Kritik und Verweigerung: Wahlkampf um die Bauern ist entbrannt

Vor einem Jahr rollten aufgebrachte Bauern mit Traktoren durch den Landkreis Stade. Jetzt wird gewählt. Foto: Bernd Weißbrod/dpa
Neue Düngeregeln? Nicht mit der Union! Agrardiesel-Aus? Wird von der CDU sofort rückgängig gemacht. Hier gerät der Grüne-Minister Özdemir aufs Abstellgleis.
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Berlin/Landkreis. Vorgesehene Änderungen bei den Düngeregeln für die Landwirte zum Schutz des Grundwassers sind vorerst gescheitert. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) kritisierte in Berlin, dass die unionsregierten Länder aus Gesprächen für eine Kompromisslösung ausgestiegen seien. „Die Chance, vor der Bundestagswahl ein Ergebnis zu bekommen, wäre da gewesen.“ Damit werde die deutsche Landwirtschaft bestraft und ein Problem weiter vertagt.
Hintergrund ist, dass der Bundesrat ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz der Ampel-Koalition abgelehnt hatte. Es sollte unter anderem eine Grundlage schaffen, damit Düngedaten von Höfen überprüft und bewertet werden können. Dafür sollte ein „Monitoring“ ermitteln, wie wirksam die Düngevorgaben sind. Das Ministerium zielte darauf ab, so das Verursacherprinzip zu stärken. Die Bundesregierung rief daraufhin den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat an. Dafür hatte es vorbereitende informelle Gespräche gegeben.
Der CSU-Agrarpolitiker im Bundestag, Artur Auernhammer, nannte es mit Blick auf die Gespräche enttäuschend, dass es vonseiten der Bundesregierung kein Entgegenkommen gegenüber den Landwirten gegeben habe. Wenn keine Erleichterungen herauskämen, machten weitere Verhandlungen keinen Sinn.
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Dünge-Belastung: Nur ein Landkreis bereitet noch Sorgen
Seit Jahren gibt es Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und der EU-Kommission wegen zu hoher Nitratbelastungen im Grundwasser. Dafür waren mehrfach Düngevorgaben verschärft worden. Die Bundesregierung will damit auch drohende Strafzahlungen endgültig abwenden.
CDU will Agrardiesel-Vergünstigungen rasch wieder einführen
Die CDU will zudem die von der Ampel-Regierung gestrichenen Agrardiesel-Vergünstigungen nach einem Sieg bei der Bundestagswahl schon in den ersten Regierungsmonaten wieder einführen. Beim Wahlparteitag am 3. Februar werde die Wiedereinführung in das geplante 100-Tage-Sofortprogramm aufgenommen, kündigte die stellvertretende Generalsekretärin Christina Stumpp in Berlin an. Im Sofortprogramm sollen Projekte stehen, die die Union direkt nach einer Regierungsübernahme umsetzen will.
Unionsfraktionsvize Steffen Bilger (CDU) sagte ein Jahr nach den durch die abrupte Streichung der Agrardiesel-Subventionen ausgelösten Bauernprotesten: „Wir wollen das Signal geben: Wir haben verstanden.“ Stumpp betonte, die Agrardiesel-Rückvergütung bedeute für einen Durchschnittsbetrieb eine Entlastung von rund 5.000 Euro pro Jahr. Zudem will die CDU alternative Kraftstoffe wie Bio- oder synthetische Kraftstoffe in der Land- und Forstwirtschaft von der Energiesteuer befreien.
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Der Sprecher der neun unionsgeführten Agrarressort der Länder, Sven Schulze, sagte, die Union werde das Thema Bürokratieabbau auch auf EU-Ebene angehen. „Fast alle Vorschläge im Bereich Bürokratieabbau kosten kein Geld“, sagte Schulze, der unter anderem Landwirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt ist. Er kritisierte die Politik des bisherigen Agrarministers Özdemir scharf und betonte, die Grünen seien mit ihrem aktuellen Programm in der Landwirtschaftspolitik als möglicher Koalitionspartner nicht akzeptabel.
Bauern angespannt auf dem politischen Feld
Vor einem Jahr rollten aufgebrachte Bauern mit Traktoren durch die Republik. Und auch diesmal bringen sich die Landwirte zur Messe Grüne Woche in Berlin wieder politisch in Stellung. Denn es läuft der Bundestagswahlkampf. „Wir brauchen einen echten Neustart in der Landwirtschaftspolitik“, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied der Deutschen Presse-Agentur. Zum großen Jahresauftakt der Ernährungswirtschaft ab Freitag sieht die Branche eine anhaltend schwierige Geschäftslage - und appelliert auch an die Supermarktkunden.
„Der Motor stottert weiter, das ist leider so“, sagte Rukwied. „Bei Getreide ist das Stottern sogar stärker geworden, denn die Perspektiven auf den Märkten sind eher düster.“ Bei der Schweinehaltung, die zuletzt als einziger Bereich ein ordentliches Ergebnis erzielt habe, zeigten sich rückläufige Preise. „Daher müssen wir dort auch mit rückläufigen Ergebnissen rechnen.“ Arbeitsintensive Kulturen wie Spargel, Erdbeeren oder Wein belaste zusätzlich die Erhöhung des Mindestlohns. „Der einzige Lichtblick ist im Moment der Milchsektor.“
Gewinneinbruch nach Rekordjahr
Nach zuvor guten Gewinnen hatte sich die Stimmung unter Landwirten schon eingetrübt. Im Ende Juni abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2023/24 sackten die Ergebnisse der Betriebe im Schnitt auf 77.500 Euro ab. Dies lag um 29 Prozent unter dem Rekordniveau des Wirtschaftsjahres zuvor. Vom Gewinn sind unter anderem auch noch Investitionen zu finanzieren. Vielen Höfen machen weiter hohe Kosten für Energie, Pflanzenschutz und Dünger zu schaffen.
Zur Lage auf den Feldern sagte Rukwied, Weizen, Gerste oder Raps stünden „im Moment ordentlich da“. Niederschläge im Herbst und auch jetzt im Winter hätten die Wasservorräte im Boden aufgefüllt. „Insofern haben wir ordentliche Startbedingungen. Aber bis zur Ernte im Juli kann noch vieles geschehen.“
„Nicht nur auf letzten Cent schauen“
Die künftige Regierung dürfe nicht nur etwas an Stellschrauben drehen, machte der Bauernpräsident klar. „Klima- und Umweltschutz, Biodiversität und Tierwohl sind Themen, die wir natürlich weiterhin intensiv bearbeiten. Aber wir brauchen eine Veränderung in den Köpfen: Raus aus dem Krisendenken, rein in einen Lösungsansatz.“ Soll heißen: unternehmerische Freiheiten, Innovationen, ein Ende „bürokratischer Fesseln“. Die Union will den „Kardinalfehler“ beim Agrardiesel nach der Wahl korrigieren, wie Fraktionsvize Steffen Bilger betonte.
Auf die Supermarktkunden kommt es der Branche zur Messe, die eine große Probiermeile ist, ebenfalls an. „Es braucht ein noch stärkeres Engagement der Verbraucherinnen und Verbraucher beim Einkaufen“, sagte Rukwied. „Auch ich erfreue mich beispielsweise am Silvesterfeuerwerk. Aber wenn Millionen Euro für Böller ausgegeben werden, sollte man bei Lebensmitteln nicht nur auf den letzten Cent schauen - sondern auch gezielt zu heimischen Produkten greifen.“
Investitionen in Ställe für 20 Jahre
„Wir arbeiten mit am nachhaltigsten, was Umweltschutz und Tierwohl betrifft. Das muss sich auch in höheren Preisen widerspiegeln“, argumentierte der Bauernpräsident. Die Wertschöpfung in der Lebensmittelkette bis zum Handel müsse dann aber auch gleichmäßig verteilt werden. „Es ist unabdingbar, dass mehr bei uns Bauern ankommt.“
Tierhalter brauchten eine Finanzierung für den Wandel zu besseren Bedingungen und dazu Planungssicherheit. „Wenn ein Landwirt in einen neuen Stall investiert, muss er sicher sein, ihn 20 Jahre ohne weitere Umbauten nutzen zu können - egal, ob sich noch Vorgaben verändern.“
Bei Bio-Lebensmitteln zeichnet sich nach Branchenangaben ab, dass das in der hohen Inflation gebremste Geschäft wohl weiter in Schwung gekommen ist. In der Landwirtschaft sei „eine verhaltene Umstellungsbereitschaft“ zu Bio da, sagte Rukwied.
Das von der Regierung für 2030 gesetzte Ziel von 30 Prozent Bio-Flächen sei noch weit entfernt. Der Anteil stieg weiter, aber nur leicht auf 11,4 Prozent der gesamten Agrarfläche Ende 2023. „Am Ende entscheiden es die Verbraucherinnen und Verbraucher an der Ladentheke“, sagte Rukwied.