Bauschaum-Attacken: Verdacht auf versuchte Wahlbeeinflussung
Nach einer Serienattacke auf Auspuffrohre von Fahrzeugen hat die Staatsanwaltschaft neue Erkenntnisse. (Symbolfoto) Foto: Alicia Windzio/dpa
Nach Sachbeschädigung an Hunderten Fahrzeuge in mehreren Bundesländern gehen Ermittler beim Motiv von Wahlbeeinflussung aus. Sitzt der Auftraggeber in Russland?
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Ulm/Berlin. Knapp ein Jahr nach der Serie von Bauschaum-Attacken auf 276 Autos in vier Bundesländern gehen die Ermittler davon aus: Was zunächst wie eine einfache Sachbeschädigung aussah, war in Wirklichkeit ein plumper Versuch, den Ausgang der Bundestagswahl zu beeinflussen. Wer der Auftraggeber der Aktionen in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg und Berlin war, ist bislang nicht abschließend geklärt. Die Aussage eines Tatverdächtigen deutet allerdings darauf hin, dass dieser in Russland zu suchen ist.
Was war geschehen?
An einer Vielzahl von Fahrzeugen wurden zwischen dem 8. Dezember und dem 11. Dezember vergangenen Jahres die Abgasrohre mit Bauschaum befüllt. Die Täter brachten an den Autos jeweils Aufkleber mit einem Bild des damaligen Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck (Grüne) und der Aufschrift „SEI GRÜNER!“ an. Für die Autobesitzer war das ärgerlich. Denn ist der Montageschaum erst einmal ausgehärtet, lässt er sich nicht mehr so leicht entfernen. Laut Staatsanwaltschaft wurde der Bauschaum teilweise auch nur oberflächlich an den Autos aufgetragen.
Im Bereich des Polizeipräsidiums Ulm wurden den Angaben zufolge Sachbeschädigungen an 113 Fahrzeugen zur Anzeige gebracht. Hunderte Kilometer entfernt, im brandenburgischen Schönefeld, meldeten sich die Besitzer von 43 Fahrzeugen, die das gleiche Problem hatten. In Bayern wurden zehn Autos beschädigt, in Berlin beschädigten die Täter 110 Fahrzeuge.
Russischer Geheimdienst-Auftrag?
Die Staatsanwaltschaft Ulm, die in diesem Ermittlungsverfahren den Hut aufhat, teilt auf Anfrage mit, ein 18-jähriger Tatverdächtiger habe angegeben, „dass die Taten durch einen wohl serbischen Staatsangehörigen aus Russland, dessen Identität noch ungeklärt ist, in Auftrag gegeben worden seien, um das Wahlverhalten der Bundesbürger und dadurch das Ergebnis der Bundestagswahl vom 23.02.2025 zu beeinflussen.“ Dieser habe den Beschuldigten für jedes Fahrzeug 100 Euro als Prämie geboten.
„Diese Angaben konnten bislang durch weitere Beweismittel aber nicht bestätigt werden“, sagt Oberstaatsanwalt Michael Bischofberger. Auch die vier weiteren bisher ermittelten Beschuldigten machten Angaben, bestritten aber die Vorwürfe.
Modus operandi deutet auf Einflussoperation hin
„Aufgrund Inhalt und Gestaltung des an den betroffenen Fahrzeugen hinterlassenen Aufklebers und des gewählten Tatzeitraums kurz vor den Bundestagswahlen ist eine beabsichtigte Beeinflussung des Meinungsbildes und somit von möglichen Wählern naheliegend“, heißt es von der federführenden Staatsanwaltschaft in Ulm.
Die Vorgehensweise entspreche einem typischen Muster, heißt es vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). „Aktionen wie diese, sollen die Gesellschaft polarisieren und spalten“, sagt BfV-Vizepräsidentin Silke Willems. Aktuelle Themen - in diesem Fall die Klimapolitik - würden aufgegriffen und es werde versucht, die öffentliche Meinung zu beeinflussen.

Die Vizepräsidentin des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Silke Willems, sagt: „Low-Level-Agenten machen sich zum willigen Werkzeug fremder Mächte.“ (Archivfoto) Foto: Soeren Stache/dpa
Eingesetzt würden dafür sogenannte „Low-Level-Agenten“, erklärt Willems. So nennt der Verfassungsschutz Menschen, die im Auftrag ausländischer - meist russischer - Nachrichtendienste Straftaten in Deutschland begehen, ohne selbst Mitarbeiter des ausländischen Geheimdienstes zu sein. Die zumeist über Soziale Medien rekrutierten Handlanger machten sich „zum willigen Werkzeug fremder Mächte“. Im Falle einer Verurteilung drohten ihnen erhebliche Freiheitsstrafen.
Polizei kontrollierte Mietfahrzeug
Ins Rollen gekommen war der Stein, als einer Polizeistreife in Schönefeld im Dezember ein Transporter mit drei jungen Männern auffiel, die mehrere Kartuschen mit Bauschaum bei sich hatten, wie er etwa zum Abdichten von Fenster- und Türrahmen verwendet wird. Kurz nach der Kontrolle des in Ulm angemieteten Mietfahrzeugs gingen die ersten Anzeigen von Autobesitzern ein.
Das Trio - ein 17 Jahre alter bosnisch-herzegowinischer Jugendlicher aus dem bayerischen Kreis Günzburg, ein 20-Jähriger mit serbischer und kroatischer Staatsangehörigkeit aus dem Alb-Donau-Kreis und ein 18 Jahre alter deutscher Mann aus Ulm - hatte bei einer Kontrolle in Tatortnähe mehrere Bauschaumdosen bei sich. Die jungen Männer konnten aus Sicht der Polizei nicht überzeugend erklären, warum sie die Dosen mit sich trugen.
Dutzende Beweisbilder auf dem Handy
Bei allen Beschuldigten gab es Hausdurchsuchungen. Auf einem Handy wurden 74 Tatbeweisbilder entdeckt. Bei einem der Beschuldigten fanden die Ermittler weitere Dosen mit Bauschaum sowie eine Kassenquittung vom 9. Dezember 2024 über den Einkauf weiterer Bauschaumdosen.
Im Laufe der weiteren Ermittlungen gerieten laut Staatsanwaltschaft zwei rumänische Staatsangehörige - eine 19 Jahre alte Frau und ein 29 Jahre alter Mann aus dem Alb-Donau-Kreis - ins Blickfeld. Den Angaben zufolge wurden vom Handy des 29-Jährigen, das auch die Frau genutzt haben soll, in der Nacht des 9. Dezembers über 50 Tatbeweisbilder auf den Mobilfunkanschluss eines der drei Männer, die bei der Kontrolle aufgefallen waren, geschickt. Der 29-Jährige gab demnach an, das Handy sei von der 19-Jährigen, einer Verwandten, genutzt worden, was sich nach Angaben der Ermittler auch verifizieren ließ. Der Verdacht gegen den 29-Jährigen sei dadurch weitgehend entkräftet, hieß es.
Sämtliche Beschuldigte befinden sich laut Staatsanwaltschaft auf freiem Fuß. Die Finanzermittlungen dauerten noch an. Angaben dazu, wer womöglich welchen Tatbeitrag geleistet habe, könnten derzeit nicht gemacht werden.
Warnung vor Anwerbeversuchen
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte zuletzt öffentlich vor Versuchen russischer Geheimdienste, für Spionage und Sabotage in Deutschland sogenannte Wegwerf-Agenten zu rekrutieren, gewarnt. Deren Taten werden von den Sicherheitsbehörden als Teil der hybriden Bedrohung, der sich Deutschland vor allem seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ausgesetzt sieht, eingeschätzt.
Unter hybrider Kriegsführung wird eine Kombination aus militärischen, wirtschaftlichen, geheimdienstlichen und propagandistischen Mitteln verstanden, mit der auch die öffentliche Meinung beeinflusst werden kann - bis hin zur Destabilisierung ganzer Gesellschaften.