Werden Corona-Impfschäden verheimlicht?

Paul-Ehrlich-Institut: In sehr seltenen Fällen traten nach der Impfung Herzmuskelentzündungen auf. Foto: dpa
Die Sicherheit und Wirksamkeit der Impfungen sorgt auch jetzt noch für Diskussionen im Internet. Berichte von schweren Nebenwirkungen halten sich hartnäckig - selbst Gesundheitsminister Lauterbach schwenkt überraschend um.
Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!
Seit Beginn der Impfkampagne wurden in Deutschland rund 65 Millionen Menschen mindestens einmal gegen das Coronavirus geimpft. In einem Blogartikel wird eine Umfrage veröffentlicht, die ergeben haben soll, dass „die Zahl der schweren Impffolgen“ sehr viel höher liegt als die offiziellen Daten aussagen. Angeblich haben 17 Prozent der Deutschen „schwer unter den Nebenwirkungen einer Corona-Impfung gelitten“. Doch lässt die Umfrage eine derartige Deutung zu?
Bewertung: Nein. Die Umfrage in der Bevölkerung liefert keine Daten über bestätigte Impfnebenwirkungen, sondern lediglich über Symptome und Vorfälle, die in zeitlicher Nähe zu einer Covid-19-Impfung aufgetreten sein sollen.
Schwere Nebenwirkungen nach Corona-Impfung sind selten
Fakten: Die Angaben zu Impfnebenwirkungen beruhen auf Ergebnissen einer Umfrage, die der Blog-Autor nach eigener Aussage beim Meinungsforschungsinstitut INSA in Auftrag gegeben hat. Deutschlandweit sollen rund 2000 Personen befragt worden sein.
Gefragt wurde demnach: „Haben Sie selbst oder enge Familienangehörige schwer unter den Nebenwirkungen einer Corona-Impfung gelitten?“ Welche Familienangehörigen hier als eng gelten, geht aus dem Text ebenso wenig hervor wie die Definition von „schwer“ oder „Nebenwirkungen“.
Daraufhin sollen 11 Prozent mit „ja, ich selbst“ und weitere 6 Prozent mit „ja, sowohl enge Familienangehörige als auch ich selbst“ geantwortet haben. Daraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass 17 Prozent der Befragten tatsächlich schwere Impfnebenwirkungen hatten. Nach einer Impfung haben Menschen oft für kurze Zeit Beschwerden wie Armschmerzen oder auch Fieber. Schwere Nebenwirkungen wie Allergieschocks oder Herzmuskelentzündungen sind dagegen sehr selten.
Ärzte müssen Beschwerden nach Impfungen melden
In Deutschland besteht für Ärztinnen und Ärzte nach § 6 Infektionsschutzgesetz (IfSG) sowie § 6 der Berufsordnung (Download-Link) eine Meldepflicht für Verdachtsfälle und unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Hervorzuheben ist an dieser Stelle der Terminus Verdachtsfall: Denn körperliche Reaktionen nach einer Impfung müssen nicht zwangsläufig auch auf diese zurückzuführen sein, wie das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) schreibt. Dennoch werden „unerwünschte Reaktionen von besonderem Interesse“ grundsätzlich als schwerwiegend eingestuft, auch wenn sie weniger gravierend sind als in § 4 Arzneimittelgesetz (AMG) definiert.
Das PEI sammelt die gemeldeten „Verdachtsfälle von Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen“ für die Corona-Impfung und veröffentlicht diese vierteljährlich im „Bulletin zur Arzneimittelsicherheit“. Laut der aktuellen Ausgabe wurden zum Stichtag 31. Oktober 2022 insgesamt rund 333.500 Verdachtsfälle gemeldet, in etwa 51.000 Fällen ein Verdacht auf schwerwiegende Nebenwirkungen.
Bis zum gleichen Zeitpunkt wurden nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) 187,8 Millionen Impfungen verabreicht. Es gab also in etwa eine Verdachtsmeldung auf schwere Nebenwirkungen pro 3700 verabreichten Dosen.
Lauterbach verspricht Hilfen für Impfgeschädigte
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat Hilfen für Menschen mit Langzeitschäden einer Corona-Infektion oder -Impfung zugesagt. Er werde mit dem Ministerium ein Programm auflegen, bei dem die Folgen von Long Covid und Post Vac (Impfschäden) untersucht würden und die Versorgung der Betroffenen verbessert werde, sagte der SPD-Politiker jüngst im ZDF-"heute journal". „Das ist ein Programm, das ich so schnell wie möglich auflegen möchte. Ich bin quasi in den Haushaltsverhandlungen für dieses Geld.“ Es gehe auch darum, die Experten in diesem Bereich so zu vernetzen, dass die Wahrscheinlichkeit einer guten Therapie steige.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).
Lauterbach sagte, die Langzeitfolgen einer Corona-Impfung müssten schneller anerkannt werden. Zugleich betonte er, dass schwere Impfschäden sehr selten vorkämen - laut Daten des zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) und der europäischen Zulassungsbehörde führe weniger als eine von 10.000 Impfungen zu solchen Schäden. Weil das Krankheitsbild immer deutlicher werde, müsse es in Zukunft schneller gehen, die Betroffenen zu identifizieren und ihnen zu helfen.
Auf Grundlage der EU-Verträge mit den Impfstoffherstellern hafte der Staat für Impfschäden, betonte Lauterbach. Es sei dennoch „wertvoll“, wenn Firmen sich daran beteiligten. „Denn die Gewinne sind ja exorbitant gewesen. Und somit also wäre das tatsächlich mehr als eine gute Geste, sondern das könnte man erwarten.“
Göring-Eckardt für mehr Hilfe bei langen Corona-Beeinträchtigungen
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt fordert mehr Unterstützung für Menschen mit länger anhaltenden Corona-Beeinträchtigungen auch bei der Teilhabe am Alltagsleben. In Schule und Ausbildung sei dringend zu regeln, wie Erkrankte weiter teilnehmen und zum Beispiel Abschlussprüfungen ablegen könnten, sagte die Grünen-Politikerin dem Portal „t-online“. „Es muss Aufklärung für Schulleiterinnen und Schulamtsleiter geben.“ Geklärt werden müsse außerdem eine bessere Versorgung. „Wir brauchen pro Bundesland mindestens eine Spezialambulanz, die sich mit diesen Krankheitsbildern auskennt und sich um die Betroffenen kümmert.“
Göring-Eckardt betonte mit Blick auf anhaltende gesundheitliche Probleme nach Corona-Infektionen (Long Covid) und nach Impfungen (Post Vac): „Auch für die Wirtschaft ist ein Ausfall von so vielen Menschen ein Problem.“ Sie berichtete von Treffen mit einer Ärztin, einer Lehrerin und einem Bauleiter, die seit Monaten nicht mehr arbeiten könnten. Darauf müsse man Antworten finden. „Das wird uns als Gesellschaft Geld kosten. Aber kein Vergleich dazu, was es bedeuten würde, all diese Menschen als aktive Teile des Gesellschafts- und Arbeitslebens zu verlieren.“
Zur Finanzierung von Angeboten seien die politisch Verantwortlichen gefragt, sagte Göring-Eckardt. „Aber auch die Pharmaindustrie kann einen Beitrag leisten. Bei schweren Impfnebenwirkungen bin ich zum Beispiel offen dafür, auf die Impfstoffhersteller zuzugehen.“ Juristisch werde man sie nicht darauf verpflichten können, aber angesichts enormer Gewinne sollten sie sich auch an Folgekosten beteiligen. (dpa)