sie dürfen diese Aktion nicht mit Menschen in Verbindung bringen“, sagt Jens Kleinekuhle. Dann wissen sie nämlich, dass sie sich nicht wirklich fürchten müssen. Uhus und Habichte sind für sie viel gefährlicher als Menschen. Denn die Menschen haben die Saatkrähen unter Schutz gestellt. Und so vermehren diese sich - dort, wo sie vorkommen - munter weiter. Jedes Jahr werden es mehr. Vergrämen ist erlaubt, schießen nicht.

Jens Kleinekuhle und seine Mitarbeiterin Ute Willenborg im Morgengrauen im Friedeburgpark. Foto: Heilscher
Im vergangenen Jahr erfolgreich Krähen vergrämt
Der Berufsjäger ist auch in diesem Jahr von der Stadt Nordenham beauftragt worden, Krähen zu vertreiben. Im vergangenen Jahr haben er und ein Baumkletterer mit ihren Maßnahmen Erfolg gehabt. Die Zahl der Krähenpaare ist in der Nordenhamer Kernstadt um mehr als 150 zurückgegangen. Es waren aber immer noch 562. Auch in diesem Jahr hat der Stadtrat wieder 40.000 Euro für diverse Vergrämungsmaßnahmen bereitgestellt. Dazu gehört die Aktion im Friedeburgpark.
Dort hat in den vergangenen Jahren eine große Krähenkolonie genistet. Von den Nachbarn kommen immer wieder massive Beschwerden über den Lärm der Vögel. Jeweils mehr als hundert Paare haben in den vergangenen Jahren in dem Park gebrütet.
Erfolg gehabt mit dem Theater des Schreckens
Er habe mit seiner Inszenierung anderenorts schon Erfolg gehabt, erzählt Jens Kleinekuhle. Er sei von Zoos beauftragt worden, in denen Krähen Eier von Zoovögeln gestohlen haben, und auch von Baumschulen. In den Baumschulen werfen Krähen Containerpflanzen um, um sich die darunter sitzenden Würmer und Insekten zu holen.
Ziel ist es, den Krähen solch einen Schrecken einzujagen, dass sie um den ehemaligen Brutplatz einen großen Bogen machen. Doch Krähen sind schlau. Richtig schlau sogar. Sie können Gesichter erkennen und sogar Autos. Sie merken sich Abläufe, können Dinge miteinander verknüpfen.
Jens Kleinekuhle und Ute Willenborg machen an diesem Samstagmorgen alles richtig im Friedeburgpark. Und dann haben sie doch einen Grund, sich zu ärgern. Denn kaum wird es hell, kommt jemand mit seinem Hund in den Park und geht direkt zu den ausgestopften Tieren und hält sich dort auch länger auf. „Das könnte den Erfolg der Aktion gefährdet haben“, sagt Jens Kleinekuhle. Bleibt also abzuwarten, wie sich die Krähen in den kommenden Tagen verhalten.

Eine Habichtattrappe und eine Krähenattrappe. Foto: Heilscher
Saatkrähen sind eine geschützte Vogelart
Saatkrähen sind eine geschützte Vogelart. Deshalb will die Stadt sie auch nicht aus ganz Nordenham vertreiben, aber dort vergrämen, wo sie mit ihrem Gekrächze Anwohner nerven. Das ist außer am Friedeburgpark auch der Fall am Plaatweg, am Ilseplatz und im Museumspark. Die Stadt möchte die Saatkrähen lenken, möchte es ihnen das Leben in der Innenstadt so ungemütlich machen wie möglich, damit sie ausweichen auf Brutplätze, wo sie nicht oder weniger stören: zum Beispiel im Seenpark oder im Nordenhamer Stadtwald. Die Verantwortlichen bei der Stadt wissen, dass sie auf diesem Weg Geduld haben müssen.
Mitglieder der Naturschutzorganisation Nabu haben mittlerweile zudem einen Brutkasten für Wanderfalken auf dem Dach des Rathausturms in Nordenham angebracht. Die Wanderfalken sollen helfen, die Krähen dauerhaft zu vergrämen. In der Wesermarsch brüten zwei bis drei Paare des Wanderfalken. Auch im Landkreis Stade und in Cuxhaven nisten die schnellen Jäger.
Der Bestand hat sich in den vergangenen Jahren deutlich erholt. 97 Paare haben im vergangenen Jahr in Niedersachsen und Bremen erfolgreich gebrütet. 234 Jungvögel sind ausgeflogen.
„Ich gehe davon aus, dass allein schon das Erscheinen des Wanderfalken dafür sorgt, dass ein Teil der Krähen verschwinden wird“, sagt Naturschützer Franz-Otto Müller. Denn der Wanderfalke ist neben Habicht und Uhu der größte Feind der Krähen.

Ein brütender Wanderfalke in einem Falkennistkasten. Foto: dpa