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Analyse

Was die Niedersachsen-Wahl für die Ampel-Koalition in Berlin bedeutet

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD; Mitte) mit Robert Habeck (Grüne; rechts) und FDP-Chef Christian Lindner.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD; Mitte) mit Robert Habeck (Grüne; rechts) und FDP-Chef Christian Lindner.

Das Regieren wird nicht einfacher: Während SPD und Grüne im politischen Berlin zufrieden sind mit dem Ausgang der Landtagswahl in Niedersachsen, zahlt die FDP laut Chef Lindner einen hohen Preis. Hält die Ampel-Koalition?

Montag, 10.10.2022, 00:15 Uhr

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Von Kerstin Münstermann

Der Wahlabend in Hannover ist ein Test, ein Zwischenzeugnis nach einem knappen Jahr rot-grün-gelber Bundesregierung. Das war in den vergangenen Wochen Konsens unter den drei Parteien der Ampel-Koalition.

Im Berliner Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale der SPD, trat dann auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert entsprechend erleichtert vor die Kameras und wertet das Ergebnis der Landtagswahl in Niedersachsen als klaren Wahlsieg für seine Partei und Ministerpräsident Stephan Weil. Dieser habe aus eigener Stärke heraus ein tolles Ergebnis geholt. „Wenn man nicht selber stark ist, holt man nicht so ein Ergebnis in Krisenzeiten“, sagt Kühnert. Weil stehe aber auch für einen Politikstil: Er sei ein Ministerpräsident, der selbstbewusst für sein Bundesland, aber auch verantwortungsvoll fürs große Ganze agiere.

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Während die Sozialdemokraten im Bund in Meinungsumfragen derzeit eher schlecht dastehen, verteidigte die SPD trotz leichter Verluste ihren ersten Platz. Damit hat sich der Trend fortgesetzt, dass Landtagswahlen durch populäre Amtsinhaber entschieden werden. Weil hat nach dem Urnengang wahrscheinlich sogar die Wahl zwischen einer Fortsetzung der Koalition mit der CDU und einer Rückkehr zum Bündnis mit den Grünen, mit denen Weil bis 2017 gemeinsam regiert hat.

Kanzler Olaf Scholz gratuliert SPD-Wahlsieger Stephan Weil

Gab es Rückenwind aus Berlin? Interessant war, dass Weil in den vergangenen Wochen verstärkt abrückte von manch einer Position im Bund - und damit auch von SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz. Weil forderte als einer der Ersten in der SPD die Aufgabe der Schuldenbremse im Bund, die Scholz immer verteidigt hatte.

Der „Doppelwumms“, die Ankündigung einer Gaspreisbremse aus dem Kanzleramt, war dagegen sehr willkommen. Weil hatte intern Druck gemacht, dass etwas passieren müsse. Bis spätestens Mitte November werden Bund und Länder über die Finanzierung der Entlastungen der Bürger weiter beraten. Wahlsieger Weil wird für Scholz dann der Hauptverhandlungspartner sein. Er hat Anfang Oktober den Vorsitz in der Ministerpräsidentenkonferenz übernommen, der nun in der Hand des Sozialdemokraten bleiben dürfte. Das wiederum wird Scholz die weitere Krisenbewältigung erleichtern.

Die Grünen landen stabil auf Platz drei in Hannover und können wahrscheinlich auch die Regierung künftig mit bilden. Doch es hätte noch mehr drin sein können. Allerdings wirkte sich das Hin- und Her um die Gaspreisbremse und Wirtschaftsminister Robert Habeck, noch vor ein paar Monaten der Überflieger des Kabinetts, eher negativ aus. Dennoch: Für die Grünen in Berlin ist das auch ein Zeichen, dass das Abrücken von Positionen etwa in der Atomkraft nicht unbedingt mit einem Einbruch im eigenen Lager Hand in Hand geht.

Lindner: FDP zahlt Preis für Beteiligung an der Ampel

Die FDP geht als einzige klare Ampel-Verliererin aus der Wahl hervor. Die Liberalen müssen um den Wiedereinzug in den Landtag bangen, es gibt eine Zitterpartie um die 5-Prozent-Hürde. Seit dem Gang in die an der Parteibasis ungeliebte Ampel-Koalition im Bund fuhr die FDP bereits in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen herbe Verluste ein. Im Saarland blieb sie etwa auf dem Niveau von 2017, aber erneut unter der Fünf-Prozent-Hürde.

FDP-Chef Christian Lindner bezeichnet das schlechte Abschneiden seiner Partei bei der Landtagswahl in Niedersachsen als „Rückschlag“. Zu wenige Menschen hätten die Liberalen gewählt, was aus seiner Sicht auch auf ein „Mobilisierungsproblem“ hindeute, sagt Lindner enttäuscht. „Wir sind in einem Energiekrieg und einer Wirtschaftskrise“, erklärt er zur Frage der weiteren Positionierung der FDP in der Ampel-Koalition im Bund. Die Partei wisse um ihre „staatspolitische Verantwortung“ für das Land. FDP-Vize Wolfgang Kubicki erklärt schon mal vorausschauend, eine Diskussion über das Personal seiner Partei nach der Landtagswahl werde es nicht geben. Die Liberalen seien „ein geschlossenes Team“.

Doch sollte es auch in Niedersachsen nicht reichen, müssen SPD und Grüne im Bund damit rechnen, dass es in der Bundesregierung noch ungemütlicher wird als bisher: Um ihre Kernwählerschaft zu beruhigen, dürfte die FDP stärker versuchen, ihre Positionen durchzusetzen. Doch den Bruch der Koalition wird die FDP nicht vorm Zaun brechen. Dafür ist die staatspolitische Verantwortung in diesen Krisenzeiten zu hoch. Das ist Lindners feste Überzeugung - trotz allem. (mkr)

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