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Nord-Süd-Gefälle

Bauern zwischen Gewinnplus und Abwärtstrend – Obstbau im Minus

Vom Aufwärtstrend profitierten jüngst nicht alle Betriebsformen in der Landwirtschaft.

Vom Aufwärtstrend profitierten jüngst nicht alle Betriebsformen in der Landwirtschaft. Foto: Thomas Warnack/dpa

Nach einer jahrelangen Durststrecke haben die Landwirte in Deutschland ein Rekordergebnis erwirtschaftet. Doch die Marktlage trübt die Freude - denn die Aussichten gelten als „düster“.

Von Redaktion Freitag, 08.12.2023, 05:55 Uhr

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Hannover/Landkreis. Bei der wirtschaftlichen Lage der deutschen Landwirte fühlt sich Bauernpräsident Joachim Rukwied an das Wetter erinnert: Es sei wie der ständige „Wechsel zwischen Hochdruck- und Tiefdruck-Wetterlagen“, sagte er am Donnerstag bei der Jahresbilanz des Deutschen Bauernverbandes in Berlin. Im Ende Juni abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2022/23 stieg das durchschnittliche Unternehmensergebnis der Betriebe auf ein Allzeithoch von je 115.400 Euro - ein Plus von 45 Prozent. Angesichts sinkender Preise bei Getreide, Ölsaaten und Milch sieht Rukwied die nähere Zukunft jedoch pessimistisch: „Wir werden die guten Ergebnisse nicht halten können.“

Das jüngste Rekordergebnis, das auf der Basis von rund 8000 landwirtschaftlichen Betrieben errechnet wurde, führt der Bauernverband vor allem auf die gestiegenen Erzeugerpreise zurück. Der Zuwachs dort fiel den Angaben zufolge deutlich stärker aus als die Preissteigerungen beim Kauf von Futter oder Vieh.

Obstbau mit deutlichem Minus

Vom Aufwärtstrend profitierten allerdings nicht alle Betriebsformen. So verbuchten die Obst- und Weinbauern ein deutliches Minus. Da der Personalbedarf dort besonders groß ist, macht sich nach Rukwieds Worten der Anstieg des Mindestlohns besonders bemerkbar. Die ausländische Konkurrenz müsse den Arbeitskräften mitunter nicht einmal halb so viel zahlen.

„Wenn wir hier nicht schnell einen europäischen Mindestlohn einführen, dann ist es um die Zukunft der Obstbaubetriebe, der Weinbaubetriebe und der Gemüsebaubetriebe düster bestellt“, warnte der Bauernpräsident.

  • Bilanz der Apfelernte im Alten Land

Der Ertrag ist kleiner, die Preise aber sind besser. Das ist die Bilanz der diesjährigen Apfelernte im Alten Land. „Der Abverkauf läuft gut, für die höheren Preise als im Vorjahr gibt es verschiedene Gründe“, sagt Matthias Görgens, stellvertretender Leiter der Obstbauversuchsanstalt Jork.

Die Erntemenge in diesem Jahr betrug etwa 299.000 Tonnen, das seien 10 Prozent weniger als in der Vorsaison. Nach der großen Ernte im vergangenen Jahr tragen die Bäume etwas weniger, das sei der normale Biorhythmus. Wegen der guten Verkaufszahlen sei der Lagerbestand nun insgesamt um 20 Prozent kleiner als 2022. „Das ist ein guter Bestand, der ausreichen wird bis zur nächsten Ernte“, betonte Görgens.

Nach den vergangenen zwei defizitären Jahren habe sich der Markt erholt. Das Alte Land ist mit 550 Betrieben und 10.000 Hektar Fläche zwischen Cuxhaven und Hamburg nach Angaben der Gemeinde Jork das größte zusammenhängende Obstanbaugebiet Deutschlands.

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Wegen des Klimawandels und der gestiegenen Durchschnittstemperaturen verändert sich auf lange Sicht ein Teil des Anbaus. „Der Holsteiner Cox kann Hitze nicht vertragen und wird deswegen weniger angebaut“, sagt Görgens. Dafür sei die Sorte Wellant ansteigend. Auch Birnen profitieren von wärmeren Bedingungen.

Landwirtschaft: Nord-Süd-Gefälle sichtbar

Bei der Bilanz des Wirtschaftsjahres 2022/23 zeigt sich in der Gesamtlandwirtschaft ferner ein deutliches Nord-Süd-Gefälle: Während das durchschnittliche Betriebsergebnis in Schleswig-Holstein bei mehr als 136.000 Euro liegt, sind es in Baden-Württemberg kaum mehr als 50.000 Euro. Neben der Betriebsgröße schlagen dort laut Bauernverband die witterungsbedingt höheren Erträge bei der Getreideernte 2022 zu Buche. Zudem werde in Süddeutschland mehr Obst, Gemüse und Wein angebaut - mit all den spezifischen Problemen beim Arbeitslohn.

Landwirtschaftliche Betriebe in Niedersachsen haben im zurückliegenden Wirtschaftsjahr im Durchschnitt erhebliche Gewinnsteigerungen erzielt. Es handele sich um ein „Ausnahmejahr“, so die Landwirtschaftskammer (LWK). „Der Boom auf dem Milchmarkt, international steigende Preise für Getreide und sinkende Schweinebestände führten zu einer deutlichen Steigerung der Gewinne“, sagte der LWK-Präsident Gerhard Schwetje. Das gelte für alle Formen der Haupterwerbsbetriebe - die also die einen Großteil ihres Einkommens mit der Landwirtschaft erzielen.

Die Betriebe machten im Schnitt rund 150.000 Euro Gewinn im zurückliegenden Wirtschaftsjahr, das von Sommer 2022 bis Sommer 2023 dauerte. Das war ein Anstieg um fast 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Unternehmen hätten „endlich einmal ein Niveau erreicht, das neben Privatentnahmen, Steuerlasten und Tilgung auch eine positive Eigenkapitalbildung ermöglicht hat“, sagte Schwetje.

Ökohöfe mit schwächerer Bilanz

Ökobetriebe schnitten schwächer ab: Ihre Gewinne stiegen im Schnitt um 18 Prozent auf etwa 75.000 Euro. Sie hätten anders als die konventionellen Betriebe nicht von den Preisschwankungen der Märkte profitieren können, sagte Schwetje. Das habe auch an den vergleichsweise höheren Preisen der Produkte gelegen.

Der Verbandspräsident warnte davor, die Gewinnsteigerungen zu hoch zu bewerten. In vergangenen Jahren hätten Landwirte unzureichende Ergebnisse erzielt. Zudem rechne er nun mit einem schlechteren Wirtschaftsjahr, sagte Schwetje. Der Klimawandel, Seuchen wie die Afrikanische Schweinepest und Forderungen aus der Politik verunsicherten zudem die Bauern.

Agrarministerin Miriam Staudte sagte, die Preisschwankungen seien ein grundsätzliches Problem. Es gebe einen großen Wunsch nach Stabilität, aber extreme Schwankungen bei den Marktpreisen könnten nicht aufgefangen werden.

Debatte über Wolf

Zur Debatte über den Wolf bekräftigte die Grünen-Politikerin, dass ihre Parteikollegin, Bundesumweltministerin Steffi Lemke, einen guten Vorschlag vorgelegt habe. Lemke hatte im Oktober empfohlen, dass die Länder bestimmte Regionen festlegen: Hat ein Wolf darin Schutzvorkehrungen wie einen Zaun überwunden und ein Weidetier gerissen, soll auf ihn drei Wochen lang geschossen werden dürfen - im Umkreis von einem Kilometer um die Weide. Anders als bisher soll nicht eine DNA-Analyse abgewartet werden.

Staudte sagte, Wölfe könnten auch positive Funktionen ausüben. Nach dieser Äußerung war in der Halle anhaltendes Flüstern zu hören. In einem benachbarten Landkreis sei bei Wildschweinen bereits die Afrikanische Schweinepest aufgetreten, sagte Staudte. Der Wolf trage zur Prävention bei, indem er den Bestand an Schwarzwild verringere.

Sorgenvolle Blicke auf Ukraine-Krieg

Sorgen bereiten den deutschen Landwirten zudem Getreideimporte aus der Ukraine. Seit Kriegsbeginn seien rund 40 Millionen Tonnen in die EU geliefert worden. „Das entspricht einer durchschnittlichen deutschen Getreideernte“, warnte Rukwied. Schätzungen zufolge werde dadurch der Getreidepreis um 40 bis 60 Euro je Tonne gedrückt. Zum Vergleich: Im Wirtschaftsjahr 2022/23 erlösten die deutschen Landwirte für Brotweizen durchschnittlich 272 Euro je Tonne.

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 kann das Land seine Schwarzmeerhäfen kaum noch zur Ausfuhr in alle Welt nutzen. So kommen ukrainische Agrarprodukte überwiegend über die Landesgrenzen Richtung Europa.

Angesichts der unsicheren Lage halten die Landwirte ihr Geld zusammen. So verharren die Investitionen trotz wirtschaftlicher Erholung auf niedrigem Niveau. Rukwied macht dafür auch unklare politische Rahmenbedingungen verantwortlich - vor allem beim angepeilten Umbau der Ställe. Der agrarpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Albert Stegemann (CDU), beklagt deshalb fehlende Rückendeckung durch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). „Stattdessen denkt die Ampel laut über weitere Auflagen und verschärfte Regeln nach“, kritisiert Stegemann. Das sei jedoch „jenseits aller Realitäten“. (dpa)

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