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Stadeum

Was diesen Bühnenklassiker so aktuell macht

Bei „Fräulein Julie“ zeigen die Schauspielgrößen Judith Rosmair und Dominique Horwitz ein Liebesspiel mit Sprengkraft. Foto: Daniel Devecioglu

Bei „Fräulein Julie“ zeigen die Schauspielgrößen Judith Rosmair und Dominique Horwitz ein Liebesspiel mit Sprengkraft. Foto: Daniel Devecioglu

Judith Rosmair gehört zu den gefeierten Schauspielerinnen in der deutschen Theaterlandschaft. Am Donnerstag ist sie als „Fräulein Julie“ im Stadeum zu sehen und beleuchtet die Frage, warum das Thema dieses Bühnenklassikers von August Strindberg noch immer aktuell ist.

Von Fenna Weselmann Mittwoch, 12.04.2023, 23:00 Uhr

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Liebe, Macht und Unterwerfung: In „Fräulein Julie“ geht es um ein explosives Liebesspiel, das mit der Beziehung zwischen Grafentochter Julie und Diener Jean die damaligen Standesgrenzen sprengt. Bei der Uraufführung von August Strindbergs 1888 entstandenen Theatertextes wurde das als Skandal empfunden. Das gehört heute der Vergangenheit an. Trotzdem hat dieses Pas de deux noch immer Sprengkraft und zählt inzwischen zu den meistgespielten Werken des schwedischen Schriftstellers.

Strindberg hat die Natur des Menschen durchdrungen

Der von Strindberg beschriebene Kampf zwischen Mann und Frau, der zu einem Kampf mit sich selbst führt, hat für Schauspielerin Judith Rosmair nicht an Aktualität verloren. „Strindberg hat auf sensationelle Weise die Natur des Menschen durchdrungen und gesehen, dass der Mensch einfach sehr widersprüchlich ist. Das finde ich wahnsinnig aktuell, weil wir uns ja gerade auch mit der Frage herumschlagen, was Identität eigentlich ist und wie sie entsteht“, sagt sie. Inzwischen werde davon ausgegangen, dass sie eben nicht angeboren, sondern durch soziale oder familiäre Umstände geprägt sei und so in gewisser Weise auch erschaffen oder erwählt werden könne.

Außerdem sieht Judith Rosmair durch den Text vieles berührt, was die immer noch nicht vollständig erreichte Gleichberechtigung betrifft: „Es passieren weiter viele Ungerechtigkeiten, so wie es auch heute noch Klassen gibt - nur eben wirtschaftliche Klassen, die ebenfalls extreme Abhängigkeiten produzieren.“

Figuren sind in Widersprüchen und Sehnsüchten gefangen

Jenseits der damaligen Standesgrenzen bleibt das Machtspiel zwischen Fräulein Julie und ihrem Diener in dem Sinne bemerkenswert, dass beide sich nichts nehmen. In dem Text verhält Julie sich eigentlich wie die Herren im 19. Jahrhundert. Sie nutzt ihre Position aus und betreibt Machtmissbrauch. Aber irgendwann fragt sie nach der Liebe. Das heißt, sie gibt sich die Blöße der Gefühle, und Jean ergreift in dem Moment, wo er sie gehabt und versteht, dass er ihr einziger Ausweg aus diesem Dilemma ist, seinerseits das kleine Fitzelchen Macht. „Dass diese beiden Figuren so sehr in ihren Widersprüchen und Sehnsüchten gefangen sind, obwohl sie sich eigentlich gegenseitig erlösen könnten, aber immer Angst haben, dass der andere Oberwasser bekommen könnte, empfinde ich als irrsinnig“, sagt Rosmair.

Dabei galt Strindberg selbst als Frauenhasser. „Er hat sogar auf sehr freche Weise behauptet, schon allein die Physiognomie der Frau sei eine Verbrecher-Physiognomie“, erzählt die Schauspielerin. Gleichzeitig habe man über ihn aber auch Folgendes geschrieben: „Er mag geschieden sein und sich als Frauenhasser ausgeben, aber er hängt am Mutterkuchen fest. Er wird sich nie von der Frau befreien.“ Und in seinen Stücken kommt etwas anderes zum Vorschein. Hier verteidigt er genauso das, was Fräulein Julie sagt und denkt. Ihre Sehnsucht nach Gerechtigkeit spürt man auch bei Strindberg. „Wenn ich nur den Text betrachte, ist Strindberg jemand, der sehr viel verstanden hat“, sagt Rosmair.

Karten für den Schauspielabend am Donnerstag mit Judith Rosmair und Dominique Horwitz kosten zwischen 21,50 und 42,50 Euro, erhältlich unter Telefon 04141/409140 sowie online unter www.stadeum.de.

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