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Tierschutz

Warum die Schweinswale die Nordsee verlassen

Ein kurz auftauchender Schweinswal ist in Strandnähe vor Westerland auf der Nordseeinsel Sylt zu sehen (Symbolbild). Foto: Kay Nietfeld/dpa

Ein kurz auftauchender Schweinswal ist in Strandnähe vor Westerland auf der Nordseeinsel Sylt zu sehen (Symbolbild). Foto: Kay Nietfeld/dpa

Das "Whale Watching" etwa in der Bucht vor Wilhelmshaven zieht viele Schaulustige an die Nordseeküste. Doch den Schweinswalen geht es nicht gut, viele verlassen die heimischen Gewässer, wie Experten feststellen. Das sind die Gründe.

Sonntag, 11.06.2023, 10:00 Uhr

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Er ist für einen Wal ziemlich klein und hat auf den ersten Blick auch eher Ähnlichkeit mit einem Delfin: Der Schweinswal mit seinem gedrungenen Körper ist alljährlich an der Nordseeküste zu sehen. Als eine der kleinsten Walarten der Welt kommen die Tiere jedes Jahr im Frühjahr auf der Suche nach Nahrung in die Nähe der Küste und in den Jadebusen vor Wilhelmshaven. Ebenso regelmäßig bietet die Feddwerwardersieler Nationalpark-Rangerin Annelie Hedden dann auch „Whale Watching“ auf dem Leutfeuer in Eckwarderhörne an. Mehr als 350 Besucher kamen dieses Jahr.

Wie steht es um die heimische Walart?

Schweinswale sind im vergangenen Jahr immer wieder im Zusammenhang mit den großen Infrastrukturprojekten an der Küste ins Feld geführt worden. Der Bau des ersten LNG-Terminals, die fortlaufende Verlegung von Leitungen durch das Wattenmeer – all das störe die Tiere, kritisieren Umwelt- und Artenschützer. Doch stimmt das?

Antworten liefert eine Nachfrage der Ostfriesen-Zeitung bei Dr. Dominik Nachtsheim vom Institut für terrestrische und aquatische Wildtierforschung in Büsum. Dort ist man auf Meeressäuger spezialisiert, auf Seehunde und Kegelrobben. Und natürlich auf Schweinswale.

Schweinswale sind Anzeiger für Meereszustand

„Wenn es dem Schweinswal gut geht, dann geht es auch dem Meer gut“, sagt Dominik Nachtsheim. Die Wissenschaftler betrachten Schweinswale als eine sogenannte Indikatorenart. Heißt: Sie sind so etwas wie ein Anzeiger für den Zustand des Meeres und seiner Ökosysteme. Ähnlich wie die Seehunde und Kegelrobben übrigens, also andere große Tierarten, die am Ende einer Nahrungskette stehen.

Gibt es auf den niedrigeren Ebenen, bei kleinen Fischen oder Plankton, ein Problem, ist das für den Menschen nicht so leicht zu erkennen. Wenn aber die großen Tiere am Ende dieser Nahrungskette Probleme bekommen, ist das gut zu beobachten.

 

Dr. Dominik Nachtsheim gehört zu einem Team von Wissenschaftlern, die bei Erkundungsflügen über Nord- und Ostsee den Bestand an Schweinswalen erfassen. Foto: Nachtsheim

Dr. Dominik Nachtsheim gehört zu einem Team von Wissenschaftlern, die bei Erkundungsflügen über Nord- und Ostsee den Bestand an Schweinswalen erfassen. Foto: Nachtsheim

Schweinswale müssen eigentlich rund um die Uhr für Nahrung sorgen. Die Tiere haben einen hohen Energieumsatz und verlieren wegen ihrer Größe viel Wärme an die Umwelt. „Er muss kontinuierlich fressen, um seinen hohen Stoffwechsel am Laufen zu halten. Das macht ihn sehr anfällig für Störungen durch den Menschen“, sagt der Experte aus Büsum.

Die Wissenschaft hat die Population der Tiere deswegen seit gut 20 Jahren im Blick. Das Institut für terrestrische und aquatische Wildtierforschung unternimmt im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz jedes Jahr Flüge über Nord- und Ostsee, um die Bestände zu zählen. Dafür haben die Experten eine Methode entwickelt, die auf tatsächlichen Sichtungen und Hochrechnungen beruht, um daraus einen annähernden Schätzwert zu ermitteln. Dominik Nachtsheim gehört seit einigen Jahren zu diesem Flugteam.

Population vor der Küste ist rückläufig

Auf Basis der letzten Schätzung leben aktuell etwa 28.000 Schweinswale in der deutschen Nordsee. Tendenz fallend. „Im Laufe des Monitorings haben wir festgestellt, dass es einen Rückgang in der Schweinswalpopulation vor unserer Küste gibt“, sagt Dominik Nachtsheim. Grob gesagt liegt der Rückgang bei etwa zwei Prozent pro Jahr. Warum das so ist? „Wir wissen, dass die Nordsee sehr intensiv genutzt wird, und die Nutzungen steigen immer weiter an“, sagt der Wissenschaftler und nennt Beispiele: der Bau von Offshore-Windanlagen, Schiffverkehr, allgemeine Meeresverschmutzung.

Dazu muss man wissen, dass der Schweinswal Unterwasserschall nutzt, um sich zu orientieren und zu kommunizieren. Und natürlich, um seine Beute auf diesem Wege im trüben Nordseewasser zu lokalisieren. Die Tiere sind darauf angewiesen, dass die Schallwellen, die sie aussenden, auch wieder zurückkommen, um ihnen Informationen zu entnehmen.

Das Problem: Durch die menschliche Nutzung werde sehr viel menschengemachter Schall eingetragen, so Dominik Nachtsheim - durch Schiffe und auch beim Bau von Offshore-Windparks. Die Tiere könnten sich dann nicht mehr so gut orientieren unter Wasser und vor allem nicht mehr effizient jagen.

Ein Schweinswal schwimmt in der Nordsee vor Sylt. Foto: Wolfgang Runge/dpa

Ein Schweinswal schwimmt in der Nordsee vor Sylt. Foto: Wolfgang Runge/dpa

Für jemanden, der darauf angewiesen ist, viel und regelmäßig zu fressen, kann das kritisch werden. „Es kann schon eine Auswirkung haben, wenn ihm nur wenige Fische entgehen, vor allem wenn das häufiger am Tag passiert“, sagt Dominik Nachtsheim. Auf Dauer fehle dann eben eine Menge Nahrung.

Wird es bald keine Schweinswale mehr in der Nordsee geben?

„Ganz verschwinden werden die Bestände nicht“, glaubt der Wissenschaftler. Obwohl die Beeinträchtigungen absehbar steigen. Deutschland, ebenso wie andere Nordseeanrainer, wollen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten deutlich mehr Windparks in die Nordsee bauen, um ihren Energiebedarf mehr und mehr durch Windkraft zu bedienen. „Das Hauptproblem für den Schweinswal sind die Bauarbeiten mit dem begleitenden Schall“, sagt Dominik Nachtsheim dazu. Die Tiere würden dadurch vertrieben. Doch wohin, wenn überall gebaut wird?

Möglicherweise in andere Küstenregionen, die weniger stark genutzt werden. Die europäischen Bestände des Schweinswals, sagt Dominik Nachtsheim auch, seien bei der letzten Zählung 2016 einigermaßen stabil gewesen.

Steckbrief des Schweinswals

Der Schweinswal gehört zu den kleinsten Walarten überhaupt und ist im Wattenmeer heimisch. Manchmal ist er auch in Flüssen zu beobachten, wenn er Fischschwärmen folgt. Das Tier wird bis zu 1,80 Meter lang und ist „sehr unscheinbar, wenn er auftaucht“, sagt Dominik Nachtsheim. Er hat keine große Lebenserwartung, maximal zehn Jahre. Schweinswale fressen Fische, sind dabei aber nicht auf eine Art festgelegt. Und sie werden selbst gefressen, von Kegelrobben etwa.

Der Schweinswal ist im Bundesnaturschutzgesetz als besonders geschützte Art festgelegt. Zusätzlich gilt ein europäischer Schutzstatus. In der deutschen Nordsee sind drei Schutzgebiete für Schweinswale ausgewiesen: das Sylter Außenriff, westlich vor Sylt; dann Borkum Riffgrund, ein Gebiet nördlich der Insel Borkum; und die Doggerbank, ein flaches Gebiet in der zentralen Nordsee.

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