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Smartphone und Co

Mediensucht: So erkennen Eltern, ob ihr Kind abhängig ist

Online-Computerspiele sorgen gerade bei Jungs für ein großes Suchtpotenzial. Foto: dpa/Mirgeler

Online-Computerspiele sorgen gerade bei Jungs für ein großes Suchtpotenzial. Foto: dpa/Mirgeler

Kinder und Jugendliche kennen kein Leben ohne Handy, Internet und Spielkonsolen. Die Gefahr, in eine Sucht zu geraten, ist hoch. Aber auch bei Erwachsenen besteht ein Suchtrisiko. Suchtexperten aus Hamburg und Cuxhaven erklären, was Mediensucht bedeutet.

Sonntag, 09.04.2023, 12:00 Uhr

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Von Denice May

Laut einer Untersuchung der Suchtexperten am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) aus dem Jahr 2019 seien Mediensüchte bei Minderjährigen weit verbreitet. Demnach sei die Mediennutzung bei fast 700.000 Teenagern riskant oder pathologisch. Seit der Corona-Pandemie dürfte die offizielle Zahl weiter nach oben gestiegen sein, die Dunkelziffer müsste entsprechend noch größer sein.

Erste Mediennutzungen beginnen bereits mit vier Jahren. Eine Initiative des deutschen Familienministeriums empfiehlt Kindern bis sieben Jahren eine Mediennutzungsdauer von 30 Minuten pro Tag. Die Dauer steigert sich in 15-Minuten-Schritten bis zum Alter von 13 Jahren mit rund 75 Minuten Mediennutzung am Tag. "Die Wirklichkeit sieht anders aus", wie Jürgen Schlieckau, Dipl. Pädagoge und Leiter der VBS-Fachstelle für Sucht, Suchtprävention und Psychosoziale Beratung in Cuxhaven weiß: "Der Medienkonsum nimmt eine dynamische Entwicklung." Das liegt unter anderem daran, dass diejenigen, die ab dem Jahr 1995 geboren sind, mit digitalen Medien aufwachsen. Sie kennen kein Leben ohne Smartphone, Internet und Spielekonsolen.

Online-Spiele, Online-Käufe, Informationssuche

Unter Kindern und Jugendlichen besonders gefährdet sind vorwiegend Jungen, die meist Online-Rollenspielen verfallen. Aber auch viele Mädchen zeigen Suchttendenzen, überwiegend auf Sozialen Netzwerken. Eine Studie vor mehreren Jahren ergab, dass bei Kindern und Jugendlichen auf den Plätzen eins und zwei ihrer Interessen die Handy- und Internetnutzung stehen. Erst auf Platz drei folgte Freunde treffen. Auch hier werden sich - unter anderem mit der Einführung der Streaming-Dienste - die Interessen verschoben haben - allerdings ins Negative.

Aber nicht nur Kinder und Jugendliche können der Mediensucht verfallen, auch Ältere. Gefährdet sind hier Nutzer von Online-Spielen, Online-Glücksspielen, Online-Kaufen, Online-Pornografie und Informationssuche (alles wird "gegoogelt"). "Bei 70 Stunden oder mehr am PC oder im Internet pro Woche, spricht man von einem exzessiven Verhalten. Ab 35 Stunden private Internetnutzung pro Woche, spricht man von einem problematischen Verhalten." Gefördert werden Medien- und andere Süchte durch Interessenvertreter aus der Industrie. "Die Industrie hat ein Gewinninteresse. Computerspiele generieren den gleichen Umsatz wie Alkohol. Der Industrie geht es ums Geld, nicht um die Menschen", bedauert Jürgen Schlieckau. 

Symptome und Folgen von Mediensucht

Die Folge: Abhängigkeiten mit schlimmen Folgen. "Familie und Freunde werden vernachlässigt, generell isolieren sich die betroffenen Menschen, Schlaf- und Essgewohnheiten verändern sich", so der Fachstellen-Leiter. Häufigste Symptome bei Jugendlichen seien zudem zeitlich unkontrollierter und oft stundenlanger Medienkonsum, Verharmlosung des Nutzungsverhaltens, Mediennutzung zu reduzieren misslingt. Entzugserscheinungen wie Wut oder Reizbarkeit bei Nichtkonsum, körperliche Begleiterscheinungen wie Kopf- und Rückenschmerzen, Schlafmangel. Neben der Mediensucht ist in Stadt und Landkreis Cuxhaven auch die Sucht nach Alkohol, Tabak, Cannabis und Koks verbreitet. "Auch der Konsum der E-Zigaretten nimmt immer mehr zu."

Was sich Jürgen Schlieckau für die Zukunft wünscht? "Wir als Fachstelle können beraten, aber es gehören alle dazu. Wir müssen alle hin- und nicht weggucken, um Fehlentwicklungen zu korrigieren. Je jünger Kinder sind, umso mehr muss der Konsum begrenzt werden. Ich würde mir wünschen, dass Eltern sich darüber informieren, was ihre Kinder im Internet, am Computer machen und die Inhalte und Zeit angemessen gestalten." 

Hilfen und Informationen finden Abhängige und deren Angehörige unter anderem bei der Deutschen Stelle für Suchtfragen, der Niedersächsischen Landesstelle für Suchtfragen, beim VBS Cuxhaven sowie verschiedenen Selbsthilfegruppen.

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