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Landkreis Cuxhaven

Krankenhaus ist Notunterkunft für ukrainische Familien

Freie Patientenzimmer, die sonst für Privatversicherte zur Verfügung stehen, bieten aktuell eine Unterkunft für ukrainische Flüchtlinge. Im Bild (von links): Alona mit Tochter Maria (hinten) sowie Jaroslav und Kiril mit Mutter Alla (vorn). Foto: Hartmann

Freie Patientenzimmer, die sonst für Privatversicherte zur Verfügung stehen, bieten aktuell eine Unterkunft für ukrainische Flüchtlinge. Im Bild (von links): Alona mit Tochter Maria (hinten) sowie Jaroslav und Kiril mit Mutter Alla (vorn). Foto: Hartmann

40 kerngesunde Menschen bewohnen seit Mitte März zwei Stationen im Ameos Klinikum Seepark in Debstedt. Normaler Stationsbetrieb läuft weiter.

Mittwoch, 20.04.2022, 08:30 Uhr

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Von Katja Gallas 

Aus der Stationsküche tönen Frauenstimmen, zwischen Wand und Geländer des Krankenhausflurs klemmen Stofftiere, an der Seite steht ein Schaukelpferd, Kinder rennen über den Flur. Diese Frauen und Kinder sind aus der Ukraine geflüchtet und kommen zur Ruhe.

„Es gab ein großes Engagement von Ärzten und aus der Pflege. Assistenzarzt Vladimir Sergan hatte die Idee, die leeren Stationen als Notunterkunft zu nutzen. Dr. Bolten, der Chefarzt der Urologie, hat dann sofort Thorsten Krüger kontaktiert“, erzählt Krankenhausdirektor Henning F. Redlin. Dann ging alles ganz schnell. Nach nicht mal einer Woche zogen die ersten drei Frauen in die Zimmer ein, die sonst Privatpatienten beherbergen.

Klinik nimmt kein Geld von der Verwaltung

„Dass Ameos diese Zimmer kostenfrei zur Verfügung stellt, das war in den ersten Wochen eine große Hilfe“, sagt Hendrik Wohlers, Teamleiter Sicherheit und Ordnung der Stadt Geestland. Bis heute ziehen immer wieder Menschen ein in diese zwei großen Wohngemeinschaften auf dem Krankenhausflur. Mittlerweile leben 40 Frauen und Kinder auf zwei Etagen in dem ruhig gelegenen Seitengebäude der Fachklinik für Orthopädie und Urologie. Drei Zimmer sind noch frei.

Das Zimmer, Strom, Wasser und die Reinigung werden von Ameos unentgeltlich zur Verfügung gestellt, die Gäste, wie Pflegedirektor Uwe Stein sie nennt, werden eng von den Mitarbeitenden der Stadt betreut. Auch das Krankenhaus stehe in regem Austausch mit der Verwaltung, wenn mal etwas gebraucht werde – zum Beispiel eine gute Internetverbindung.

Auch das Zusammentreffen von Klinikalltag und dem Leben der Geflüchteten klappe gut, berichtet Stein. Die Stationen grenzen unmittelbar an die normalen Krankenhausstationen, die Türen sind geschlossen, aber nicht verschlossen. „Es kann schon mal sein, dass sich jemand auf den Stationen blicken lässt. Das Personal bittet sie dann, wieder zurückzugehen, außer natürlich sie brauchen medizinische Hilfe“, sagt er. Eine gewisse Abgrenzung sei nötig, da dort viele Kinder lebten und direkt hinter der nächsten Tür medizinisches Material läge.

Umzug von der Sporthalle ins Krankenhaus

In einem der Zimmer läuft Kinderprogramm im Fernsehen. Der dreijährige Maxim sitzt auf zwei zusammengeschobenen Krankenhausbetten und spielt, seine Schwester Marina beschäftigt sich mit ihrem Handy im Bett auf der anderen Seite. Am 19. März kamen sie mit Mutter Yulia, ihrer Freundin und deren Kindern an der Hans-Gabrich-Halle in Bremerhaven Leherheide an. Vier Tage waren sie in der Sporthalle untergebracht, bevor sie das Zimmer im Ameos beziehen konnten. „Am meisten habe ich mich auf eine Dusche gefreut“, sagt die 36-Jährige. Doch viel mehr habe sie nicht erwartet.

In dem hellen Zimmer mit der großen Fensterfront und eigenem Bad haben sie sich etwas eingerichtet. Auf dem kleinen Esstisch stehen Blumen und Geschirr, Spielzeug liegt in einer Kiste auf dem Boden. Es gehe ihnen gut hier, erzählt Yulia. „Ich finde es schon fast zu viel, was wir bekommen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass wir hier so gut aufgenommen werden.“ Ihre Freundin ist mit ihren Kindern ebenfalls im Ameos untergebracht. Die 15-jährige Marina ergänzt: Sie wolle trotzdem so schnell wie möglich wieder nach Hause.

Kindergeburtstag im Krankenhaus

Über Tag erledige sie Schulaufgaben, die sie von ihren Lehrern geschickt bekommt. Auch sie sind geflohen und unterrichten ihre Schüler nun aus ganz Europa. Mit den anderen Teenagern im Haus treffe sie sich abends zum Reden, Filme schauen oder spazieren gehen. Ansonsten gebe es für Kinder und Jugendliche hier nicht viel. Auch einen Spielplatz findet man nicht in unmittelbarer Nähe, erklärt Vladimir Mancevic. Der gebürtige Ukrainer hilft ehrenamtlich.

Ein Stockwerk tiefer wohnen Alona mit ihrer 17-jährigen Tochter Maria und Alonas Schwester Alla mit dem siebenjährigen Jaroslav und dem neun Jahre alten Kiril. Jaroslav feiert heute Geburtstag. Geschenke gab es schon, erzählt seine Mutter. Nun wartet er darauf, dass die anderen Kinder vorbeikommen und gratulieren. Die fünf sind erst vor ein paar Tagen angekommen.

Dramatische Flucht aus der Ukraine

Alona und Maria flohen zuerst aus Cherson zu Alla nach Mykolajiw. Maria zeigt mit zusammengekniffenen Lippen und traurigen Augen ein Video auf ihrem Handy. Es klingelt. An dem heruntergelassenen Rollo vorbei filmt die Jugendliche schwerbewaffnete russische Soldaten vor ihrer Tür. Sie gingen von Haus zu Haus, erzählt ihre Mutter. Alla berichtet weiter, dass sie Handys der Ukrainer nach Aufnahmen kontrollierten, die nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollten. Die Streitkräfte sollen auch Häuser ausgeräumt und sogar Kunststofffenster ausgebaut haben, um sie nach Russland zu schicken – und sie sollen Körper nach ukrainischen Tattoos abgesucht haben.

Am 27. März dann begaben sich die fünf mit dem Auto auf die Flucht. Ihnen blieb nur der Weg in Richtung Odessa und weiter über Moldawien, Rumänien, Ungarn, Slowakei, Polen und schlussendlich nach Deutschland. Sie haben ein gutes Leben – und ihren Hund – in der Ukraine zurücklassen müssen, sagt Alona. In Debstedt nun spüren sie wieder so etwas wie Sicherheit, sagt sie und blickt durch die Fenster auf die weite Rasenfläche. „Danke“, sagt Maria zum Abschied auf Englisch, „Danke, dass sie über uns und darüber berichten, was passiert.“ 

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