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Orkan „Zeynep“

Sturmbilanz im Norden: Auf Wangerooge sind 90 Prozent des Strandes weggespült

Ein Fußgängerübergang wird während des Orkantiefs "Zeynep" von den Wellen der Nordsee umspült. Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Ein Fußgängerübergang wird während des Orkantiefs "Zeynep" von den Wellen der Nordsee umspült. Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Das Sturmtief „Zeynep“ ist in der Nacht mit heftigen Orkanböen über den Norden gefegt und hat dabei zahlreiche Schäden verursacht. Zusätzlich erlebte die Nordseeküste eine schwere Sturmflut.

Samstag, 19.02.2022, 16:23 Uhr

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Das Orkantief „Zeynep“ hat sich in Niedersachsen und Bremen mit aller Macht ausgetobt – und mindestens einen Menschen das Leben gekostet. Auch Verletzte gab es. In der Gemeinde Wurster Nordseeküste im Landkreis Cuxhaven stürzte ein 68-Jähriger während des Sturms vom Dach und starb. Der Mann habe in der Nacht zum Sonnabend versucht, das beschädigte Dach eines Stalls zu reparieren, teilte die Polizei mit. Dabei brach er durch das Dach und stürzte etwa zehn Meter in die Tiefe. 

Der Spitzenwert bei den Windgeschwindigkeiten wurde in der Deutschen Bucht vor der Wesermündung gemessen: Am Nordsee-Leuchtturm „Alte Weser“ erreichte die Windgeschwindigkeit rund 162 Kilometer pro Stunde, wie der Deutsche Wetterdienst mitteilte. Am Flugplatz Nordholz bei Cuxhaven wurden in der Spitze rund 140 Stundenkilometer registriert. Auf der ostfriesischen Insel Spiekeroog blies der Orkan mit rund 135 Kilometern in der Stunde. Auf den Gipfeln der Mittelgebirge wurden ebenfalls hohe Geschwindigkeiten gemessen - der 1141 Meter hohe Brocken im Harz meldete rund 146 Stundenkilometer.

Schwere Sturmfluten an der Nordseeküste

An vielen Pegeln an der niedersächsischen Nordseeküste überschritten die Wasserstände die Schwelle zur schweren Sturmflut. Vor allem an den Flussmündungen sei diese Grenze überschritten worden, sagte der Sprecher des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), Carsten Lippe. Wegen der erhöhten Wasserstände vor allem in den Flusstrichtern seien alle Sperrwerke zwischenzeitlich geschlossen worden – auch das große Emssperrwerk bei Gandersum.

Statistisch gesehen komme es alle zwei Jahre zu schweren Sturmfluten, sagte Lippe. Der Februar sei ein „typischer Sturmflutmonat“. In Cuxhaven an der Elbemündung sei ein Wasserstand von 2,82 Meter über dem mittleren Tidehochwasser gemeldet worden, die Grenze zur schweren Sturmflut liege bei 2,28 Metern. In Emden wurde ein Stand von 2,41 Meter gemessen worden, das sei auch exakt die Grenze zur schweren Sturmflut. Auf der Insel Norderney lag der Wasserstand bei 2,19 über dem mittleren Tidehochwasser, die Grenze zur schweren Sturmflut sei bei 1,95 Metern.

90 Prozent des Badestrandes weggespült

Die Nordseeinsel Wangerooge büßte etwa 90 Prozent ihres Badestrandes ein. „Auf einer Länge von einem Kilometer gibt es kaum noch Sand“, sagte Inselbürgermeister Marcel Fangohr. Dennoch sei der Sturm glimpflich ausgegangen: „Wir haben Glück gehabt.“

Der Wasserstand habe zwar zwei Meter über dem normalen Stand gelegen, das sei aber weit von den Höchstständen entfernt. 2013 habe der Wasserstand bei 9,17 Metern gelegen. Auch auf der ostfriesischen Insel Langeoog wurde der Strand beschädigt. „In Teilen ist gar kein Strand mehr da, die Abbruchkante geht bis zu den Dünen“, sagte Inselbürgermeisterin Heike Horn.

Polizei und Feuerwehr im Dauereinsatz

Fast überall im Land meldeten Polizei und Feuerwehr hohe Einsatzzahlen vor allem wegen umgestürzter Bäume. Besonders stark beschäftigte der Sturm aber die Einsatzkräfte im ostfriesischen Landkreis Aurich: Bis Sonnabendmorgen um 6 Uhr wurden die Feuerwehren dort zu mehr als 520 Einsätzen gerufen, bis zum Mittag waren es etwa 800 – „das ist historisch“, sagte ein Sprecher. Umstürzende Bäume beschädigten die Oberleitung der Bahn in Norden, auch Überland-Telefonleitungen waren betroffen. 

Ein Ärgernis für die Feuerwehr in Aurich: sogenannte „Einsatzstellentouristik“ – und das trotz der Warnung, sich nicht unnötig im Freien aufzuhalten. Die Bundesstraße 72 habe wegen umgestürzter und stürzender Bäume gesperrt werden müssen, ein Autofahrer habe aber trotzdem durchfahren wollen - um sich Einsätze der Feuerwehren anzusehen.

Erstmals seit neun Jahren schwere Sturmflut in Hamburg

Auch in Hamburg und Schleswig-Holstein hat das Orkantief zahlreiche Schäden verursacht, aber keine Schwerverletzten oder gar Tote gefordert. Hamburg erlebte sogar erstmals seit 2013 wieder eine sehr schwere Sturmflut mit mehr als 3,5 Metern über dem mittleren Hochwasser.

Nach Angaben das Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie erreichte die Elbe am Pegel St. Pauli gegen 5.30 Uhr 3,75 Meter über dem mittleren Hochwasser. Dadurch wurden nicht wie üblich nur der Fischmarkt, sondern auch die Große Elbstraße sowie Teile der Hafencity überflutet.

In der ebenfalls unter Wasser stehenden Speicherstadt musste die Feuerwehr am frühen Sonnabendmorgen zwei Männer retten, die mit ihrem Auto eingeschlossen waren. Sie seien stark unterkühlt gewesen und wurden vorsorglich in ein Krankenhaus gebracht. Für den frühen Abend warnte der Deutsche Wetterdienst (DWD) vor einer weiteren Sturmflut mit etwa zwei Metern über dem mittleren Hochwasser.

Nach der schweren Sturmflut wurden die Deiche und Schutzbauwerke an Nordsee und Elbe soweit möglich bereits auf Schäden untersucht. Es sehe auf den ersten Blick ganz gut aus, sagte der stellvertretende Direktor des Landesbetriebs für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz, Michael Kruse, am Morgen danach zur Situation an den schleswig-holsteinischen Elbdeichen. Zu möglichen Sandverlusten auf den Inseln könne er noch nichts sagen. „Wir nehmen derzeit die Schäden auf.“

Hallig-Bürgermeisterin: „Es war sehr beeindruckend“ 

Auf der Hallig Hooge berichtete Bürgermeisterin Katja Just von einer unruhigen Nacht. „Es war sehr beeindruckend, weil sehr viel Kraft im Wasser war. Es war eine richtige Brandung.“ Die vergleichsweise hohe Ockenswarft, auf der sie wohnt, sei etwa zur Hälfte im Wasser gewesen. Ab einem Pegelstand von 7,38 Metern laufe die Hallig voll, das Hochwasser habe 9,04 Meter erreicht.

Im Laufe des Abends hatte der Deutsche Wetterdienst in Kiel, Hamburg, auf Sylt und auf Helgoland Windstärken zwischen neun und elf gemessen, in Büsum wurde eine Orkanböe mit 143,3 Kilometer pro Stunde festgestellt. In Hamburg lagen die Windgeschwindigkeiten nach DWD-Angaben um 100 Kilometer pro Stunde.

Warnungen des Wetterdienstes verhindern Schlimmeres

Entsprechend meldeten die Feuerwehren und Polizei im Norden Tausende Einsätze. Die Regionalleitstelle West in Elmshorn hatte am Freitagabend getwittert, das Telefon klingele alle zwei Minuten. Nach NDR-Angaben zählten die Leitstellen allein in Schleswig-Holstein mehr als 2800 Einsätze.

Die Hamburger Feuerwehr berichtete am Morgen von 654 Sturmeinsätzen. Im ganzen Norden blieb es zumeist bei Sachschäden, umgestürzten Bäumen, umherfliegenden Gegenständen und beschädigten Gebäuden. Erst in der Nacht zu Donnerstag hatte Sturmtief „Ylenia“ zu Hunderten Einsätzen von Feuerwehren und Rettungsdiensten geführt.

Generell hatten die Warnungen des Deutschen Wetterdienstes, der Feuerwehren und der Polizei offensichtlich gewirkt. Weder in Schleswig-Holstein noch in Hamburg wurde bis zum Vormittag von Schwerverletzten oder gar Toten berichtet. Der DWD hatte zuvor die Menschen aufgefordert, Türen und Fenster geschlossen zu halten, sich möglichst nicht draußen aufzuhalten und sich von Bäumen, Gerüsten und Hochspannungsleitungen fernzuhalten. (lno/lni)

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