Von Zug erfasst: Bundespolizei ermittelt gegen Zwillingsschwester

Eine junge Frau starb, eine zweite konnte per Not-OP gerettet werden. Foto: Neff/NEWS & ART Media Company GmbH/dpa
Nach dem tragischen Tod einer der Zwillingsschwestern in Hamburg-Allermöhe gibt die Bundespolizei weitere Details bekannt. Eine Social-Media-Professorin beklagt „Challenges“ unter Jugendlichen.
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Die Bundespolizei ist nach dem tödlichen Zugunfall mit zwei 18-jährigen Zwillingsschwestern in Hamburg-Allermöhe weiter auf der Suche nach den Hintergründen. Bislang hätten sich noch keine Zeugen gemeldet, sagte ein Sprecher der Bundespolizei am Donnerstag.
Wie das "Hamburger Abendblatt" berichtet, sei von der Bundespolizei gegen die überlebende Schwester ein Verfahren wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr eingeleitet worden. Die 18-Jährige war ebenfalls von dem Zug erfasst worden. Sie liegt schwer verletzt in weiter kritischem Zustand im Krankenhaus.
Die Teenager waren am Dienstagabend etwa 250 Meter vom Bahnhof Allermöhe entfernt von einem Regionalzug erfasst worden. Bei dem Unfall war eine der beiden jungen Frauen ums Leben gekommen. Sie habe deshalb zu dem Vorfall auch nicht verhört werden können. „Daher gehen unsere Ermittlungen unverändert in alle Richtungen.“
Wegen Videodreh? Zwillingsschwestern in Hamburg von Zug erfasst
Im Raum steht unter anderem auch die Version, dass die Mädchen auf den Bahngleisen ein Video für ein soziales Netzwerk aufnehmen wollten. „Unsere Ermittlungen haben zum jetzigen Stand ergeben, dass die beiden Frauen auf TikTok aktiv waren“, sagte der Sprecher dazu. Ob die beiden zur Zeit des Unfalls auch filmten, war zunächst weiter unklar. Das bleibe Gegenstand der Ermittlungen.
Aufnahmen von Überwachungskameras mit Blick auf die Bahnstrecke gibt es nicht, da der Bereich nicht videoüberwacht ist.

Die Bundespolizei warnt vor illegalen Foto- und Videoaufnahmen am Bahnsteig. Foto: dpa-Bildfunk
Die Schwestern waren der Bundespolizei und der Landespolizei bereits wegen „niedrigschwelliger Delikte“ bekannt, hieß es - auch wegen unerlaubten Aufenthalts auf Gleisen. Man habe in Kontakt mit den Eltern gestanden. Welche Vorfälle es genau in der Vergangenheit gab, werde derzeit ermittelt.
Social-Media-Challenges unter Jugendlichen nehmen zu
„Die Challenges über TikTok sind sehr stark verbreitet“, sagte Hanna Klimpe, Social-Media-Professorin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW), dem "Hamburger Abendblatt": „TikTok verspricht schon Account-Startern eine große Popularität, was durch viele Hashtags forciert wird. Die Jugendlichen haben sich wahrscheinlich schon Hunderte Clips zuvor angeschaut und wollen noch extremer sein als ihre Vorgänger“, so die Expertin. „Da es offensichtlich schon viele Videos gegeben hat, bei denen das funktioniert hat, wird die reale Gefahr einfach ausgeblendet.“
Eine neue Form von Mutproben sind die sogenannten Challenges, die im Internet stattfinden. Zuletzt hatte es Wettbewerbe gegeben, bei denen sich Jugendliche bis kurz vor der Ohnmacht gewürgt und gefilmt hatten. Dazu gehört zum Beispiel auch, in einer bestimmten Zeitspanne so und so viel abgenommen zu haben. Oder „Roofing“: Das ungesicherte Klettern und Posen auf Hochhäusern und Baustellen. Der Übergang zwischen Challenge und Mutprobe ist dabei fließend.
Die Mutproben haben in der Regel ein Ziel: Mit dem Handy aufgenommen, dann im Internet verbreitet zu werden und dadurch entsprechende Aufmerksamkeit und Klicks zu bekommen.
Lebensbedrohliche Inhalte: EU-Kommission droht Tiktok mit Verbot
Die Mutproben sind noch weniger kontrollierbar durch Social Media. "Wenn man früher eine Mutprobe gemacht hat, dann hatte man mit realen Menschen zu tun. Die Gruppe hat dann wahrscheinlich auch geholfen, wenn etwas schief gegangen ist", sagte der Hamburger Diplom-Psychologen Michael Thiel.
TikTok selbst untersagt es in seinen AGB, Inhalte zu posten, „in denen Suizid oder Selbstverletzung beworben, gefördert, als normal verharmlost oder verherrlicht werden“. Die Plattform will laut eigenen Angaben allein im vierten Quartal 2021 weltweit über 85 Millionen Videos gelöscht haben.
Die EU-Kommission hat TikTok erst am Donnerstag weitreichende Sanktionen angedroht, sollte sich sein Unternehmen in Zukunft nicht an europäische Regeln halten. Es sei nicht hinnehmbar, dass Nutzer über scheinbar lustige und harmlose Features innerhalb von wenigen Sekunden zu gefährlichen und manchmal sogar lebensbedrohlichen Inhalten gelangten, ließ EU-Kommissar Thierry Breton mitteilen. Er sei auch besorgt über Vorwürfe, dass Journalisten ausspioniert würden und personenbezogene Daten an Orte außerhalb Europas übermittelt würden.
„Ich habe TikTok CEO Shou Zi Chew sehr deutlich signalisiert, dass es notwendig ist, sich verstärkt um die Einhaltung der EU-Rechtsvorschriften zu Datenschutz, Urheberrechten und Online-Plattformen zu kümmern“, teilte Breton mit. Das gelte insbesondere für das neue EU-Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA), das für große Plattformen ab dem 1. September dieses Jahres anwendbar ist. „Wir werden nicht zögern, alle möglichen Sanktionen zu beschließen, wenn Prüfungen nicht die volle Einhaltung erkennen lassen“, ergänzte er. Das neue EU-Gesetz ermögliche bei wiederholten schweren Verstößen, die das Leben oder die Sicherheit von Menschen gefährdeten, auch ein Verbot von Diensten in der EU.
Bundespolizei warnt: „Gleise sind kein Fotostudio!“
Der Sprecher der Bundespolizei warnte in diesem Zusammenhang erneut davor, Bahnanlagen zu betreten. „Der Aufenthalt im Gleisbereich ist verboten und lebensgefährlich“, sagte er dazu. Unfälle könnten lebensgefährliche oder auch tödliche Verletzungen zur Folge haben. Die Bundespolizei warnte zudem davor, Gleise als Fotomotiv zu verwenden. Ein solches Verhalten sei leichtsinnig und könne zu tragischen Unfällen führen. „Gleise sind kein Fotostudio!“
Zudem handelt ordnungswidrig, wer Gleise unbefugt überschreitet oder sich unbefugt innerhalb der Gleise aufhält. (dpa/tip)