Stader Segel-Talent Julian Müller-Kauter kann den Wind lesen

Julian Müller-Kauter und sein Erfolgsboot auf dem Gelände des Segler-Vereins Stade. Fotos: Scholz
Julian Müller-Kauter (15) segelt in der deutschen Spitze. Das Talent vom Segler-Verein Stade ist Deutscher Meister, Landesmeister und führt die deutsche Rangliste an. Jetzt wechselt Müller-Kauter die Bootsklasse. Wird er auch da erfolgreich sein?
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Julian Müller-Kauter hat eine besondere Gabe: „Er kann den Wind wirklich fühlen. Er merkt, wo Böen entstehen“, sagt Landestrainer Siebo Willms. Nach einer Wende mit dem Boot zum Beispiel ist Müller-Kauter wieder sehr schnell „am Wind“ und nimmt Tempo auf. Woher diese Fähigkeit kommt, kann er selber nicht sagen, „ich segle halt viel nach Gefühl“, sagt Müller-Kauter. Sein Trainer vermutet: taktile Wahrnehmung. Das, gepaart mit seinem technischen und taktischen Verständnis sowie seinem Mut, auf dem Wasser auch mal unkonventionelle Entscheidungen zu treffen, hat ihn jedenfalls schon weit gebracht.
Im vergangenen Jahr holte Müller-Kauter zusammen mit Amelie Grave vom Segelverein Emsland die Deutsche Meisterschaft, die niedersächsische Landesmeisterschaft sowie die Weser-Ems-Meisterschaft in der Bootsklasse Teeny. Weil die beiden viele Regatten gewonnen haben, stehen sie auf dem ersten Platz der deutschen Rangliste. Manche Zeitungsartikel über seine Erfolge hätten bereits vor dem Sekretariat seiner Schule gehangen, sagt Müller-Kauter, Neuntklässler am Stader Athenaeum. Vor rund einer Woche ehrte ihn dann die Stadt Stade für seine Erfolge. Ein Mitschüler postete den Artikel in einer WhatsApp-Gruppe.
Mitte dieser Woche steht Müller-Kauter vor der „nimm2“, seinem Erfolgsboot vom Segler-Verein Stade. Etwas mehr als drei Meter lang, rund 50 Kilo schwer, mit einer Segelfläche von zehn Quadratmetern. Die Boote der Teeny-Klasse eignen sich besonders gut, um das Segeln im Team zu lernen. Auf der „nimm2“ sind die Rollen so verteilt, dass Müller-Kauter das Boot steuert und Vorschoterin Amelie Grave die vorderen Segel bedient. „Das funktioniert sehr gut“, sagt er.
Im urigen Vereinshaus erzählt Müller-Kauter, dass er schon früh mit dem Segeln in Berührung kam. Mit seinen Eltern verbrachte er den Sommerurlaub auf dem eigenen Boot, meist auf der Ostsee. Mit fünf Jahren fing er im WSC Lühe selber an. 2017 fuhr er zum ersten Mal eine Regatta gemeinsam mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Fabius, 2019 wurden sie deutsche Vizemeister. „Durch ihn habe ich das Segeln richtig verstanden“, sagt Müller-Kauter.
Zeit und Geld – Segeln ist ein aufwendiger Sport
Neben dem Talent und der Leidenschaft zahlte sich vor allem die viele Zeit auf dem Wasser aus. „Dadurch stellt sich ein Gefühl für das Boot ein“, sagt Müller-Kauter. Während einer Regatta zum Beispiel zieht er ohne hinzusehen an einer Leine (Spifall) und hisst damit das große Segel (Spinnaker). Die Handgriffe sitzen. Müller-Kauter kann sich so besser auf das Steuern und den Gegner konzentrieren.
In der Regel verbringt Müller-Kauter zwei Wochenenden im Monat mit Regatten oder Trainingseinheiten auf dem Wasser. Meistens begleiten ihn seine Eltern, beide Zahnärzte mit eigener Praxis im Alten Land. Finanzielle Förderung gibt es kaum. „Das meiste müssen wir selber zahlen“, sagt Müller-Kauter. So geht es vielen Athletinnen und Athleten im Segelsport. „Viele Talente scheitern am nötigen Kleingeld“, sagt Landestrainer Willms.
Segeln ist ein aufwendiger Sport. Und dennoch gibt es verhältnismäßig viele Regattasegler im Nordwesten Niedersachsens: Der Regionalverband Weser-Ems zählt 100 Aktive. Die größten Talente bekommen Regatta-Training auf dem Steinhuder Meer oder dem Zwischenahner Meer oder dem Speicherbecken Geeste, sie haben einmal in der Woche theoretischen Online-Unterricht, bereiten sich gemeinsam in einem Trainingslager auf den Ostfriesischen Inseln auf die Saison vor. „Unser Verband erstreckt sich über eine große Fläche. Wir versuchen, die Segler regelmäßig zusammenzuziehen“, sagt Willms, der auch im Regionalverband Weser-Ems als Trainer tätig ist.
Die neue Saison beginnt für Julian Müller-Kauter in einer Woche mit einer Regatta auf dem Baldeneysee in Nordrhein-Westfalen. Altersbedingt startet er nun zusammen mit Amelie Grave in der 420er-Klasse – mit einem Boot namens „Dumm keeken“. Für diese Boote ist etwas mehr Segelerfahrung nötig: 4,20 Meter lang, etwa 80 Kilo schwer. Auch die Segelfläche ist größer als beim Teeny. Die Crew sollte idealerweise 120 Kilo wiegen. Müller-Kauter – 1,50 Meter groß, 40 Kilo schwer – möchte noch zehn Kilo zulegen. Das ist sein Ziel.
Müller-Kauter schraubt Ambitionen erstmal herunter
Das Gespann will in diesem Jahr unter anderem bei der Kieler Woche, der Deutschen Meisterschaft und bei der Qualifikation zur Welt- und Europameisterschaft starten. „Wir werden vermutlich hinterhersegeln, aber das ist nicht schlimm“, sagt er. Anders als zum Beispiel im Fußball ist der Segelsport nicht in Ligen unterteilt. Dadurch treffen bei Regatten auch schon mal Olympiasieger oder Weltmeister auf Segler, die ab und zu an Vereinsregatten teilnehmen. „Ich hoffe, dass wir viel mitnehmen können“, sagt Müller-Kauter.
Landestrainer Willms sagt, dass Müller-Kauter gut mit Niederlagen umgehen kann. „Das ist eine seiner größten Stärken. Er behält den Kopf oben, ist ein absoluter Kämpfer.“ Willms rechnet damit, dass Müller-Kauter und Grave im kommenden Jahr durchstarten. Daran hat der Landestrainer keinen Zweifel. Immerhin hat Julian Müller-Kauter seinen älteren Bruder bei einzelnen Wettfahrten mit dem 420er-Boot bereits in seinen Schatten gestellt.

Vater Ulrich Müller-Kauter und Bruder Fabius sind ebenfalls leidenschaftliche Segler .

Julian Müller-Kauter und sein Erfolgsboot „nimm2“ auf dem Gelände des Segler-Vereins Stade. Fotos: Scholz