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Persönlichkeitsstörung

Psychische Erkrankung: Bremerhavenerin lebt mit Borderline

Jennifer Wrona teilt seit 2017 Ausschnitte aus ihrem Leben auf Instagram, um gegen die Stigmatisierung der Boderline-Persönlichkeitsstörung vorzugehen. Foto: Hartmann

Jennifer Wrona teilt seit 2017 Ausschnitte aus ihrem Leben auf Instagram, um gegen die Stigmatisierung der Boderline-Persönlichkeitsstörung vorzugehen. Foto: Hartmann

Mit 15 Jahren geht es Jennifer Wrona aus Bremerhaven so schlecht, dass sie hauptsächlich damit beschäftigt war, den Tag zu überleben. Die heute 27-Jährige leidet unter der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Mit ihrer Geschichte möchte sie die Erkrankung enttabuisieren.

Sonntag, 19.02.2023, 06:00 Uhr

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Von Luise Langen

„Viele Menschen wissen sehr wenig über die Erkrankung und haben das Bild eines manipulativen Monsters im Kopf“, sagt sie. Um diese Vorurteile endlich aufzubrechen, teilt sie ihre Erkrankung ungeschönt auf Instagram und hat mit „Konfettiregen im Kopf“ ein Buch über das Leben mit Borderline geschrieben.

„Man sieht das den Leuten meistens nicht an“, sagt Jennifer Wrona über Menschen, die mit einer psychischen Erkrankung leben. Sichtbare Zeichen ihrer dunkelsten Stunden gibt es dennoch. Wenn die 27-Jährige die Ärmel ihres Pullovers hochschiebt, kommt auf ihren Unterarmen ein zartes Muster aus weißen Linien zum Vorschein. Diese fast verblassten Narben stammen aus einer Zeit, als sie sich selbst verletzte: „Mein innerer Schmerz war so unlokalisierbar. Mit dem Schneiden habe ich versucht, selbst zu entscheiden, wo der Schmerz sitzt“, erinnert sich die 27-Jährige. Dass sie sich früher selbst verletzt hat, war für sie befreiend, aber auch schambehaftet. „Den größten Teil meines Lebens ging es mir nicht gut. Jetzt wird es besser, aber es bleibt schwer. Die Versuchung ist immer da, auf alte Verhaltensmuster zurückzugreifen“, erzählt sie.

Selbstverletzendes Verhalten ist typisch für die Borderline-Persönlichkeitsstörung, auch emotional instabile Persönlichkeitsstörung genannt. Aber nicht alle Betroffenen verletzen sich selbst. Die Anzeichen für eine Erkrankung sind so vielseitig wie die Menschen selbst, weiß Jennifer Wrona. Gemeinsam haben sie in der Regel die starken Stimmungswechsel, eine gestörte Selbstwahrnehmung und Verlustängste, so das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DMDI).

Weil Borderline-Erkrankte negative sowie positive Emotionen besonders extrem empfinden, reagieren sie oft impulsiv ohne Berücksichtigung von Konsequenzen - das wirkt sich meist auch negativ auf ihre zwischenmenschlichen Beziehungen aus, gibt das DMDI an. Darüber hinaus entwickeln einige von ihnen weitere psychische Störungsbilder wie Selbstverletzung, Essstörungen, Depressionen oder Drogenmissbrauch. Auch ein erhöhtes Selbstmordrisiko kann bestehen.

Jennifer Wrona hat selbst früh bemerkt, dass sie anders ist als ihre Mitschüler - dass sie stärker empfindet, als es selbst für einen Teenager gesund gewesen wäre. Oft sei sie scheinbar grundlos in Tränen ausgebrochen. 2008 - als sie 13 Jahre alt war - schrieb sie in ihr Tagebuch: „Gestern war ich in der Küche mit dem Messer in der Hand und habe geweint. Vieles wäre bestimmt einfacher, wenn ich nicht auf der Welt wäre. Ich hatte dann doch Angst vor dem Schmerz, aber trotzdem lässt mich der Gedanke nicht los. Hoffentlich wird bald alles wieder besser.“

„Prognosen für Erkrankung waren sehr negativ“

Mit 16 Jahren war sie zum ersten Mal für ein halbes Jahr in einer psychiatrischen Station im Krankenhaus. Diagnose: Borderline. „Das hat mich sehr schockiert und aus der Bahn geworfen, weil die Prognosen für diese Erkrankung sehr negativ waren. Es hieß: Jetzt bist du für immer und ewig krank und dir wird es für immer schlecht gehen“, beschreibt sie den Moment, als sie sich erstmals über die Persönlichkeitsstörung informierte.

Mit der Diagnose ist sie nicht allein: In Deutschland leiden, laut dem Theodor-Wenzel-Werk für psychiatrische Erkrankungen in Berlin, etwa 2 Prozent der Bevölkerung am Borderline-Syndrom, das sind 1,6 Millionen Menschen. Viele von ihnen haben einen langen Leidensweg hinter sich, ehe sie diagnostiziert werden und auch dann sind die Heilungsaussichten meist schlechter als bei anderen psychischen Erkrankungen. Neben einer biologischen Veranlagung gelten traumatische Erfahrungen in der Kindheit als Auslöser. Dazu können Missbrauchserfahrungen, aber auch eine unsichere Bindung zu den Eltern oder mangelnde Zuwendung zählen.

Welchen Ursprung die Erkrankung bei ihr selbst haben könnte, will Jennifer Wrona nicht verraten - das sei zu persönlich. Mit der Diagnose geht sie hingegen ungewöhnlich offen um. Das ist nicht selbstverständlich, denn Borderline ist laut einer Studie der SRH Hochschule für Gesundheit in Thüringen in der Gesellschaft stärker stigmatisiert als andere psychische Erkrankungen.

Mit Informationen gegenStigmatisierung vorgehen

Auf Instagram teilt Jennifer Wrona seit 2017 Ausschnitte aus ihrem Leben, um mit Informationen gegen die Stigmatisierung vorzugehen und für andere Borderline-Erkrankte eine Identifikationsfigur zu sein. Anderen soll es besser ergehen als ihr selbst: „Ich habe mich damals sehr einsam gefühlt. Wenn es irgendjemanden gegeben hätte, der mich informiert, ohne mir Angst zu machen, wäre es für mich leichter gewesen.“

Nach zwei Klinikaufenthalten und etlichen ambulante Therapiestunden hat sie ein Buch über ihre psychische Erkrankung geschrieben. Mit dem Ratgeber „Konfettiregen im Kopf“ möchte sie nicht nur die Borderline-Erkrankung, sondern allgemein das Thema psychische Gesundheit aus der Tabuzone holen. „Wir klären unsere Jugend über illegale Drogen auf. Aber wir klären sie beispielsweise nicht über die tödliche Gefahr einer Depression auf, obwohl rund jeder fünfte Deutsche in seinem Leben einmal an einer Depression erkrankt“, kritisiert die Autorin. „Eine Gesellschaft, in der psychische Erkrankungen respektiert und wahrgenommen werden, ist ein wichtiger Schritt für Betroffene und der richtige Weg zu mehr Inklusion und Akzeptanz.“

Sie selbst habe ihr Leben inzwischen im Griff und könne es wieder genießen - auch wenn sie die Krankheit womöglich nie völlig hinter sich lassen wird.

„Es hieß: Jetzt bist du für immer und ewig krank und dir wird es für immer schlecht gehen.“

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