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Gesundheit

Doppelwelle aus Grippe und Corona steht bevor

Derzeit bahn sich in Deutschland eine Doppelwelle aus Grippe und Corona an. Foto: dpa

Derzeit bahn sich in Deutschland eine Doppelwelle aus Grippe und Corona an. Foto: dpa

Gesundheitsminister Karl Lauterbach sähe am liebsten die rechtzeitige Rückkehr der Maskenpflicht im Supermarkt. Ohne diese dürfte jetzt neben Corona auch die Grippewelle wieder voll zuschlagen. Der Krankenstand ist hoch – auch im Kreis Stade.

Montag, 03.10.2022, 09:11 Uhr

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Von Gisela Gross

Es wird kühler, man hält sich häufiger drinnen auf, teils laufen die Heizungen. Der Herbst ist da. Und auch wenn es nach zwei Jahren Pandemie fast in Vergessenheit geraten konnte: Mit dem Oktober beginnt auf der Nordhalbkugel die Grippesaison - hervorgerufen durch Influenza-Viren. Sie sind nicht zu verwechseln mit Erregern meist harmloser grippaler Infekte. Für die Schutzimpfung sind laut Paul-Ehrlich-Institut bisher rund 24,1 Millionen Dosen freigegeben - mehr als in den vergangenen drei Jahren um diese Zeit. Geben lassen kann man sich die Spritze in diesem Herbst auch in Apotheken.

In den vergangenen beiden Saisons hatten die Pandemie und die dagegen getroffenen Maßnahmen den üblichen Verlauf ordentlich durcheinandergewirbelt: 2020/21 fiel die Grippewelle weltweit aus. Und auch 2021/22 kam es in Deutschland nicht zu einer Welle im gewohnten Maßstab, die Zahlen gingen erst nach den Osterferien und damit sehr spät etwas in die Höhe. Damit blieben auch die Doppel-Wellen von Sars-CoV-2 und Influenza aus, die teils befürchtet worden waren.

Zu Beginn der neuen Saison kann man sich also fragen: Was droht in den kommenden Wochen und Monaten, nachdem viele Menschen längere Zeit keinen Kontakt mehr zu Influenzaviren hatten und die körpereigene Abwehr womöglich nicht optimal reagieren kann? Werden sich nach den zahlreichen Corona-Impfaufrufen und den zähen Debatten rund ums Impfen noch genug Menschen zur Grippeschutzimpfung aufraffen?

Rückkehr der Grippe? - Was die Saison bringen könnte

„Wie gut Deutschland durch die Influenzasaison 2022/2023 kommen wird, hängt primär von den Impfquoten ab. Und diese sind in den Risikogruppen leider weiterhin zu niedrig“, teilte Sabine Wicker, Leiterin des Betriebsärztlichen Dienstes am Universitätsklinikum Frankfurt mit. Sie ist Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko) und der Stiko-Arbeitsgruppe Influenza. Besonders niedrig sei die Quote bei Schwangeren, mit 23 Prozent in der Saison 2020/21.

Wicker betonte, sie halte die Influenzaimpfung trotz der Nicht-Vorhersagbarkeit der Schwere der Welle in diesem Jahr für besonders wichtig. Die Impfung reduziere das Risiko von schweren Verläufen, Komplikationen und Hospitalisierungen. Gerade in der Pandemie gelte es, zusätzliche Belastungen des Gesundheitssystems zu vermeiden. Dass es doch noch zu einer Doppel-Welle kommt, hält die Professorin nach dem Wegfall zahlreicher Corona-Maßnahmen für möglich. Masken würden kaum noch oder oft nicht richtig getragen.

Das für öffentliche Gesundheit zuständige Robert Koch-Institut (RKI) betont wie in jedem Jahr, dass sich der Verlauf von Grippewellen nicht vorhersagen lasse und dass Verläufe regional unterschiedlich ausfallen können. Dass zuletzt im australischen Winter nach Lockerungen von Corona-Maßnahmen eine relativ frühe und heftige Grippewelle in vielen Landesteilen verzeichnet worden war, muss also nicht zwangsläufig ein schlechtes Vorzeichen sein.

Lauterbach rät zu frühzeitiger Anwendung neuer Corona-Regeln

Verschärfung hier, mögliche Lockerungen da: Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Justizminister Marco Buschmann steuern in der Corona-Politik derweil weiter einen unterschiedlichen Kurs. Der SPD-Politiker Lauterbach forderte die Länder angesichts steigender Infektionszahlen auf, rechtzeitig neue Regeln wie eine Maskenpflicht in Innenräumen zu erlassen. FDP-Politiker Buschmann dagegen wies darauf hin, sie könnten auf eigene Faust die Isolationspflicht aufheben - und sich gegebenenfalls über Experten-Empfehlungen hinwegsetzen. In Bayern vermisst man vor diesem Hintergrund einen klaren Corona-Kurs der Ampel-Regierung.

„Die Berliner Ampel flimmert in der Corona-Politik so sprunghaft wie eine Lichtorgel bei einer Mischung aus Blasmusik und Heavy Metal. Das verunsichert die Bürgerinnen und Bürger. Deshalb muss der Kanzler das verwirrende Treiben seiner beiden Minister endlich stoppen!“, erklärte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek am Sonntag.

Lauterbach hatte zuvor auf Twitter eine Grafik weiterverbreitet, die den starken Anstieg der Corona-Zahlen in Bayern und besonders München seit dem Beginn des Oktoberfests zeigt. Dazu schrieb er am Samstagabend: “Das wäre nicht nötig gewesen, wenn vor dem Einlass Selbsttests gemacht worden wären. Auf 2-3 Euro wäre es bei den Preisen pro Maß nicht angekommen. Die Entwicklung zeigt aber, was passieren wird, wenn die Länder mit der Maskenpflicht im Innenraum zu lange warten.“

Inzidenz steigt immer schneller - Kreis Stade bricht 500er-Grenze

Derzeit verzeichnet das Robert Koch-Institut (RKI) deutlich steigende Infektionszahlen. Am Samstagmorgen gab das RKI die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz mit 497,0 an. Allerdings liefern diese Angaben nur ein sehr unvollständiges Bild der Infektionszahlen, da bei weitem nicht alle Infizierte einen PCR-Test machen lassen.

Im Landkreis Stade stieg die Sieben-Tage-Inzidenz am vergangenen Sonnabend erstmals seit der Sommerwelle wieder über 500 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Am Sonntag und Montag wurden keine neuen Corona-Zahlen übermittelt.

Auch die Zahl der Corona-Patienten in den Elbe Kliniken stieg rasant. Mit Stand vom Sonntag werden in Buxtehude und Stade derzeit 29 Patienten mit einer Covid-19-Infektion behandelt; eine Person liegt auf der Intensivstation (Quelle: FRL Stade/IVENA).

Buschmann: Länder können Isolationspflicht ändern - RKI nicht bindend

Einige Bundesländer haben trotzdem ein Ende der Isolationspflicht für Corona-Infizierte gefordert. Buschmann betonte, das könnten sie in eigenem Ermessen entscheiden. „Vom RKI gibt es lediglich eine Empfehlung“, sagte er der „Bild am Sonntag“. „Wenn ein Bundesland der Überzeugung ist, dass es vertretbar ist, Isolationspflichten aufzuheben, kann es das tun. Daher kann ich diesen Landesregierungen nur zurufen: Geht doch voran, ihr habt alle Möglichkeiten!“

Bundesjustizminister Marco Buschmann äußert sich zu den Lecks an den Nord-Stream-Pipelines.

Bundesjustizminister Marco Buschmann äußert sich zu den Lecks an den Nord-Stream-Pipelines.

Das RKI empfiehlt den Ländern, für Infizierte fünf Tage Isolation anzuordnen - und die Selbstisolation erst nach negativem Test zu beenden. Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Schleswig-Holstein dagegen wollen, dass Infizierte in Eigenverantwortung zuhause bleiben.

Lauterbach hatte dies umgehend zurückgewiesen. Auch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) warnte davor, die Isolationspflichten aufzuheben. Zwar habe man es mit Omikron-Varianten zu tun, die nicht so krank machten, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Trotzdem müssen wir aufpassen, dass nicht zu viele Menschen erkranken - auch im Interesse der Unternehmen.“

Für wen die Stiko eine Grippeschutzimpfung empfiehlt 

Eine Doppel-Welle aus Corona und Grippe könnte aus Sicht von Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, auf Ebene der Gesellschaft ein Problem werden - für den Einzelnen jedoch sei es unwahrscheinlich, zeitgleich beide Erkrankungen zu erwischen. Was dahintersteckt: Ist eine Zelle bereits mit einem Virus infiziert, sendet sie Botenstoffe aus, die wiederum andere Zellen in eine Art Lockdown-Modus versetzen, wie Watzl erklärt. „Für ein neues Virus ist es dadurch schwerer, eine Infektion obendrauf zu setzen.“

Bei Corona schützt eine Impfung vor allem vor einem schweren Verlauf. Bei der Grippe gilt laut RKI eine Schutzimpfung als wichtigster Schritt vor einer Erkrankung, auch wenn es die Wirksamkeit als „nicht optimal“ einschätzt. Bevölkerungsweit macht es aufgrund der schieren Masse der Ansteckungen einen großen Unterschied, wenn auch nur ein Teil der Geimpften geschützt ist: Das RKI verweist auf Schätzungen, wonach hierzulande pro Jahr circa 400 000 Influenza-Erkrankungen bei Menschen über 60 verhindert werden. 2017/2018 grassierte laut RKI die heftigste Grippewelle seit Jahrzehnten in Deutschland. Schätzungen zufolge starben dabei etwa 25 000 Menschen.

In Deutschland rät die Stiko unter anderem Menschen ab 60, Schwangeren, chronisch Kranken, Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen und Menschen mit erhöhtem beruflichem Risiko, etwa in der Pflege, zur Grippeschutzimpfung. Für ältere Menschen wird inzwischen ein spezieller Hochdosis-Impfstoff empfohlen. Als optimal für den rechtzeitigen Aufbau eines Schutzes gilt eine Impfung im Zeitraum Oktober bis Mitte Dezember. Meist hatten frühere Wellen nach dem Jahreswechsel ihren Höhepunkt erreicht. (dpa)

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