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24-Stunden-Reportage: Der tierische Patient und sein Zweibeiner

Vor lauter Aufregung hinterlässt die Mischlingshündin Paula beim Tierarzt ein Bächlein auf dem Behandlungstisch. Ein Blick zur Entschuldigung reicht. Fotos: Fehlbus

Vor lauter Aufregung hinterlässt die Mischlingshündin Paula beim Tierarzt ein Bächlein auf dem Behandlungstisch. Ein Blick zur Entschuldigung reicht. Fotos: Fehlbus

Von der Impfung bis zur Operation - Viele Besucher im Harsefelder Kleintierzentrum sind aufgeregt, wenn sie ins Behandlungszimmer müssen. Vor allem die Menschen der tierischen Patienten.

Von Miriam Fehlbus Freitag, 21.07.2017, 16:00 Uhr

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Blitzartig legt sich eine Pranke auf die Schulter. Die Schnauze schnellt vor und Mischlingswelpe Muffin leckt Dr. Anne Mischke quer über die Lippen – ein nicht geplanter Zungenkuss für die Tierärztin bei der Routineuntersuchung. 

Muffin muss geimpft werden. Und mit ihm seine Geschwister. Zwei Autoladungen voll Welpen stehen auf dem Parkplatz. Die sieben Wochen alten Hunde mit beachtlich großen Pfoten sind mit Walter und Michaela Fitschen angereist. Einzeln werden sie jetzt durch das Fenster ins Innere der Praxis gereicht. Jeder Hund bekommt etwas Leckeres zum Essen, dann gibt es einen Pikser, den kaum einer spürt. Dann kommt die größere Spritze. Da ist ein Mikrochip drin. An Muffin geht das nicht völlig unbemerkt vorbei. Er quietscht kurz auf, lässt sich aber mit dem nächsten Leckerli ablenken. Noch ein Test mit dem Chip-Lesegerät. Dann geht es wieder nach draußen. Gesundheitsvorsorge und wichtige Identifikationshilfe in Serienreife.

Zum Impfen sind Michaela und Walter Fitschen mit ihren zehn Welpen aus Bliedersdorf gekommen.

„Das gehört hier täglich zu unseren Aufgaben“, erklärt Dr. Anne Mischke. Sie behandelt im Praxisalltag alle möglichen Kleintiere. Viele Patienten sind Hunde oder Katzen. Aber oft seien es auch Meerschweinchen und Kaninchen, erklärt sie. Heute sitzt kein Nager mit seinem Menschen im Wartezimmer. Und die Hunde sind in der Überzahl. Nicht zuletzt wegen der Welpen aus Bliedersdorf.

Das Besondere beim Vier-Pfoten-Nachwuchs der Fitschens: Jeder Hund sieht anders aus. Die Mischung von einer Bernhardiner-Schäferhund-Mutter mit einem Collie-Berner-Sennenhund-Vater hat es farblich in sich. Muffin, das dreifarbige Wollknäuel, soll beim Züchterehepaar bleiben. Alle anderen sind schon vermittelt, erzählen Walter und Michaela Fitschen. Irgendwann wird es dann wieder ruhiger bei ihnen zu Hause werden. Im Moment herrscht Ausnahmezustand, geben sie lachend zu.

Ganz geplant war der „Zwischenfall“ nicht, sagt Michaela Fitschen. Der Nachbarshund und ihre Hündin bestimmten jedenfalls selbst, dass der richtige Zeitpunkt für den Nachwuchs gekommen sei. „Es war ein Loch im Zaun“, sagt die zweibeinige Hundemutti, die aber grundsätzlich schon Zuchtpläne hatte: „Von dem Rüden wollte ich unbedingt einen Wurf haben.“

Zähne anschauen, Gesundheitscheck, Impfen und Impfpässe ausstellen. Namen eintragen, Etiketten der Mikrochips einkleben. Praxisstempel, Unterschriften. Nach einer Stunde ist die Bande so gut wie abgefertigt. Damit ist Zeit, den Wischmop aus dem Schrank zu holen. Paula, genannt Bombe, hat das Wasser nicht halten können. Vor Aufregung. In den anderen Räumen des Kleintierzentrums Harsefeld wird weiter untersucht. Sechs Tierärzte gehören zum Team. Es gibt ein eigenes Labor, CT, Röntgen, Ultraschall und Operationssäle. Fast wie in einer Klinik.

In dem abgedunkelten Raum mit dem Ultraschallgerät sitzt eine Burma-Katze. Genauer gesagt handelt es sich um einen Kater. Die Familie, die für die Samtpfote mehr als ein Dosenöffner ist, ist in Sorge. Der Bruder des Katers ist plötzlich mit vier Jahren gestorben. Viel zu jung. Die Stimmung ist angespannt. Es gibt den Verdacht einer vererblichen Herzkrankheit, genannt Hypertrophe Cardiomyopathie, kurz HCM.

Dr. André Mischke hört kurz auf zu lächeln, blickt konzentriert auf den Bildschirm, der ein für den Laien unlesbares Ultraschallbild zeigt. Was los ist, möchte die Familie sofort wissen. Die 18 Jahre alte Alicia Gröning streichelt ihrem grauen Kater mit den eindrucksvollen Augen über das Fell. „Nein, alles in Ordnung“, sagt Mischke in diesem Moment. Die an sich gute Botschaft kommt noch nicht bei den besorgten Katzenbesitzern an. Weitere zwei Mal muss der erfahrene Tierarzt beteuern, dass es keine auffälligen Veränderungen gibt, die den Verdacht bestätigen könnten. Natürlich sei das keine Entwarnung für immer. Aber für den Moment.

Bis die Zweibeiner so entspannt erscheinen wie die Burma, braucht es eine eingehende fachliche Beratung des Tierarztes. Der Kater schaut keck aus der Tasche, mit der er angereist ist und in die Micky freiwillig, weg vom Behandlungstisch, sofort wieder hineinklettert. Dr. Mischke empfiehlt regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen. Die Familie, die den Fahrtweg aus Himmelpforten auf sich genommen hat, stimmt zu. Erleichtert, jemanden gefunden zu haben, der sich mit der Krankheit auskennt.

Tiefer Blick in die Augen: Vor allem Hunde und Katzen kommen häufig zum Tierarzt.

Ein Notfall wird kurz darauf wieder vorgestellt. Der Zustand des Hundes hat sich, seit er im hinteren Bereich des Praxisgebäudes einquartiert wurde, kaum gebessert. Erbrechen, erkennbare Schmerzen im Bauch. Vielleicht ist es ein Tumor. Doch auf dem Bildschirm des Ultraschallgeräts ist nichts zu sehen. Dr. André Mischke berät sich mit seinem Team. Das Tier soll weiter hochdosiert Schmerzmittel bekommen. Der Hund ist nicht mehr jung. Eine Operation birgt auch Gefahren. Ohne ersichtlichen Grund erscheint ein Eingriff nicht sinnvoll. Es soll erst noch einmal unter engmaschiger Überwachung abgewartet werden.

Um eine Operation kommt der große Hund, der auf einem Tisch liegend über den Flur geschoben wird, nicht mehr herum. Vor Kurzem wurden mit dem Computertomografen Aufnahmen gemacht, die klar bestätigen, was der aufrecht gehende Mensch nur als alleiniges Leiden seiner Spezies glaubt: Bandscheibenvorfall. Das Kontrastmittel zeigt, wo der Druck zu groß geworden ist, wo die Quelle des Übels ist, die dem Hund Schmerzen zufügt und zu Lähmungserscheinungen führt.

Dr. Martin Wenzel nimmt eine letzte Untersuchung vor. Dann kommt der Rasierapparat. Das Fell auf dem hinteren Teil des Rückens wird geschoren. Im OP muss alles steril sein. Eine Art Folie mit gelb schimmernder Iodlösung bedeckt wenig später den Teil, den Dr. Wenzel mit Skalpell und stärkerem Gerät bearbeiten wird. Alles andere ist abgedeckt. Auch Kleidung, Haut und Haare der Menschen im Raum. Der Tierarzt wird das ausgetretene Bandscheibengewebe entfernen und versuchen, Rückenmark und Nerven von Druck zu befreien.

Das Frauchen wird seinen Hund bald wieder in die Arme schließen. Bei den Operationsvorbereitungen sind die Tierbesitzer nicht dabei. Umso größer ist die Wiedersehensfreude, wenn alles gut gegangen ist. Bis dahin ist eine Stunde in der Praxis lange vorbei. Gerade wird eine Katze im Korb ins Wartezimmer getragen. Der nächste Termin.

 

Für die Serie „24 Stunden: Reportagen rund um die Uhr“ verbringen TAGEBLATT-Redakteure je eine Stunde an einem Ort in der Region. Start und Ende der Serie ist 0 Uhr, was 24 Stunden und damit 24 Serienteile ergibt. Und das sind die Folgen:

Dr. André Mischke untersucht einen Notfall mit dem Ultraschallgerät...

Dr. André Mischke untersucht einen Notfall mit dem Ultraschallgerät...

... während Dr. Anne Mischke bei der Kontrolluntersuchung des Welpen Muffin von diesem spontan einen Kuss bekommt.

... während Dr. Anne Mischke bei der Kontrolluntersuchung des Welpen Muffin von diesem spontan einen Kuss bekommt.

Während der Operation wird der Patient überwacht, ähnlich einer OP beim Menschen.

Während der Operation wird der Patient überwacht, ähnlich einer OP beim Menschen.

24-Stunden-Reportage: Der tierische Patient und sein Zweibeiner

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