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Fischerei

Tintenfische auf Expansionskurs: Kalmare zieht es in die Nordsee

Der Oktopus „Kleiner Paul“ gehört laut Wikipedia zu den Gewöhnlichen Kraken oder Gemeinen Kraken (Octopus vulgaris) und ist ein Kopffüßer aus der Ordnung der Kraken. Foto: Weihrauch/dpa

Der Oktopus „Kleiner Paul“ gehört laut Wikipedia zu den Gewöhnlichen Kraken oder Gemeinen Kraken (Octopus vulgaris) und ist ein Kopffüßer aus der Ordnung der Kraken. Foto: Weihrauch/dpa

Die Nordsee wird wärmer. Das zieht Tierarten nach sich, die sonst weiter im Süden vermutet werden, Tintenfische zum Beispiel. Kann sich daraus eine Fischerei entwickeln? Französische, englische und schottische Fischer haben sie längst entdeckt.

Mittwoch, 27.09.2023, 12:00 Uhr

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Von Ursel Kikker

Wo soll er anfangen? Tintenfische sind halt faszinierende Tiere, vor allem wegen ihrer beeindruckenden Sinnesleistungen. Dr. Daniel Oesterwind hat sich früh in diese Meeresbewohner verliebt. Zudem hatte er eine Biologie-Lehrerin, die im Unterricht mit ihren Schülern in die Tiefsee „reiste“. Oesterwind stand schnell fest: Er möchte sich nach dem Abi mit genau diesen Meeresbewohnern beschäftigen.

Heute arbeitet er am Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock und befasst sich unter anderem mit Tintenfischarten, die in der Nordsee einwandern und allmählich auch in die westliche Ostsee. „Ihre Biomasse hat stark zugenommen“, sagt Oesterwind, „sie sind jetzt in der Lage, sich in der Nordsee zu vermehren und eine Population aufzubauen.“

Nordsee-Fischer spezialisieren sich auf Tintenfisch

Dauerhaft leben zum Beispiel Langflossenkalmare wie Loligo forbesii inzwischen in der Nordsee. Auch Kurzflossenkalmare wie Illex coindetii (rechts) weiten ihre Vorkommen aus. Vor 100 Jahren waren die schnellen, pfeilförmigen Tiere allenfalls als Irrgäste für die Nordsee beschrieben. „Heute ist zum Beispiel Illex relativ stark in der nördlichen Nordsee verbreitet“, sagt Dr. Anne Sell vom Thünen-Institut für Seefischerei in Bremerhaven.

„Im englischen Kanal hat sich bereits eine gezielte Fischerei auf Tintenfische entwickelt, vor allem auf den Gewöhnlichen Tintenfisch, auf Sepia officinalies“, sagt Oesterwind. Die Fischer sprechen schon vom new black gold, vom neuen schwarzen Gold. Schottische Fischer fangen ebenfalls gezielt Tintenfische. Im jüngsten Thünen-Heft „Wissenschaft erleben“ zeigen Orsterwind und seine Kollegin Sell, dass sich die Tintenfisch-Anlandungen in der Nordsee in den letzten 40 Jahren etwa verdreifacht haben. Sie erreichen mittlerweile bis zu 3000 Tonnen jährlich.

Allerdings zackelt die Anlandungskurve stark hin und her, doch im Trend zeigt sie nach oben. „2022 werden es mehr als 4.000 Tonnen gewesen sein“, berichtet Oesterwind. In Deutschland ordern erste Köche aus eher hochpreisigen Restaurants Tintenfische für ihre Küche. Calamari werden gebraten, gegrillt oder als Sushi serviert und im Salat verarbeitet. Die Nachfrage steigt.

Spitzenrestaurants ordern Nordsee-Oktopus

Doch eine gezielte Fischerei auf diese Tiere ist in Deutschland noch nicht etabliert, sagen die Fischereibiologen. Dass Tintenfische in der Nordsee mehr werden, haben Fischer schon vor sieben oder acht Jahren beobachtet. „Aber sie sind noch kein Thema für uns“, sagt Kai-Arne Schmidt, Geschäftsführer in der Kutterfisch-Zentrale in Cuxhaven. Dafür sind es noch zu wenige. Kalmare werden nur als Beifang von den Fischern mitgebracht. Bei 50 bis 60 Tonnen Gesamtfang betrage der Anteil der Tintenfische gerade mal 50 bis 60 Kilo, gibt Schmidt eine Mengenvorstellung.

Doch wie wird sich die Wohngemeinschaft in der Nordsee weiterentwickeln, wenn die Wassertemperatur weiter steigt? Die ausbreitungsfreudigen Tintenfische sind Räuber. Oesterwind und seine Kollegen untersuchen den Mageninhalt der Fleischfresser. Sie haben nicht nur Reste von anderen Tintenfischen gefunden. Größere Exemplare haben auch kommerziell genutzte Fische wie Kabeljau, Wittling, Hering und Sprotte gefressen.

Leicht machen sie es den Forschern nicht. Weil die Tintenfische mit ihren starken Schnäbeln ihre Beute ordentlich zerkleinern, müssen Oesterwind und seine Kollegen den Mageninhalt zusätzlich auf DNA-Spuren untersuchen, um herauszufinden, was die Tiere verspeist haben. Unter dem Mikroskop zu sehen sind sonst nur harte Strukturen Tintenfisch-Kiefer oder Fischwirbel und -gehörknöchelchen.

Ökologische Folgen für Nordsee noch nicht bekannt

Wahrscheinlich hängt das Ausschwärmen der Tintenfische in die Nordsee auch damit zusammen, dass der Bestand an Raubfischen in der Nordsee zurückgegangen ist: entweder weil es den Fischen zu warm wird und sie weiter nach Norden ziehen wie der Kabeljau oder weil der Fischereidruck einfach groß ist. Das schafft Platz für die Kopffüßer.

Die Thünen-Forscher stehen deshalb vor zwei Fragen: Welche ökologischen Folgen hat die Einwanderung neuer Tintenfisch-Arten? Welche Rolle nehmen Langflossen- und Kurzflossenkalmare im Nahrungsnetz der Nordsee ein? Wenn doch die Tintenfisch-Jagd zurzeit unkontrolliert läuft: Wie muss ein nachhaltiges Fischerei-Management für diese Tiergruppe aussehen?

Sell ist regelmäßig mit dem Forschungsschiff draußen und untersucht an definierten Stationen den Fischbestand in der Nordsee. Das Thünen-Institut für Seefischerei ist in mehrere internationale Bestandserhebungen eingebunden. „Ich rechne damit, dass die Ressource Tintenfisch in Zukunft größer werden wird“, sagt sie. Da Tintenfische selbst beliebte Beutetiere sind, könnten sie wiederum andere Einwanderer nach sich ziehen. Doch der Fisch, der zurzeit am häufigsten als Nordsee-Neuling beobachtet wird, ist die Meerbarbe. Auch Taschenkrebse und Hummer nehmen zu. Vielleicht wächst da ein neues Fischereithema heran. Aber das ist eine andere Geschichte.

Kalmare

Mehr als 250 Arten der Kalmare sind bekannt. Diese Weichtiere haben zwei lange Tentakeln zum Futterfang, dazu acht kürzere Arme und einen stromlinienförmigen Körper, der an das schnelle Schwimmen im offenen Meer angepasst ist. Kalmare sind sehr schnell. Sie schwimmen, indem sie Wasser einsaugen und dann wieder ausstoßen. Das ausgestoßene Wasser katapultiert sie nach vorne.

Kalmare sind Kopffüßer. Sie sind mit Kraken und Sepien (Echten Tintenfischen) verwandt. Sie fressen Fische, Muscheln und Krebse. Bei Gefahr können sie aus ihrem Tintenbeutel eine Wolke einer tintenähnlichen Substanz ausstoßen. Kalmare sind beliebte Meeresfrüchte, besonders in Ostasien und im Mittelmeerraum.

 

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